(explizit.net) Gastbeitrag von Stefan Gärtner
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Pegida und ihre Ableger (s. Foto) schüren die Angst vor Einwanderern und dem Islam in Deutschland. Für Christen gibt es keinen Grund zur Teilnahme an den Montagsdemonstrationen. Ein theologischer Antwortversuch.
Die Grenze zwischen gläubig und gestört ist durchlässig. Das zeigt sich nicht nur bei den jungen Männern und Frauen, die als Jihadkämpfer nach Syrien und in den Irak gehen, um dort ein neues Kalifat zu errichten. Auch unter den offiziellen Buchhaltern des Glaubens, den Theologen, finden sich merkwürdige Typen. Das berichtet Paul Auster in seinem Roman Stadt aus Glas. Er stellt darin die Frage nach der Zuverlässigkeit unserer Wirklichkeit und der Sprache, mit der wir sie erschließen. Im Verlauf der Erzählung kommt die Hauptperson als Paul Auster beim Schreiber des Romans auf Besuch, also bei Paul Auster. Um solche postmodernen Spiegelfechtereien soll hier aber nicht gehen.
Auster erzählt in seinem Roman von dem Theologen Peter Stillman, der sich auf die Suche nach der göttlichen Ursprache macht, die im Paradies vor dem Sündenfall des Menschen gesprochen wurde. Er will den Turmbau zu Babel doch noch zu einem guten Ende führen. Die Bibel erzählt, dass die Nachkommen des Noah diesen Turm errichteten, damit er bis in den Himmel reicht. Um die Macht dieses starken Volkes zu brechen, verwirrte Gott ihre Sprache und er zerstreute es über die ganze Welt. Der Turm wurde nie fertig und seitdem herrscht unter den Menschen ein Babylonisches Sprachgewirr.
Die Debatten um Zuwanderung, den Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern und über die multikulturelle Gesellschaft in Deutschland sind von diesem Sprachgewirr geprägt. Appelle an das gesunde Volksempfinden und das Spielen mit den Ängsten der Bürger tragen dazu bei. Manche taktieren lieber mit Vorurteilen, als sich um Verständigung zu bemühen. Wird Neuköln zum neuen Babel? Und ist Dresden die Alternative?
Der Theologe aus dem Buch von Auster wollte das Sprachgewirr ein für alle Mal überwinden. Stillman hat wenig moralische Skrupel bei seiner Suche. Er schließt seinen Sohn, der in dem Roman natürlich denselben Namen trägt wie er selbst, in einem verdunkelten Zimmer ein. Fortan soll er nie wieder ein menschliches Wort hören. Auf diese Weise würde allmählich die göttliche Ursprache wieder zum Vorschein kommen – so hofft jedenfalls Stillman der Ältere. Ich sagte es: auch unter Theologen gibt es Verrückte.
Stillman wiederholt das Experiment, das vor ihm bereits Pharao Psamtik der Erste im Siebten Jahrhundert vor Christus und Kaiser Friedrich der Zweite im Mittelalter ausgeführt haben. In allen Fällen mit katastrophalen Folgen für die Kinder. Das gilt auch für den jungen Stillman. Er wird zwar rechtzeitig aus seinem Gefängnis befreit und lernt zu sprechen, aber er redet mit einer autistischen Computerstimme, wie wir sie von Servicehotlines kennen.
Geben wir noch einem anderen amerikanischen Theologen das Wort. Dieses Mal ein realer und meines Erachtens auch weniger gestört. Der Exeget Ched Myers hat darauf hingewiesen, dass in der Geschichte vom Turmbau zu Babel die Sprachverwirrung nicht als Strafe Gottes bezeichnet wird. Es handele sich ganz einfach um die Beschreibung einer natürlichen Entwicklung, nämlich dass ein Zusammenleben bunter wird. Und zwar durch Migration: Gott zerstreut die Menschen über die ganze Erde. Am Ende der biblischen Geschichte wird nur der Normalfall beschrieben. Der Text kann dann auch erschlossen werden, indem man das Pferd von hinten aufzäumt, die Turmbaugeschichte also von ihrem Ende her liest. Dann erweist sie sich als göttliches Stoppschild. Gott warnt vor der Versuchung, die vielen Sprachen und Kulturen in einem Land vereinheitlichen zu wollen und einer Leitkultur zu unterwerfen. Das Symbol für diese Versuchung ist der Turm. Gott sieht, dass das Gebäude nicht gut ist. Er wünscht Vielfalt unter den Menschen, das ist die Pointe der Erzählung. Gott mag Migration.
Versuche, alle Menschen gleich zu machen und die kulturelle und religiöse Vielfalt in Deutschland zu vereinheitlichen, können nicht mit göttlicher Zustimmung rechnen. Einwanderer dürfen nicht dem unterworfen werden, was die Bevölkerungsmehrheit normal findet. Deutschland braucht keinen Einheitsbrei. Nicht zuletzt weil der übermäßige Genuss dieses Breis zu Gewalt gegen Fremde, Rassismus und Diskriminierung führt.
Um das zu verstehen, sollte man nicht unbedingt bei Theologen in die Lehre gehen, weil sich unter ihnen solche mit zweifelhaftem Leumund befinden. Nicht nur Heilige, sondern offensichtlich auch Verrückte. Man kann auch einfach seine Bibel aufschlagen und das elfte Kapitel im Buch Genesis lesen. Aber Achtung: dieser Ratschlag kommt von einem Theologen.
Gastbeitrag von Stefan Gärtner
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