Der Drache, der die Gebärende mit einem Wasserstrahl von der Flucht in die Wüste abhalten will. Foto: explizit.net E.B.

Dämonische Wesen im Freiburger Münster

Über 90 Wasserspeier schützen den Sandstein des Freiburger Münsters vor der Witterung. Beim genaueren Blick entdeckt man scheußliche Fratzen und so manch skurrile Figur. Auf Spurensuche nach dämonischen Wesen in einer christlichen Kathedrale.

Griechische Mythologie als Katechese

Noch in der Romanik beheimaten viele Kirchen Fabelwesen und Figuren der griechischen Mythologie. Einige von ihnen lassen sich noch immer in der Nikolauskapelle, dem ältesten Teil des Freiburger Münsters, finden. Hier warnt noch heute Alexander der Große mit seinem Höhenflug vor einem hochmutigen Lebensstil. Im Mittelalter dienten Darstellungen wie diese zur katechetischen Unterweisung. In den antiken Erzählungen erkannte man sowohl positive als auch negative Beispiele für das christliche Leben. So lange, bis Bernhard von Clairvaux diese Praxis kritisierte: „Was sollen hier Bilder unreiner Affen, wilder Löwen, fantastischer Zentauren und Halbmenschen? Dass man lieber auf diese Figuren als auf den Inhalt der Bücher sein Auge richtet!“. Mit seiner Kritik und seinen Reformen zum Kirchenbau beeinflusste er die christliche Architektur nachhaltig.

Wasserspeiender Drache in der Apokalypse

In der Gotik verbannte man alles nicht-christliche aus den Kirchen. Dennoch bediente man sich der heidnisch-dämonischen Darstellungen. Die Fabelwesen und Kreaturen verwandelte man in Wasserspeier, die die Kathedralen in doppelter Weise bewahren sollten: Zum einen sollten die Wasserspeier die Kirchen ganz funktional eine allzu schnelle Erosion der Sandsteinmauern verhindern. Auf der anderen Seite sollten die Fratzen das Böse vertreiben und das Dämonische aus dem Kirchenraum fernhalten.
Weil man im mittealter den Kirchbau-Ideen in der Bibel suchte, entdeckte man eine Verbindung zwischen Wasser und Drache. Im 11. und 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes kämpft ein Drache gegen eine Frau und ihr Kind. Er wird von Michael auf die Erde geworfen. Dort verfolgt er die Frau

Aber der Frau wurden die beiden Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste an ihren Ort fliegen konnte. Dort ist sie vor der Schlange sicher und wird eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit lang ernährt. Die Schlange spie einen Strom von Wasser aus ihrem Rachen hinter der Frau her, damit sie von den Fluten fortgerissen werde. Aber die Erde kam der Frau zu Hilfe; sie öffnete sich und verschlang den Strom, den der Drache aus seinem Rachen gespien hatte. Kap. 12, 14-16

Personifizierte Hauptsünden als abschreckende Beispiele

Zudem dienten die Wasserspeier als abschreckende Beispiele und Warnung vor einem lasterhaften Leben. Ganz oben auf dem Münsterturm in windiger Höhe befindet sich eine Figurengruppe, die die sieben Hauptsünden darstellt. Mit bloßem Auge sind die Figuren kaum zu erkennen. Die alten Statuen, die durch neue ersetzt wurden, befinden sich heute im Augustiner Museum in Freiburg. Dort kann man sich ihnen bis auf wenige Zentimeter nähern. Das interessante daran ist, diese Wasserspeier sind nur Attrappen. Im hohlen Turmhelm ist eine Wasserableitung nicht nötig.

Warnung vor den Abgründen des Menschen

Ein dicker Mann mit Geldsack stellt die Habgier dar, eine nackte Frau, die als „Venus von Freiburg“ bekannt ist, die Unkeuschheit. Die Überheblichkeit wird durch einen Ritter personifiziert und die Unmäßigkeit durch ein fressgieriges Schwein. Ein Wesen aus Löwe und Mensch, das sich die Haare rauft, warnt vor den Folgen des Zorns. Zwei weitere Figuren sind verloren gegangen. Als man in den 1920er-Jahren eine beschädigte Figur ersetzen wollte, wusste man nicht, dass es sich bei der Figurengruppe um die Siebentodsünden handelt. Da man den Münsterbaumeister Dr. Friedrich Kempf mit einer Skulptur im Münster ehren wollte, wählte man ihn als Modell für die neue Wasserspeier-Attrappe. Heute, seitdem man weiß, wen die Figuren eigentlich darstellen, birgt die Nachbarschaft des Baumeisters eine gewisse Komik.

Herrschaftswechsel in der Taufe

Das Freiburger Münster zeigt, dass das Mittelalter das Böse und das Abgründige im Menschen nicht ignorierte. Man führte sich die Konsequenzen eines lasterhaften Lebens vor Augen. Gleichzeitig funktionalisierte man die dämonischen Wesen und nahm sie für die Kirche als Schutz in Dienst. Eine Konsequenz paulinischer Theologie, die den Herrschaftswechsel verkündet, der in der Taufe vollzogen wird. Nicht mehr das Böse in Form der Sünde ist Herr über das Leben, sondern Christus. Dieser Zuspruch ist verbunden mit der Warnung, sich nicht mehr den alten Herren anzuschließen, sondern ein tugendhaftes, christliches Leben zu führen.



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