Foto: Schiff "morning glory": dpa / picture-alliance

Benghazi, al-Qaida und Berlin

(explizit.net) Während Außenminister Steinmeier nach seiner Rückkehr aus der Ukraine gar von einer Pandorabox sprach, die Russland geöffnet hat, indem es 25 Jahre nach dem Kalten Krieg illegal Europas Grenzen verändert, gibt es auch gute Nachrichten aus Mittelost. Samstag kehrte der Öltanker “Morning Glory” wieder nach Tripolis heim, den US-Navy Seals von Ibrahim al-Jathrans Miliz vor der Küste zurückgeholt hatten. Das Öl geht der Raffinerie zu. Damit können die Militanten aus dem Landesosten solche Mittel nicht mehr benutzen.

(explizit.net) Während Außenminister Steinmeier nach seiner Rückkehr aus der Ukraine gar von einer Pandorabox sprach, die Russland geöffnet hat, indem es 25 Jahre nach dem Kalten Krieg illegal Europas Grenzen verändert, gibt es auch gute Nachrichten aus Mittelost. Samstag kehrte der Öltanker “Morning Glory” wieder nach Tripolis heim, den US-Navy Seals von Ibrahim al-Jathrans Miliz vor der Küste zurückgeholt hatten. Das Öl geht der Raffinerie zu. Damit können die Militanten aus dem Landesosten solche Mittel nicht mehr benutzen.

Als ein maltesischer Tanker sich den von al-Jathrans Leuten besetzten Erdölterminals zu gleichen Zwecken näherte, um eine weitere Ölladung abzuzweigen, drohte Premier Ali Zaidan, diesen zu bombardieren. Am 11. März ersetzte das Parlament Zaidan durch den Verteidigungsminister Abdullah ath-Thinni. Er fiel dadurch auf, dass er einen Putsch des Chefs der Bodentruppen Khalifa Belqasim Haftar vier Tage vor dem dritten Jahrestag der Revolte, am 17. Februar 2014, vereitelte. Dennoch ging es seither in Tripolis abwärts.

Landeszerfall

Dutzende Stämme und Kräftegruppen ringen um die Macht. Zunächst festigten sie, wie al-Jathran, ihre Positionen in alten Landesteilen: Tripolitanien im Nordwesten mit Tripolis als Hauptstadt, Cyrenaika-Barqa mit Benghazi als die wichtigste Stadt im Osten an der Grenze zu Ägypten, und im südwestlichen Fizzan, das bergige Hinterland Barqas. Dann übernahmen sie die Ölanlagen weithin. Sie forderten, wie al-Jathran, eine Autonomie und Föderation, in seinem Falle für den Nordosten von Benghazi bis Butnan. Das wäre wohl nicht die schlechteste Lösung angesichts der dunklen Erfahrungen mit vier Dekaden der Zentralmacht Muammar al-Qaddafis, die am 20. Oktober 2011 mit dessen Tod endete.

Al-Jathran erklärte sich bereit, an der Verfassung mitzuarbeiten, die das Verhältnis von Zentralregierung zu Regionen föderativ nach dem Bilde der US-Verfassung regeln, und bis zur Jahresmitte vorliegen soll. Geboren in der Hafenstadt Ajabiyya, nennt er solche Ideen seine Ras-Lanuf-Erklärung, benannt nach dem gleichnamigen Ort mit Raffinerien und Terminals, die von März bis August 2011 mehrfach hart erobert wurden. Indes will al-Jathran an die Landesverfassung von 1951 anknüpfen, die König Idris I. as-Sanusi mitgeprägt hat. Erst eine Dekade darauf begann das kommerzielle Erdöl zu sprudeln, das mehr Fluch als Segen wurde. Denn der Goldfluss kam 1969 in die Hände eines Tyrannen.

Angeblich stehen hinter al-Jathran tausende Milizen, die auch Exporthähne der Terminals Zuwaitina anzapfen. Dabei steuerte er auch die zerschlagene Aktion mit der „Morning Glory”, die vom Hafen as-Sidr entkommen konnte. Abgesehen davon ist Ostlibyen mit Benghazi zur Hochburg der Islamisten geworden, die aus Ägypten Geflohene verstärken.

Indes häufen sich Mordanschläge. Vor einer Woche, am 17. März, tötete eine Autobombe vor der Militärakademie in Benghazi sieben Soldaten und verwundete zwölf. In der Stadt ermordeten Jihadis des al-Qaida-Ablegers Ansar ash-Sharia im September 2012 zudem Botschafter J. Christopher Stevens und drei Mitarbeiter. Kurzum, die Regierung wandte sich an die UN mit der Bitte, ihr im Kampf gegen Terror bezustehen. Die Militanten, die al-Qaddafi mit stürzten, wurden ein Problem. Tripolis will deren Terrorismus bekämpfen.

Clans

Erinnern wir uns auch daran, dass Samstagfrüh, am 5. Oktober 2013, US-Sondertruppen in Tripolis den vermuteten al-Qaida-Führer Nazih Abd al-Hamid ar-Ruqai ergriffen. Dieser Abu Anas al-Libi war ab 2000 in New York mit angeklagt für Bombenanschläge 1998 auf US-Botschaften in Kenia und Tanzania mit 224 Toten. Damals erklärte Usama Bin Ladin „Juden und Christen den Globalkrieg“ und erhob al-Libi zu einem Computer-Experten al-Qaidas. Als solcher kam er kurz nach 9/11 auf den Terroristenindex. Zehn Tage nach seiner Verhaftung in Tripolis klagte ihn ein Bundesgericht in Manhattan an. Der Prozess wird viel Attraktion entfalten. Davon abgesehen bleibt das Geschehen im Botschaftermord in Benghazi ein Dauerthema der Wahlen in Amerika 2014 und 2016. Drei Jahre ist Usama Bin Ladin nun tot. Doch sein Verein und Geist wirken stark fort.

Am 6. März hat das westafrikanische Land Niger al-Qaddafis dritten Sohn an Libyen überstellt. Gegen ihn liegen Anschuldigungen der Korruption unter dem Regime seines Vaters vor. Laut Justizminister Maru Amadu blieb er in den drei Jahren nicht ruhig, sondern habe viel getan, seine Heimat zu destabilisieren. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat seinen älteren Bruder Saif al-Islam angeklagt, der in libyscher Haft weilt. Aber der ihn im bergigen Zintan bewachende Trupp weigert sich, ihn Tripolis oder jenem Gerichtshof zu überweisen. Die anderen beiden Söhne Muatassim und Khamis gelten als getötet. Der älteste Sohn Muhammad und Tochter Aisha sollen in Oman leben.

Antworten

Zu befürchten ist, dass Tripolis einfach nicht Herr dieser Lage im Lande wird. Die Kräfte, die sich gegen eine Zentralregierung wenden, sind inzwischen sehr stark geworden. Der bald zu ernennende neue Premier wird gleich geprüft werden. Und die angeforderte Hilfe der UN kann nicht echt die lokale, regionale oder nationale Kräftebalance entscheiden. Geht es so weiter, verstärkt Libyen die Reihe versagender Staaten mit Konsequenzen für Afrika, Asien und Europa, speziell in den transregionalen Bewegungen von Militanten.

Zu der Zeit, als in Libyen das Fass überlief und Tripolis seinen Premier einstweilig durch den Verteidigungsminister ath-Thinni ersetzte, warf der Berliner Außenminister in einer Gießener Vorlesung als Erfahrungsbericht aus seiner Tätigkeit diese Frage auf: „Wen unterstützen wir eigentlich in Libyen?” Frank-Walter Steinmeier führte aus, da brauche man eine vertiefte Analyse, um Antworten zu finden. Diese komme in der deutschen Debatte viel zu häufig zu kurz. Dies hänge mit der Unmittelbarkeit und der Schnelligkeit der Berichterstattung in den Medien zusammen. Kein gewaltsamer Konflikt, in fast keinem Winkel der Welt, der nicht seinen Direktweg in die Wohnzimmer daheim finde.

Dieser Politiker ist, anders als manche Vorgänger, ein suchender Denker. Er beklagt die Erosion der staatlichen Ordnung in Mittelost und ringt mit einem Wechsel der globalen Perspektiven. Sein Fokus beinhaltet, Konflikte auch von der anderen Seite her zu sehen und kulturelle wie religiöse Strukturen zu erfassen. Gewalt möge die Ausnahme bleiben. Ebenso sieht er die deutsche Sonderlage im Schutz des Eisernen Vorhangs, unter den Fittichen der westlichen Großmacht und in der Europäische Union. Dies ist 25 Jahre her. Man möchte ihm auch widersprechen. Blöcke gibt es weiter, gruppieren sich global um. Hohe Zeit, dass sein Haus jene Libyenfrage als Berliner Ansatz formuliert und realisiert.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



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