Foto: Can Dündar, zur Verfügung gestellt von PEN

Das gefährlichste Gift ist die Hoffnung!

Zwei türkische Journalisten haben die Unterstützung des deutschen PEN erfahren. Dieser Verband setzt sich für Schriftsteller und Journalisten ein, die wegen ihrer Berufsausübung verfolgt werden. Den diesjährigen Herrmann Kesten-Preis erhielten Can Dündar und Erdem Gül. PEN stellt explizit.net die Rede der Fernsehjournalisten Thomas zur Verfügung, die dieser anlässlich der Preisverleihung am 17.11. in Darmstadt hielt.

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Zwei türkische Journalisten haben die Unterstützung des deutschen PEN erfahren. Dieser Verband setzt sich für Schriftsteller und Journalisten ein, die wegen ihrer Berufsausübung verfolgt werden. Den diesjährigen Herrmann Kesten-Preis erhielten Can Dündar und Erdem Gül. PEN stellt explizit.net die Rede der Fernsehjournalisten Thomas zur Verfügung, die dieser anlässlich der Preisverleihung am 17.11. in Darmstadt hielt.

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Es war ein funkelnder Februartag in einer der schönsten Landschaften, die diese Gegend am südlichen Ende der Welt zu bieten hat. Über die hügelige Landschaft erstreckten sich die vom heißen Sommer beinah ausgeglühten Weinberge. Und doch trieben die grünen Rebenblätter schon seit ein paar Wochen aus.

In der Ferne flossen sanft die Wolken herab von dem in aller Welt berühmten Berg. Unten in dem kleinen und sauber geordneten Provinzstädtchen schoben sich langsam die beiden mächtigen Flügel des Gefängnistores beiseite. Es war ein unwirklicher Moment. Ein Moment, der in der Vorstellung der Regierenden über Jahrzehnte gar nicht vorgesehen war. Und zugleich lag doch an diesem Tag die Ahnung in der Luft, dass dies der Anfang vom Ende eines Systems bedeuten könnte, das Menschen über Jahrzehnte in Haft gehalten hat. Aber dieses System war bei aller Abgefeimtheit doch nicht stark und brutal genug, diesen einen Mann zu vernichten oder doch wenigstens bis an sein Lebensende hinter Mauern zu verbergen, um den es an diesem Tag ging. Andere hatte es gemordet. Heimlich nachts oder offen am Tage. Es war die Stunde der sogenannten "death squads", der Todesschwadronen. Immer umgeben von dem Lügengespinst, dass sie eigentlich gar nicht existierten. Der schlanke, hoch aufgeschossene Mann ging nicht, nein, er schlenderte geradezu. Seine Miene war heiter. Er machte die letzten Schritte auf seinem langen Weg in die Freiheit. Nach über 27 Jahren Haft. Hat er je die Hoffnung verloren in den dunklen Stunden seines Lebens hinter Mauern als selbst er weltweit vergessen schien? - "Wissen sie", sagte er mir bald danach in einem kleinen Garten von Soweto, "es ist immer besser ein Optimist zu sein als ein Pessimist!"

Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass es Nelson Mandela gelungen ist, sich an jenen Grundsatz zu halten, den er sich auch für schwere Stunden verordnet hat. Sein ganzes Leben vor und nach dem Gefängnis steht dafür. Aber es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass er in den langen Nächten auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt nicht doch gerungen hat mit dem "gefährlichen Gift der Hoffnung", wie Can Dündar das in seinen "Aufzeichnungen aus dem Gefängnis" nennt. Dort schreibt er: "Nimmst du zwei Dosen davon, beginnst du zu schweben und scheuchst die Tauben in dir auf, anschließend braucht es eine Menge Wärter, Weissager, Anwälte, Beruhigungsmittel, um sie wieder in den Käfig zu sperren."

Can Dündar, Lebenslang für die Wahrheit, Aufzeichnungen aus dem Gefängnis. Hamburg 2016, Hoffmann und Campe, p.271

Was wir heute anlässlich der Verleihung des Hermann Kesten-Preises an Can Dündar und Erdem Gül wissen: es ist trotz aller harten Repression dem diktatorischen Regime Erdoğan nicht gelungen, Dündars und Güls "Tauben" wieder in den Käfig zu sperren. Auch wenn ihm die Unterdrückung und das Wegsperren von so vielem anderen gelungen ist: Von weiteren Kolleginnen und Kollegen von Cumhuriyet einschließlich des Herausgebers. Der Pressefreiheit. Der unabhängigen Justiz. Die Opposition soll eingeschüchtert und buchstäblich zerschlagen werden. Erdoğans Ziel ist offenbar, die Auflösung der Grundstruktur des laizistischen Staates Türkei. Die Gewaltenteilung ist de facto aufgehoben. Nach außen formuliert Recep Erdoğan immer deutlicher den Anspruch großtürkischer Machtausübung auch über die jetzigen Grenzen der Türkei hinaus. Er scheint gar mit der Größe des untergegangenen osmanischen Reiches zu liebäugeln. Im Nebel dieses Gedankens beginnt also ein weiteres Monster den Kopf zu heben. Nach innen ist ein anderes schon aktiv mit der rabiaten Zertrümmerung letzter Hoffnungen auf Liberalität und Freiheit einer offenen Gesellschaft zugunsten der eigenen Machtherrlichkeit. Der Grund dafür ist einfach beschrieben: Erdoğan und seine ihm ergebenen Gefolgsleute halten selbst letzte Reste von Hoffnung auf eine offene Gesellschaft für ein "gefährliches Gift". Daher die Repression, die längst Züge eines Putsches von oben trägt.

Was mich so beeindruckt sind Sätze Can Dündars wie die folgenden, die auch für Erdem Gül gelten:

"Unser Bericht war stark. Mein Gewissen rein. Es gab ein öffentliches Interesse an diesen Informationen. Dafür traten wir ein. ´Was kann schlimmstenfalls passieren?,“ fragte ich (also Dündar TR). ´Sie führen nachts eine Razzia in der Druckerei durch, beschlagnahmen die Zeitung, nehmen dich fest und erlassen einen Haftbefehl´, sagten die Anwälte. ´ Gut, dann drucken wir´, sagte ich." Can Dündar, Lebenslang für die Wahrheit. a.a.O.

Es geht um die Wahrheit, sagen Can Dündar und Erdem Gül und sie stehen dafür ein. Auch im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri. Die Wahrheit ist in diesem Fall, dass der türkische Geheimdienst Waffen an islamistische Milizen in Syrien geliefert hat, die er eigentlich offiziell bekämpft. Can Dündar, Erdem Gül und ihre Zeitung Cumhuriyet, im Übrigen eine der ältesten Zeitung der Türkei, haben das dokumentiert. Das gehört zu ihrer journalistischen Arbeit. Die Machthaber haben das nicht ertragen. In einer beispiellosen Verhaftungsaktion haben sie weitere Journalisten von Cumhuriyet und noch viele andere ins Gefängnis geworfen. Lehrer, Schriftsteller, Politiker. Ihnen allen, genauso wie Dündar und Gül, muss unsere Solidarität im Namen von Demokratie und Pressefreiheit gelten.

Es darf nicht sein, dass der Umbau der Türkei in ein immer diktatorischeres Regime, der Angriff auf unsere Kolleginnen und Kollegen und auf die Demokratie selbst von uns ohne Antwort bleibt. Es war deshalb eine nötige und richtige Geste, dass der deutsche Bundespräsident Can Dündar in Berlin im Schloss Bellevue empfangen hat.

Und es muss sein, dass ein Europa, das seine Werte ernst nimmt, klar sagt, dass Demokratie und Pressefreiheit nicht verhandelbar sind. Und dann auch entsprechend handelt. Mag sein, dass das alles Präsident Erdoğan inzwischen egal ist. Aber uns kann es nicht egal sein. Es steht die Glaubwürdigkeit von europäischer Politik auf dem Spiel. Eines aus Krieg und Trümmern hervorgegangenen Europas, das die Presse- und Publikationsfreiheit braucht wie die Luft zum Atmen. Das muss eine bleibende Lektion aus der Geschichte sein. Erst recht wenn Populismus, autokratische Herrschaft und der Abbau von Demokratie wieder Konjunktur haben. In der Türkei. In Ungarn. In Russland. Auch der schmutzige und zum Teil mit Lügen und Drohungen geführte Wahlkampf in den USA ist kein gutes Zeichen.

Das Schicksal von Hermann Kesten, nach dem dieser Preis benannt und dem er gewidmet ist, zeigt, wohin all diese Tendenzen am Ende führen können. Er musste selbst fliehen und hat danach auch noch anderen zur Flucht in die Freiheit verholfen. Gerade die Erfahrungen aus jener Zeit sind der Grund dafür, dass das angesichts der Flüchtlingskrise wieder debattierte Asylrecht für politisch Verfolgte bei uns im Grundgesetz steht. Wie gut, dass wir es haben.

"Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!" Diesen Satz kennen zumindest viele der Älteren bei uns noch. Gerufen hat ihn 1948 der spätere Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter angesichts der sowjetischen Blockade von Westberlin. Der von den Nazis verfolgte Ernst Reuter selbst überlebte im Exil in der Türkei. Auch anderen gelang das noch. Ernst Reuters Sohn Edzard kann heute noch davon erzählen. Es ist deshalb richtig, dass der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Michael Roth, sehr deutlich auf die Möglichkeit des politischen Asyls bei uns für die in der Türkei Verfolgten hingewiesen hat. Künstler, Schriftsteller, Journalisten und andere. Ja, wir sollten sie einladen. Jetzt ist der Augenblick, der zählt.

"Lebenslang für die Wahrheit" hat Can Dündar seine "Aufzeichnungen aus dem Gefängnis" überschrieben. Und Wahrheit, auch das zeigen uns Can Dündar und Erdem Gül, ist in der seriösen freien Presse das mühsame Zusammensetzen von Puzzleteilen und Plausibilität. Die sorgfältige Trennung von Fakt und Fiktion. Die Wahrheit und das Ringen um sie macht Arbeit. Denn die Wahrheit liegt nicht einfach irgendwo auf der Straße herum, um eben mal aufgeklaubt zu werden. Das Aufspüren und das Zusammensetzen ihrer Einzelteile sind mühsam. Seriöse Presse ringt darum täglich.

In diktatorischen Verhältnissen ist diese Arbeit besonders gefährlich. Can Dündar hat das erfahren. Er ist nur deshalb noch am Leben, weil seine Frau dem potentiellen Todesschützen in den Arm gefallen ist. Der Schuss traf nicht ihn, aber er verletzte einen anderen. Und er zielte auf die freie Presse als Ganzes. Deshalb haben wir auch als Ganzes dafür einzustehen. Je unruhiger die Zeiten sind, desto mehr brauchen wir dazu eine eindeutige Haltung. Can Dündar und Erdem Gül zeigen, wie sie aussehen kann. Dafür bin ich ihnen dankbar.

"Die Hoffnung ist das gefährlichste Gift" hat Dündar geschrieben. Das gilt ganz bestimmt für die einsamen und verzweifelten Momente in einer Gefängniszelle, wie er und sein Kollege sie erlebt haben. Aber diese Hoffnung ist zugleich auch die stärkste Kraft, wenn die Zeiten besonders hoffnungslos zu sein scheinen. Nelson Mandela hat beschrieben, wie er und seine Mitgefangenen auf der Gefängnisinsel "Robben Island" über Jahre hinweg Visionen für die Zukunft eines friedlichen Südafrika ohne Apartheid debattiert und entworfen haben. Es war damals für die Häftlinge äußerst unwahrscheinlich, dass diese Visionen je Wirklichkeit werden würden. Die Gefangenen um Nelson Mandela haben während ihrer Haft trotzdem an der Zukunft geschmiedet. Mehr als eine vage Hoffnung auf Freiheit hatten sie nicht. Es brauchte lange Jahre bis die internationale Solidaritätsbewegung groß genug war, um ihrerseits diese Hoffnung nähren zu können. Diese Solidarität für unsere Kolleginnen und Kollegen in der Türkei brauchen wir heute wieder.

Dass Can Dündar und Erdem Gül heute Abend den Herrmann Kesten-Preis verliehen bekommen hat viele gute Gründe. Einer davon ist der lapidare Satz, den Dündar trotz der drohenden Repressalien auch im Namen seiner Mitarbeiter ausgesprochen und entsprechend gehandelt hat. Der Satz: "Gut, dann drucken wir!"

Ein anderer Grund ist der, dass es durch Can Dündars und Erdem Güls Beispiel zum Verdruss der Machthaber eben doch eine Kontinuität der Hoffnung gibt. Auch wenn die Verhältnisse widrig sind. Eine Hoffnung, die sie selbst brauchen. Eine Hoffnung, die beide aber zugleich auch den Kolleginnen und Kollegen in der Türkei weiterreichen. Und all jenen in anderen Ländern, in denen die Pressefreiheit unter Druck oder gar abgeschafft ist. Wir dürfen sie nicht alleine lassen.

Dündar und Gül haben gehandelt und erheben ihre Stimme nach wie vor. Darin müssen wir sie stärken. Und damit auch jene, die unter fadenscheinigen Anwürfen und haltlosen Anklagen in der Türkei in den Gefängnissen sitzen. Es geht um ihre Freiheit. Und damit geht es auch um unsere Freiheit.

Can Dündar und Erdem Gül: Herzlichen Glückwunsch zum Hermann Kesten-Preis.

Thomas Roth



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