Mord gebiert Mord, Kathedrale von Autun, Foto: hinsehen.net E.B.

Das Böse gibt es nicht einfach, es entsteht erst

Natürlich gibt es üble Nachrede, Mobbing, Mord. Sie lauern als Reaktion auf Enttäuschung, Demütigung, Sich-benachteiligt-Fühlen, als Rache für erlittenes Unrecht. Es braucht also erst einmal andere, damit Böses geschehen kann. Dann muss das Schaden-Wollen hinzukommen. Aus welchen Konstellationen, Zusammenhängen erwächst dann das Böse?

Wenn das Böse eher Reaktion als Aktion ist, dann reagiert der Mensch auf etwas, das bereits da sein muss. Mobbing und Schädigung zielen auf etwas, das gut ist, sonst könnte man es nicht zerstören, den guten Ruf, den Besitz, das Leben des anderen. Böses kann nur entstehen, wenn es bereits Gutes gibt. Abe damit eine Schädigung böse ist, braucht es die Absicht. Ein Tsunami ist nicht böse, auch nicht ein Zusammenstoß, der aus Unachtsamkeit geschieht

Böses setzt auch Bewusstsein voraus

Böses verbinden wir mit einer Absicht. Absicht braucht ein Wollen, das sich selbst das Ziel setzt. Schlage ich zurück, wenn ich angegriffen werde, ist das erst einmal eine Reaktion, vergleichbar dem Bremsen, wenn ein Fußgänger über die Straße läuft oder ein Auto mir die Vorfahrt nimmt. Erst wenn ein Wesen sich Ziele setzen und diese bewusst ansteuern kann, ist es zum Bösen fähig. Ob Tiere „böse“ sein können, ist daher eine Frage. Die führt dann zu der Überlegung, dass der Mensch zu dem Bewusstsein kommen muss, Böses als solches zu unterscheiden. In der Bibel gibt es dazu eine feinfühlige Beobachtung. Das Böse erkennen Adam und Eva erst nach dem Biss in die Frucht vom Baum der Erkenntnis. Sie erkannten da nicht nur, dass sie nackt waren, sondern Gott stellt resignierend fest:

„Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!“

Ohne die Erkenntnis des Bösen gibt es kein Gutes

Wenn die Menschen Gut und Böse unterscheiden können, dann steht ihr Leben auf dem Spiel. Die im nächsten Kapitel der Bibel folgende Erzählung von Kain und Abel bestätigt das. Zwei Folgerungen lassen sich ableiten:

1.     Es gibt einen Baum des Lebens, zu dem der Mensch durch Vertreibung aus dem Paradies keinen Zugriff mehr hat

2.     Der Mensch ist mit dem Unterscheidungsvermögen nicht an das Böse gefesselt, er kann auch gezielt das Gute tun.

Allerdings wohnt dem Zwist zwischen Kain und Abel eine Dynamik inne, gegen die Kain sich nicht wehren kann. Der erste Mord macht deshalb eine Rechtsordnung erforderlich. Indem der erste Getötete zum Helden wird, kann er weitere Morde verhindern, weil sein Sterben jedes Jahr rituell wiederholt wird. Diese Deutung hat René Girard aus den Mythen herausdestilliert. Die Zusammenhänge sind in „Das Glück des anderen führt zu Mord“ dargestellt.

Das Böse kann nur erzählt, nicht aus einem Prinzip abgeleitet werden

Das Böse tritt also erst dann auf, wenn es ein sich selbst Ziele setzendes Ich gibt und die Unterscheidung von Gut und Böse gelingt. Das zeigt, dass das Böse nicht am Anfang stehen kann, es braucht etwas, das schon da ist und als lebensfördernd zerstört werden kann. Das wird auch daran deutlich, dass in jedem Kind die Möglichkeiten des Guten wie des Bösen liegen. Auch der einzelne Mensch kann nicht nur gut oder nicht nur böse sein. Zumindest zu den eigenen Leuten wird der Mafiaboss wohlwollend sein, ihn sogar schützen und, wenn er getötet wurde, auch rächen. Wir leben in einer Welt, die nur existieren kann, weil es das Gute, das Lebensfördernde gibt, die aber zugleich vom Bösen durchmischt ist. Das Böse kommt nicht nur von außen auf mich zu. Ich bin zwar auch schlecht, weil ich in das Böse anderer verwickelt bin und selbst zum bösen Tun hingezogen werde. Das Böse kommt aber auch aus mir selbst. Das erzählt die Geschichte von Kain. Gott warnt kein vor dem Bösen, das wie ein Dämon vor der Tür lauert. Kain ist dabei nicht aus sich schlecht, sondern kann es nicht aushalten, dass Gott auf das Opfer Abels sieht. „Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich,“ heißt es in der Bibel. Das Böse entsteht aus dem Zusammenhang der Lebensvollzüge, es ist nicht vorher da, sondern es braucht erst die Situation, die den Menschen zu Neid, Eifersucht, Rache hinzieht. Weil er sich kaum seiner Gefühle erwehren kann, braucht es eine Rechtsordnung, damit die Gefühle nicht das Zusammenleben dominieren. Da es kein Böses „an sich“ als Prinzip in der Welt gibt, können die Philosophen wenig zu dem Auftreten des Bösen sagen. Die Erzählung, nicht zuletzt der Krimi, ist daher das Medium, in dem sich die Menschen mit dem Bösen auseinandersetzen

Der Teufel ist ein abgefallener Engel

Die Bibel ist auch hier dem Bösen auf der Spur. Sie erklärt das Böse nicht als ein göttliches Prinzip. Der Teufel ist kein Gegengott, wie das noch in der Götterwelt unserer germanischen Vorfahren dargestellt wurde. Da gab es neben den Göttern die Riesen, die sogar die Götter besiegen konnten. So erzählt es die Edda. In der Bibel ist der Satan ein abgefallener Engel. Girard sieht den Satan nur als flüchtige Gestalt, die sich wie ein Hurrikan über der menschlichen Gemeinschaft auflädt, um auch wieder zu verschwinden.

Das Böse erfordert eine lebenslange Auseinandersetzung

Weil das Böse aus Situationen entsteht, entkommt der Mensch dieser eigenartigen Kraft nicht, auch nicht in hohem Alter. Deshalb ist es notwendig, dass sich eine Gesellschaft bewusst bleibt, dass das Böse immer wieder geschieht. Die Nachrichten erzählen es fast jeden Tag. Am gefährlichsten ist es, wenn eine Regierung, eine Gruppe oder gar eine Religionsgemeinschaft behaupten, sie hätten das Böse endgültig aus ihren Reihen verbannt. Ob Kommunismus, die Katholische Kirche oder jetzt auch Amnesty International zeigen, dass man das Zusammenleben nicht so konstruieren kann, dass keine Situationen entstehen, in den nicht böse gehandelt werden könnte.

Links
Amnesty International – Toxisches Arbeitsklima
Das Glück des anderen führt zu Mord
Rene Girard, Der Teufel als „Luftnummer“ in: „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz: Eine kritische Apologie des Christentums“



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