Leser*innen wollen mehr über die Autor*innen wissen, als die Presseabteilungen preisgeben (Foto: hinsehen.net/E.B.)

Das Buch ist Social Media-affin

Das Buch ist wie ein Boot, es muss Wasser unter sich haben, damit es nicht herumsteht, sondern durch die Köpfe fahren kann. Das Wasser sind die Gespräche über die Ladung, die das Buch transportiert, über seine*n Autor*in, die Reederei, das ist der Verlag. Wasser bringen die Social Media unter einen Titel. Das Buch hat seine großen Fahrten noch vor sich.

Die digitalen Medien verlieren mehr und mehr ihren Neuigkeitswert. Der Pionier der Social Media, Facebook, büßt immer mehr Renommee ein. Instagram heißt oft nicht Content, sondern vielfach nur Selbstdarstellung, Verweis auf Interessantes, Aufregendes, zu wenig auf Relevantes. Content bleibt weiterhin am besten zwischen zwei Buchdeckeln aufgehoben. Jedoch strahlt der Markenwert des Buches noch zu wenig in die digitalen Media. Es wird sogar durch die Pressemitteilungen und Newsletter der Verlage langweilig verpackt. Jede Zahnbürste wird mit mehr Markenbewusstsein verkauft als ein Buch. Die Verlage aktivieren ihr kommunikatives Kapital kaum, auch nicht, dass der Markenwert des Buches in der Gesellschaft ungefragt ist und den von Nivea oder Mercedes übertrifft.

Buch – Kernbereich der Kultur

Das fehlende Selbstbewusstsein der Verlage zeigt sich in dem Ruf nach Subventionen. Hat das Buch das nötig? Es ist doch immer das Buch, in dem die Kernkompetenz einer kulturellen Tätigkeit aufgehoben ist, die großen Geschichten, die Philosophie und vorher schon die Religion, die Mathematik, die Musik im Notenbuch, der Film im Drehbuch. Wer kann eine kulturelle, wissenschaftliche, medizinische, mediale Leistung erbringen, ohne ein Buch zur Grundlage zu haben? Das wissen inzwischen auch die mit den digitalen Medien aufgewachsenen Jahrgänge. Nur baut sich das Kommunikationsnetz der Digital Natives ganz anders auf. Es ist wie ein Fluss, der sein Bett verlegt hat – die Reedereien haben es nicht gemerkt und sind so auf dem Trockenen sitzengeblieben. Das Buch braucht wie jedes kulturelle Erzeugnis ein Umfeld, das Gefühl, dass etwas fließt. Die Branche baut zwar weiter Boote, lässt diese aber an Land liegen.

Einen Titel auf die Reise schicken

Wie ein Schiff ist das Buch dazu da, etwas zu transportieren. Dafür muss es sozusagen durch die Gehirne fahren. Das gelingt dem Buch der Bücher immer noch. Schiffe, die eine Geschichte transportieren, werden sogar verfilmt, um noch mehr Gehirne zu erreichen. Für viele Fragen gibt es die Transporteure von Gedanken, Strategien, Methoden. Eines verspricht das Buch durch seine physische Existenz: Es ist mit Sorgfalt gebaut, es ist, anders als das flüchtige Internet, in mehreren Stufen geprüft, überarbeitet, korrekturgelesen. Jedes Buch bewirkt etwas, vor allem vermittelt es ein tieferes Verstehen und einen größeren Überblick, indem es Zusammenhänge herstellen kann. Dem*Der Leser*in kann man, anders als Facebook oder Fernsehen, leicht deutlich machen, dass er keine Zeit verliert, wenn er liest.

Lesen erfordert mehr

Das Schiff mit der Gedankenladung fährt flussaufwärts. Denn Lesen ist anders als das Bildschirm-Wischen oder das Zappen kein Sich-Treiben-Lassen. Damit die Ladung überhaupt in die Gehirne kommt, muss das Buch durch einige Schleusen: Die Leser*innen müssen ihm Zeit widmen. Sie müssen die Ladung interessant finden. Jemand muss ihnen sagen, was sie von der Ladung haben werden. Wenn es gelingt, die Ladung so herauszustellen, dass diese nur über die Seiten zwischen den beiden Buchdeckeln zu bekommen ist, dann werden sich viele Schleusen öffnen. Es gibt viele Anknüpfungspunkte, über ein Buch zu reden. Je mehr über ein Buch geredet wird, desto mehr Chancen hat es, den Fluss hinaufzukommen. Wendet man das Bild auf die heutigen Fahrtrouten an, dann gibt es viel mehr Kanäle als früher. Denn über Facebook und die jüngeren Social Media wird sehr viel mehr geredet. Noch zu wenig über Titel. Es gibt nicht mehr nur die wenigen Plätze in Zeitschriften und Zeitungen, auf denen das Buch Thema werden kann. Deshalb ist es unverständlich, warum Pressearbeit als der Königsweg gilt, um Wasser unter einen Titel zu bekommen. Und wie will man die jüngeren Jahrgänge erreichen, die keine Zeitung und keine Zeitschrift mehr in die Hand nehmen, die oft nur auf dem kleinen Handybildschirm unterwegs sind. Der Großteil der Verlagswerbung erreicht die jüngeren Zielgruppen nicht. Man konkurriert mit vielen anderen um sehr wenige Plätze, während es viele neue Kanäle gibt.

Die digitalen Kanäle

Um ins Gespräch zu kommen, also genügend Wasser unter dem Kiel zu haben, bieten die Social Media sehr kostengünstig die Erreichbarkeit auch kleinster Zielgruppen an.
Noch effektiver sind Newsletterverteiler. Diese müssen, anders als Pressemitteilungen, gestaltet werden. Wenn der Verlag einfach über einen einzigen Verteiler jeweils auf Neuerscheinungen aufmerksam macht, funktioniert das nicht. Denn es gibt kaum Leser*innen, die sich für alles interessieren, was ein Verlag herausbringt. Was vielleicht mit einer Anzeige in einer Zeitschrift Aufmerksamkeit erhält, dass nämlich zu diesem Thema diese*r Autor*in etwas veröffentlicht hat, wird in den digitalen Medien nicht mehr registriert. Die Zielgruppen wollen „gezielt“ zu ihrem Interessenschwerpunkt angesprochen werden. In den Social Media sind Streuverluste sogar kontraproduktiv. Wenn ich von einem Verlag eine Mail erhalte, sollte schon etwas für mich drinstehen. Will der Verlag mit einem Titel auftreten, will er zeigen, dass aus der Werkstatt etwas kommt, dann ist das Banner das Werbeformat, Präsenz zu zeigen. Hier sind wir bei dem entscheidenden Manko, warum das Buch zu wenig ins Gespräch kommt:

Ankündigen

Das Buch wird erst auf die Reise geschickt, wenn es fertig ist. Aber wie das Wasser in einem Fluss nicht steht, so ist ein Buchtitel keine Statue, sondern etwas, was in Fluss gebracht werden muss. Wie ein Film, eine Inszenierung, ein Konzert angekündigt werden, braucht das Buch Vorlauf. Nur wenige Titel werden nämlich wie ein Obelisk oder eine Statue zu Orientierungspunkten in der kulturellen Topografie. Den „Faust“ oder die „Buddenbrooks“ stellen sich einige noch immer in den Bücherschrank, aber gelesen werden andere Titel. Von Instagram kann man sich abschauen, wie man den Vorlauf inszeniert. Und hier sind wir bei der ungenutzten Ressource, die die Verlage ins Spiel bringen könnten.

Personalisierung

Die Leser*innen wollen mehr über die Autoren und Autorinnen wissen, als die Presseabteilungen preisgeben. Die Social Media bieten dafür viel Raum. Der wird aber denen überlassen, die Lippenstifte ausprobieren, Modetrends initiieren, Kochrezepte weitergeben. Ein Format, das Leser*innen am Entstehen von Gedanken, von Recherchen, von Geschichten teilhaben lässt, würde viel Wasser unter den Kiel eines Titels spülen. YouTube als kostenfreie Werbefläche ist noch nicht entdeckt. Da Sachbuchautor*innen nicht nur Bücher schreiben, sondern Vorträge halten, beraten, in der Weiterbildung aktiv, als Reiseführer unterwegs sind, liegt es nahe, auch die anderen Felder, in den eine Thema verhandelt wird, mit dem Buchtitel zusammenzuführen. Über das Thema finden die Bücher eher ihre Leser*innen als über die Homepages oder Ankündigungen in Shops. publicatio e.V. richtet mit dem Themenpool eine Plattform ein, über die Autoren sich mit dem Spektrum ihrer Tätigkeiten präsentieren können. Links auf Titel finden ausreichend Platz auf den Themenseiten. Erste Konturen finden sich unter themenpool.net (externer Link)

Eckhard Bieger
publicatio e.V.


Kategorie: hinsehen.net Analysiert

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