(explizit.net)
Gottes Barmherzigkeit beanspruchen - Tag 24 der Fastenimpulse "barmherzig" von Pater Erich Purk
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Vor etwa drei Jahren, bei einem geistlichen Einkehrtag, sollten wir Teilnehmer aus verschiedenen, mit Bibelversen bedruckten Papierstreifen denjenigen auswählen, der uns am meisten anspricht. Ich zog, ohne lange zu überlegen, den Zettel mit den beiden ersten Versen des Psalms 139. Bei manchem mag es eher Unsicherheit und Unbehagen auslösen, dass Gott uns stets im Blick hat und alles von uns weiß. Ich wählte diese Verse damals aus, weil sie mir – ganz im Gegenteil – ein Gefühl von Geborgenheit vermittelten: Denn bei Gott stehe ich nicht unter argwöhnender Beobachtung, sondern er blickt wohlwollend, gütig und barmherzig auf mich.
Diese Einsicht, dass Gott barmherzig auf mich und mein Leben schaut, hatte ich nicht durchgängig. Damit ich das wahrnehmen und verstehen konnte, bedurfte es einer konkreten Erfahrung von Gottes Barmherzigkeit. Die Beichte hat dabei die entscheidende Rolle gespielt.
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Zur Beichte gehen – das gehörte für mich lange Zeit, auch aufgrund meiner katholischen Sozialisation, einfach dazu. Ich war als Kind und Jugendliche zwar vorher immer nervös, aber nachher fühlte ich mich jedes Mal besser, irgendwie befreit. Mit Anfang zwanzig hörte ich trotzdem auf, beichten zu gehen. Das hatte nicht etwa mit einer negativen Beichterfahrung zu tun. Es lag vielmehr daran, dass es mir schwerfiel, über die komplexer werdenden Ereignisse, Beziehungen und die damit verbundenen Probleme und Verletzungen in meinem Leben zu sprechen, geschweige denn: Etwas davon zu
beichten. Ich bedauerte das, habe es aber erst einmal verdrängt. Den Übergang vom Kinderglauben zum Erwachsenenglauben reibungslos zu gestalten oder zu überstehen – das ist gar nicht so einfach. Diese Erfahrung machen wohl viele.
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Abgesehen davon, dass ich fortan das Beichtsakrament nicht mehr in Anspruch nahm, änderte sich äußerlich betrachtet nicht viel. So ging ich z. B. weiterhin regelmäßig zur Messe, verlegte mich aber ansonsten auf eine mehr intellektuelle Beschäftigung mit Gott und meinem Glauben. Während meines geisteswissenschaftlichen Studiums habe ich oft Seminare und Vorlesungen besucht, von denen auffallend viele auch Themen rund um Kirche und Glauben berührten – ohne dass ich Theologie studierte: sei es, dass es um die „Päpste des 13. Jahrhunderts“ oder die „Textgattung Heiligenlegende“ ging. Solche Themen zogen mich stets an.
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Bei aller „Kopflastigkeit“ habe ich im Laufe der Jahre bemerkt, dass mich immer wieder ganz besonders die Texte und Gebete ansprachen und berührten, die von großer Hingabe und tiefem Gottvertrauen ihrer Verfasser zeugten. „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von innen“, bringt es der hl. Ignatius von Loyola auf den Punkt. Genau das nahm ich wahr. Da gab es mehr. Ich spürte den Wunsch, ja, zunehmend eine Sehnsucht danach, auch so zu glauben: mit mehr Innerlichkeit. Gleichzeitig war da aber etwas wie eine innere Sperre, die verhinderte, dass ich mich dem öffnen konnte.
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Mir wurde nach und nach klar, dass ich meine Beziehung zu Gott nur intensivieren konnte, wenn ich etwas änderte und reinen Tisch machte. Das funktioniert in der Beziehung zu Gott genauso wie in der zu anderen Menschen: Wenn man merkt, dass etwas in einer Beziehung nicht stimmt, ist es gut, sich dem Gegenüber zu öffnen und darüber zu reden. Damals dachte ich erstmals wieder an die Beichte. Der Zeitraum, von dem ersten Gedanken daran bis zu dem Tag, an dem ich ihn in die Tat umsetzte, zog sich aber noch über mehrere Jahre. Wieder beichten zu gehen, kostete mich einige Überwindung. Wer redet schon gerne über Verletzungen, Unversöhntes, das Unangenehme, Misslungene, auch Peinliche im eigenen Leben!? Da hatte sich in den insgesamt fünfzehn Jahren, in denen ich das Sakrament ausgeblendet hatte, einiges angesammelt. Auch die Suche nach dem richtigen Ort dafür zog (s)ich hin.
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Aber es hat sich gelohnt, den „Neustart“ zu wagen. Für mich war und ist die Beichte eine wunderbare wie einfache Möglichkeit, Gottes Barmherzigkeit in Anspruch zu nehmen und immer wieder neu erfahren zu können. Ein echtes Geschenk! Und für mich der richtige Weg zu einer Neubelebung meines Glaubens. Die Beichte hat mir geholfen, vieles zu klären und meine Beziehung zu Gott auf neue Füße zu stellen – sie nicht nur intellektuell-theoretisch zu umkreisen, sondern zu einer dauerhaften Herzens an gelegen heit in meinem Leben zu machen.
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Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung haben viele kleine Ereignisse und Begegnungen aus vergangenen Jahren für mich noch einmal eine ganz andere Bedeutung bekommen. In vielem erkenne ich, dass und wie Gott mich begleitet und geführt hat. Ich glaube z. B., dass es kein Zufall war, dass mein Germanistikprofessor mir für meine Abschlussarbeit ein mittelalterliches Werk vorschlug, in dem die Frage von Schuld und die Möglichkeiten des Umgangs mit ihr ein Kernthema war. Und ich glaube, dass Gott dafür gesorgt hat, dass ich nach Jahren des Suchens in einer Kirchengemeinde ankam und mittlerweile beheimatet bin, in der die Barmherzigkeit Gottes ein zentrales Thema ist und das Sakrament der Versöhnung einen festen Platz einnimmt.
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Es ist die Frage, ob man sein Leben auf diese Weise betrachten möchte: aus der Perspektive des Glaubens, die darauf vertraut, dass alles von Gott her seinen Sinn hat. Ich bin froh, dass ich diese Perspektive einnehmen kann.
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Wie jeder Mensch scheitere und fehle auch ich immer wieder. Aber immer aufs Neue darf ich auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen. In diesem Vertrauen betet auch der Psalmist am Ende des Psalms 139: "Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, / prüfe mich und erkenne mein Denken! / Sieh her, ob ich auf dem Weg bin, der dich kränkt, / und leite mich auf dem altbewährten Weg."
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Für heute: Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. (Ps 139,1)
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<emphasize>Verena Schlinkert</emphasize>
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