St. Annenkirche, Augsburg, F. explizit.net E.B.

Biblisches Storytelling

Das Leben schreibt absurde Geschichten. „Glaubt mir sowieso keiner.» Dagegen werden lieber Sachen erzählt, die aufbereitet wurden. Die Geschichte hat sich schon so ungefähr ereignet, aber den Skandal, den hat man geschickt ausgelassen. Die Widerhaken, die Ungereimtheiten und phantastischen Elemente hat man entfernt. Übrig bleiben dann Stories, die Hollywood schön und reich verfilmen kann. Dann gibt es noch das, was die Evangelisten berichten: antikes Arthousekino.

«Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das Ewige Leben hat.» - Das ist doch mal eine Story! Gott selbst schickt seinen Sohn auf Rettungsmission; genauer: Himmelfahrtskommando. Aus der Nummer kommt er nicht lebend wieder raus.

 

Vom schönsten Ort, den es nur geben kann, hinab, wohin man eigentlich nicht so ganz gerne hin will; wo es Leid und Tod gibt. Gott gibt seinen Sohn her, damit dieser in Leid und Tod hinabsteigt, wo die Menschen schon sind. Das bisschen Happytime und Liebe sind ein schwaches Trostpflaster.

Die Rettungsmission beginnt: Menschen aus Leid und Tod hinausziehen und dorthin bringen, wo der Sohn herkam: zu Gott selbst. Aber die Story wird noch krasser: Statt mit niederschmetternder, königlicher Majestät – er ist ja Gott! - kommt der Sohn als armer Bettler in die Welt. Elend, nackt und bloß in einem Krippelein. Irgendwie unpassend für den erwarteten Narrativ. Es wird immer dicker: Ja, gut, ein paar Wunder, hier und dort. Aber irgendwie endet die Sache damit, dass er gegeißelt, verspottet und gekreuzigt wird. Mission gescheitert. Hätte man sich anders ausgedacht. Am Ende gewinnen doch immer die Guten. Meist mit Kraft und physischer Überlegenheit. Doch dann: Plot twist! Das Grab ist leer, Gottes Sohn ist nicht mehr tot. Er lebt. Er hat sich mit seiner Majestät bekleidet. Und wer an ihn glaubt, der sieht ihn in seiner göttlichen Herrlichkeit.

Langsam könnte mal Schluss sein, doch nein, es wird noch verrückter: die Story geht weiter. Was Gottes Sohn getan hat, muss hinaus in die ganze Welt. Er hat Nachfolger, die sich auch auf Rettungsmission begeben. Und absurderweise machen die es wie ihr Herr: sie werden verhauen, verhöhnt und abgemurkst. Kreuz, Schwert, Feuer, lebendig gefressen.

Chesterton, Autor der Father Brown Detektivgeschichten, hat das sehr gut erkannt. Father Brown ist der einzige Detektiv, der die Verbrecher nicht sucht, um sie zu bestrafen, sondern um ihnen zu vergeben. Das ist die ganze Story des Christentums: Gott wird Mensch, sucht verzweifelt nach seinen verlorenen Kindern, nicht um sie zu strafen, sondern um sie retten. Der Glaube dreht die ganze Weltgeschichte auf links. Nicht um sie zu verdrehen, sondern um sie zu waschen. Nach der Reinigung dreht der Glaube die Welt wieder auf rechts. Aber das ist das Paradox: das Kreuz, Folter- und Exekutionsinstrument, wird zum Heilszeichen. Ähnlich bei Mose: die Schlange, die tödliches Gift speit, wird, sobald sie im Namen Gottes erhöht wurde, zum Heilmittel, zur Medizin. So ist das Kreuz, so giftig es für den Menschen ist, durch Gott zum Rettungsmittel. Gott dreht das Kreuz auf links, um es zu entgiften. Nach drei Tagen dreht er es wieder auf rechts.

Die Sache hat auch eine gewisse Ironie, gar göttlichen Humor: Gott kommt in die Welt, nicht um zu strafen, sondern zu retten. Dabei wird er selbst nicht gerettet, sondern wird gestraft. Sein Gericht bringt den Menschen aus der Finsternis in das Licht Gottes. Das Gericht, was ihn richtet, bringt den Menschen, der Licht war, in die Finsternis. Manche fragen sich: War denn das Kreuz nötig? Hätte Gott die Welt auch nicht ohne diesen ganzen Leidenskram erlösen können?

Die Antwort könnte vielleicht so gefunden werden: Wenn das Kreuz nicht gekommen wäre, dann wäre Jesus auch nur einer dieser Richter oder Herrscher wie Pontius Pilatus gewesen. Ein besserer Caesar, ein besserer Karl der Große, eine besserer Gerichtspräsident. Es wäre nur ein gradueller Unterschied, aber kein wesentlicher. Eben nur ein falsches und nutzloses Happy End. Die Welt wäre nicht auf links gedreht worden, um sie zu waschen. Sie wäre immer noch giftig. Nichts hätte sich geändert. Doch der Glaube hat alles geändert.


Kategorie: Religion

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