Bild (c) Thomas Porwol

Das Internet ist nicht kaputt, wir sind es

Die Datenskandale und aufsehenerregenden Enthüllungen im Überwachungsprogramm der NSA lassen einige Internet-Experten zum folgenden Schluss kommen: „Das Internet ist kaputt“. Dabei funktioniert es einwandfrei, es tut, was es schon immer tun sollte: Es vernetzt. Nur ist es erwachsen geworden und hat sich dem Lauf der Dinge unterworfen, indem es zum Konsumnetz mutierte.Was lief schief in der Medienlandschaft und wer ist schuld? Und warum eigentlich?

Die Datenskandale und aufsehenerregenden Enthüllungen im Überwachungsprogramm der NSA lassen einige Internet-Experten zum folgenden Schluss kommen: „Das Internet ist kaputt“. Dabei funktioniert es einwandfrei, es tut, was es schon immer tun sollte: Es vernetzt. Nur ist es erwachsen geworden und hat sich dem Lauf der Dinge unterworfen, indem es zum Konsumnetz mutierte.Was lief schief in der Medienlandschaft und wer ist schuld? Und warum eigentlich?

Die Netzgemeinde hat sich geirrt

Die Enttäuschung ist den Experten nicht zu verübeln, zumal ihre Einschätzung, resultierend aus den Enthüllungen der letzten Monate und den damit einhergehenden Konsequenzen im Thema Datenschutz, auf einer Analyse beruht, die ehrlicher nicht hätte sein können. Schließlich zählen sich besagte „Experten“ zu dieser Netzgemeinde, die sich anscheinend kräftig im Bild und ihrer Auffassung vom Internet „geirrt“ hat. Der NSA-Spähskandal warf ein neues Licht auf jenes Medium, das seit über einem Jahrzehnt zum Alltag vieler Milliarden Erdenbewohner gehört und nun mit seinen ursprünglichen Idealen und Leitlinien nicht übereinstimmt: Freiheit wandelte sich in totale Überwachung.

Das Internet wurde Verkaufsplattform

Dass Facebook und Google Daten sammeln, wissen wir nicht erst seit dem NSA-Skandal. Google wird sogar zugesprochen, besser als der Geheimdienst zu sein, weil sie mehr relevante Daten haben und diese auch besser auswerten können. Bereits vor Jahren gab es Presseberichte über die Sammelwut vieler globaler Konzerne, die private Daten über ihre Nutzer als lukrative Einnahmequelle sahen und zu Marketingzwecken verarbeiteten oder anderen Firmen überließen. Egal ob Wissen, Shopping oder Social Media; alles wurde unter der Schablone des Marketings subsumiert. Auch wenn der Nutzer es vordergründig nicht mitbekam, hinter all den netten kostenlosen Angeboten steckte eiskaltes Kalkül oder eine Marketingstrategie. Das sollte niemanden verwundern; denn jedes Unternehmen hat ein Interesse, mit einer solch großen Kundenzahl auch irgendwie Geld zu verdienen, schließlich sind die wenigsten Dinge im Leben „gratis“. Im Internet wird eben alles verkauft.

Hat der Konsument versagt?

Das scheint aber nur wenige zu stören. Die Masse der Internetnutzer begegnet den Datenkraken mit unbefangener Offenheit; wir twittern, posten und „whatsappen“ munter weiter –, als wäre nichts gewesen. Dass dabei besagte Konzerne mit wirtschaftlichen Interessen, wie auch ausländische Geheimdienste viele private Daten für ihre Zwecke speichern und gebrauchen, stört die User weniger als so manches (Print-)Medium uns weismachen möchte. Denn ist man ganz ehrlich, dann ist es den meisten, vor allem der jungen Generation, so ziemlich egal. Sie kennen keine Zeit ohne das Internet und gehen mit einer Leichtfertigkeit mit diesem Medium um, die zumindest reflektierende Internetkonsumenten so nicht haben.

Spätestens als Mark Zuckerberg verkündete, dass Privatsphäre ein Luxusgut sei, hätte es einen großen Aufschrei geben müssen, doch sein Postulat verschwand in der medialen Versenkung – so schnell wie es auch gekommen war. Dagegen stiegen die Nutzerzahlen auf Facebook im selben Jahr weiter an. Zugleich wurden diejenigen medial mit Steinen beworfen, die eine vorsichtige Neubewertung des Mediums vorschlugen und von besagten selbsternannten Experten als Feinde der grenzenlosen Internetfreiheit bezeichnet wurden. Ob man nicht spätestens da das Internet hätte „durchleuchten“ müssen, lässt sich im Nachhinein schwer sagen, denn auf der einen Seite hat sich der Internetnutzer blenden lassen, auf der anderen unterlag er seiner Bequemlichkeit und übersah etliche Alarmzeichen.

Hinweise gab es genügend

Häufig frequentierte Meldungen von Internet-Experten waren auf jenen Kanälen zu finden, die man im Nachhinein als unsicher und kaputt bezeichnet. Wussten sie es damals nicht besser oder gab es keine Alternativen? Zumindest die erste Frage lässt sich einfach beantworten: Schon recht früh warnte der „Chaos Computer Club“ vor Manipulation, unfreiwilliger Transparenz der Nutzer und von Absichten der „Kostenlos-Giganten“ an der Auswertung privater Daten und der damit einhergehenden finanziellen Verwertung. Die kleinen Hacker von Nebenan bewiesen ebenso, wie fragil die Sicherheit unseres Netzes ist, indem sie regelmäßig für kleine Schlagzeilen in der internationalen Presse sorgten. Da war „Anonymous“ noch nicht mal gegründet. Selbst Hollywood nahm sich, wohl in weiser Voraussicht, des Themas Überwachung und Sicherheit an. Wer erinnert sich nicht gerne an den 2006 produzierten Blockbuster, mit John McClane als Hauptfigur und seinem unfreiwilligen „Partner“ Matthew Farrell in „Stirb langsam 4.0“: Nachdem dort die jungen Hacker über die Möglichkeit erzählten, alles und jeden zu überwachen, sollte zumindest nach dem Kinobesuch vielen ein Licht aufgegangen sein. Aber es war ja nur ein Spielfilm.

Die wahren Experten sind die Hacker

So war es jener kleine Teil der Netzgemeinde, der schon recht früh mit gedämpfter Stimme vor den Schattenseiten des Internets warnte. Eigentlich paradox: Soviel Schaden sie manchmal anrichten, so nützlich und sinnvoll sind solche Menschen, um uns als Korrektiv behilflich zu sein: in unserer Blindheit, die auch daraus resultiert, dass das Internet mittlerweile alles durchdringt. Es ist so mit unserem Leben „vernetzt“, dass es schwer fällt, Schattenseiten jenes Mediums wahrzunehmen, das mit solch hohen Idealen ursprünglich begonnen hat. Ähnlich wie im menschlichen Körper, bei dem wir Alarmsignale als Zeichen wahrnehmen, sind Angriffe auf das Netz oder seine Infrastruktur nicht nur böse kriminelle Energie, sie sind auch Warnungen, die unzureichende Sicherheitsmaßnahmen aufzeigen und einen leichtfertigen Umgang in Frage stellen. Wir haben den digitalen Schnupfen und Husten ignoriert, das Internet trifft weniger die Schuld.

Es liegt an unserer Einstellung

Da die meisten im Netz „leben“ und auch ohne nicht können, steckt die Krise wohl in unserer scheinfrommen Haltung. Es ist wie mit der Kernkraft: Austeigen wollen sie alle, das Windrad auf der Hauswiese aber will niemand.

Wir verlassen uns zunehmend nicht mehr auf unsere Sinne und schwimmen im Rausch der Bequemlichkeit und angenehmer Nutzererfahrung auf den Wellen des Fortschritts. Dabei ist dieser ganz und gar nicht schlecht, er muss nur von Fachleuten richtig bewertet und genutzt werden. Experten finden sich überall; ehrliche geben wenigstens zu, vieles unterschätzt zu haben. Man muss eben nicht Allem um jeden Preis, jedem Trend folgen, um ja den Anschluss nicht zu verpassen. Der Markt ist das eine, die Menschen sind das andere.

Internet ist Markt, Handeln hat immer Konsequenzen

Die Kontroll- oder Manipulationsmacht geht mit einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens einher. Wenn Google und Facebook die Regeln diktieren, dann können sie das nur deswegen, weil es derzeit kaum Alternativen gibt. Ein Monopol entsteht, das wir durch unsere Wahl geschaffen haben. Der Markt wird außerdem durch wechselwirkende dynamische Prozesse bewegt, viele davon werden von den Konsumenten bewusst oder unbewusst gesteuert. Auch wir in der Kirche sind manchmal durch Experten fehlgeleitet, den Marketingkräften unterworfen, oder vergessen schnell, wie unscheinbaren Handlungen große Konsequenzen folgen. Ein Beispiel:

App, App, Hauptsache App!

Die mittlerweile bis zum Rand mit Apps überladenen Mobiltelefone schreien förmlich nach Freiräumen, von den Tablets ganz zu schweigen. Kaum ist ein kirchlich finanziertes oder aus privater Hand veröffentlichtes Portal online, werden Apps davon erstellt. Diese verschwinden nach dem Jubel beim Download nach drei Tagen in der Versenkung des Smartphones. Weil Apps aber gerade im Trend liegen, wird - statt einer WebApp - eine native App gemacht; ob es Alternativen gibt oder dies für das gegebene Projekt sinnvoll ist, wird offensichtlich nicht ausreichend reflektiert.

Experten auch in der Kirche?

Kürzlich brachten drei Bistümer eine native App

<p> heraus; Monate davor der katholische Pressedienst eine App mit dem Brevier. Beides ohne Zweifel gute Ansätze und Produkte. Leider werden derzeit nur zwei der gängigen Betriebssysteme unterstützt. Das mag unter Marketinggesichtspunkten richtig sein, es handelt sich schließlich um die Platzhirsche im mobilen Bereich, iOS und Android. Dass es aber noch andere gibt, die dicht an einem der Platzhirsche dran sind, scheint wohl nicht beachtet worden zu sein. Hier wird also das Duopol von Apple und Google seitens der Anbieter „befeuert“. Womöglich nutzen die Anbieter der Apps selbst diese Systeme. Nutzer, die andere Systeme, wie Blackberry, Symbian OS, WindowsPhone oder Bada OS benutzen, gehen leer aus. Dazu gibt es noch viele andere Beispiele. Wer Apps herausbringt, will sie verkaufen und programmiert sie auf jenen Systemen, die am meisten benutzt werden – keine Frage. Doch kirchliche Institutionen oder gemeinnützige Organisationen sollten ihre „Produkte“ der größtmöglichen Anzahl von Nutzern zugänglich machen, vor allem, wenn sie ohnehin kostenlos sind. Bildlich gesprochen „exkommunizieren“ sie also viele Handynutzer oder ihre eigenen Angestellten, weil sie womöglich missverständlichen Marktanalysen folgen, obwohl sie nicht am gewinnbringenden Vertrieb ihrer „Produkte“ interessiert sind. Am Geld wird es wohl nicht liegen.</p> <p>So fördern Initiatoren solcher Projekte nur die marktbeherrschende Stellung zweier Unternehmen, anstatt sich Gedanken zu machen, ob eine WebApp, die auf allen Geräten lauffähig und plattformunabhängig ist, Entwicklungsdauer und –kosten spart, nicht die bessere Lösung wäre und Menschen nicht zum Kauf von Produkten „nötigt“, die sie vielleicht nicht angemessen finden. Da hätte man vorher abwägen müssen - Junge Menschen nutzen gewiss iOS oder Android, aber ob sie die größere Zielgruppe eben genannter Produkte darstellen, darf bezweifelt werden. Wohingegen Erwachsene eher solche Produkte downloaden, sie aber nicht nur diese beiden mobilen Plattformen auf ihren Handy haben, sondern auch jene der Konkurrenz.</p> <h2>Es liegt in unserer Hand</h2> <p>Es wird deutlich, wie tiefgreifend Marketingmechanismen sind und was aus unreflektiertem Handeln und gedankenlosem Konsum folgt. In dem man wenige Unternehmen präferiert, sorgt man unweigerlich für deren Wachstum und eine geringere Vielfalt auf dem Markt. Diese Unternehmen sind dann eher in der Lage, Kunden zu manipulieren oder ökonomische Vorgaben zu diktieren. Dieses komplexe Wechselspiel zwischen Konsument, Nutzer und Unternehmen sollte immer bedacht werden, wenn es darum geht, Internet als Plattform und Werkzeug zu benutzen und Menschen zu erreichen. So auch in Social Media: Wenn wir dort alles preisgeben, sollten wir uns auch der weitreichenden Konsequenzen bewusst sein. Erst unser „Verhalten“ macht das Internet zu dem, was es ist.</p> <p>Die Spirale dreht sich dann weiter, wenn jeder Experte und Berater, ob von der Kirche oder anderen Non-Profit-Unternehmen, womöglich eine einseitige unreflektierte Empfehlung ausspricht. Doch welche Wahl hat man? Diese Frage lässt sich nicht immer zufriedenstellend beantworten, denn viele Dinge sind nun einmal, wie sie sind. Auf die Meinung mehrerer zu hören, hat sich manchmal besser bewährt, als sich auf ein einziges Urteil zu verlassen – so auch im Internet. Wir sollten die kritische Auseinandersetzung mit diesem Medium nicht scheuen, denn seine Entwicklung diktieren in erster Linie nicht die Konzerne, sondern die Nutzer selbst.</p> <h2>Der kreative Mensch bleibt unabhängig</h2> <p>Ungeachtet aller Krisen zeugt das Internet von der Vielfalt menschlicher Wege, diesen Dingen auch mit Humor zu begegnen. Trotz NSA und Supercomputer wird es eine Macht im Internet geben, die nicht beherrschbar ist und kontrolliert werden kann: Die Kreativität. Gleich wie groß die Apparate der Geheimdienste sind, es wird immer Menschen geben, die sie überlisten werden. Der Mensch wird Mittel und Wege finden, sich von Skandalen loszulösen und neue Möglichkeiten zu entdecken. Ein neuer Internetoptimismus muss nicht entwickelt werden, er ist bereits da. Die jungen Menschen lassen sich nicht von Skandalen beirren, wir müssen ihnen nur helfen zu reflektieren, welche Folgen sie zu erwarten haben und was sie in Zukunft beachten sollten. „Open Source“ und „Google-Kostenlos“ ist nun mal nicht immer besser als „bezahlt“. Das lehrt uns die Tragik jüngster Ereignisse. Derzeit ist das Internet auf dem Weg zu seiner „Volljährigkeit“ und wird Kinderkrankheiten ablegen. Wenn wir uns eingestehen, dass wir diesen Reifeprozess in der Hand haben, muss man nicht so weit gehen und das Internet als „kaputt“ bezeichnen. Auch die Politik wird einschreiten müssen, doch dazu muss unsere Stimme noch laut genug werden.</p>


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