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Anklage gegen Muhammad Mursi

Montag drohte der Kairiner Gerichtsraum im Tumult zu bersten. Zweimal musste Richter Ahmad Sabri Yusuf pausieren, um die Ordnung wiederherzustellen. Neben Expräsident Muhammad Mursi, der vorschriftswidrig im dunklen Anzug „präsidial“ auftrat, machten sieben der 14 Mitangeklagten in weißer Anstaltskluft ihrem Ärger Luft. Alle übertönte noch Mursi, er sei legitimer Präsident, erkenne das Gericht nicht an, das den Militärcoup decke. Dieses klagte Mursi und 14 Muslimbrüder an – sieben davon in absentia –, Mord und Folter von Opponenten vor dem al-Ittihadiyya Präsidialpalast in Heliopolis am 5. und 6. Dezember 2012 gelenkt zu haben. Sie erboste, dass sich Mursi über das Gesetz stellte.

Montag drohte der Kairiner Gerichtsraum im Tumult zu bersten. Zweimal musste Richter Ahmad Sabri Yusuf pausieren, um die Ordnung wiederherzustellen. Neben Expräsident Muhammad Mursi, der vorschriftswidrig im dunklen Anzug „präsidial“ auftrat, machten sieben der 14 Mitangeklagten in weißer Anstaltskluft ihrem Ärger Luft. Alle übertönte noch Mursi, er sei legitimer Präsident, erkenne das Gericht nicht an, das den Militärcoup decke. Dieses klagte Mursi und 14 Muslimbrüder an – sieben davon in absentia –, Mord und Folter von Opponenten vor dem al-Ittihadiyya Präsidialpalast in Heliopolis am 5. und 6. Dezember 2012 gelenkt zu haben. Sie erboste, dass sich Mursi über das Gesetz stellte.

Während es im Gericht hoch herging, blieb es draußen um die Polizeiakademie herum in Nasr City relativ ruhig. Alle Straßen dahin waren blockiert. Die Polizei hat in Kairo etwa 30 Protestierende aufgegriffen. Laut al-Ahram riefen einige die Losung vom islamischen Gesetz und einer islamistischen Revolte, und zwar: „Shari’a, Shari’a, Thaura Islamiyya!“

Normalisierung

Jetzt wird dem 62-jährigen Mursi samt Mitangeklagten vorgeworfen, in jenen Nächten im Dezember zehn Tote und 54 Gefolterte vor dem Palast bewirkt zu haben. Dies beweisen Anklägern und al-Ahram zufolge Mitschnitte von Mursis Telefonaten. Er habe den Chef der Präsidialgarde, Muhammad Zaki am 5. Dezember nicht nur befohlen, Protestierende durch Gewalt zu zerstreuen. Sondern er drohte, selbst einzugreifen, sollte er dem nicht folgen, zumal Innenminister Ahmad Jamal ad-Din ebenso Gewalt abgelehnt haben soll.

Mursi schaltete das Leitbüro der Muslimbrüder unter Muhammad Badia und seinem Vize Khairat ash-Shatir ein. Diese mobiliserten rasch ihre bewaffneten Milizen, die Zelte der Opponenten ansteckten und 54 entführten. Gefesselt, gefoltert und geschlagen sei ihnen erste Hilfe verwehrt worden. Unter ihnen war der Exdiplomat Yahya Zakariyya, den die Islamisten „Spion, Lump und Ungläubiger“ ziehen. Anderntags lenkte Mursi von sich ab, „80 Protestler“ arritiert zu haben, die „für ihre Gewaltakte Geld“ erhielten: „Wer bezahlte diese Leute, wer gab ihnen Waffen?“ Er forderte Schauprozesse; andere unterbanden das.

Doch die von Islamisten angesagte Welle an Unruhen am Wochenende blieb ab Freitag, den 1. November, aus. Fernab, um das Gebäude des Obersten Gerichts, demonstrierten Muslimbrüder. Obwohl Proteste aufkamen, blieb das Riesenaufgebot aus. Noch gibt es an Universitäten wie al-Azhar, Kairo, Ain Shams, az-Zaqaziq und Hulwan „Mursi Demos“. Montag, der 4. November, mag ebenso bedeuten: der Staat setzte wieder Ordnung durch.

Die Anhörung wurde um zwei Monate auf den 8. Januar vertagt, wobei Richter Yusuf die unerlaubte Kleidung Mursis und die Wortgefechte zwischen Klägern und Verteidigern kritisiert hat. Die einen riefen „Nieder mit der Militärmacht“, während die Anwälte der Ankläger lautstark das Todesurteil für Mursi forderten. Der Expräsident wurde mit dem Hubschrauber zum Burj al-Arab Gefängnis ausgeflogen. Eine halbe Autostunde westlich von Alexandria 2004 erbaut, zählt es zu den jüngsten von 40 solchen Anstalten am Nil. Dort kam es während der Lotusrevolte 2011 auch zu keinen Ausbrüchen von Häftlingen wie in elf anderen Stätten, wobei auch Mursi mit weiteren Einsitzenden das Weite suchte.

Bürgergesellschaft

Laut al-Ahram Weekly meinte Anwalt Muhammad Baha Abu Shuka: indes Expräsident Mubarak vor Gericht stehe, weil er ungenügend Protestierende in der Revolte vom 25. Januar 2011 schützte, sei Mursi angeklagt, Republikanische Garden und andere Kräfte angewiesen zu haben, auf Kritiker zu schießen, die sich dem Dekret widersetzten, durch das er sich am 21. November über das Gesetz stellte. Das zeige Mursis TV-Rede über angeblich Bewaffnete am 6. Dezember. Wenn schuldig, steht das Todersurteil. Ihm droht noch ein Prozess wegen Spionage und Sicherheitsgefährdung mit Gazas Islamisten von Hamas. Abu Dhabi klagte am 5. November 30 Männer wegen Kontakt zu Muslimbrüdern am Nil an. Davor wurden dort bereits 69 beschuldigt, eine Islamistenrevolte anzuzetteln.

Am Nil stehen nicht nur zwei Präsidenten vor Gericht, sondern auch die militärische und die islamistische Tradition, zu regieren. Derweil blüht die Zivilgesellschaft auf. Während einige noch das unter der Brücke hindurchgeflossene Nilwasser zu schöpfen suchen, ging das Komitee aus 50 Mitgliedern durch ein Viertel der Verfassung in sieben Treffen, 55 Artikel. Jeden revidierten Teil erhält der zehnköpfige Jurarat, der auch die Sprache prüft. Im Dezember stimmen die 50 unter Amru Musa ab, der je zehn Jahre Außenminister und Chef der Araberliga war. Fortan darf jeder eine politische Partei bilden, nur nicht religiös, geheim, militärisch, paramilitärisch oder diskriminierend nach Geschlecht oder Herkunft.

Viel aus Mursis Verfassung entfällt. Beiträger dürfen nicht mehr wegen Publizistik hinter Gitter kommen. Medien haben keine Zensur mehr. Ägypten wird als ein konstitutioneller Staat definiert. Staatlichen Medien erhalten inhaltliche Unabhängigkeit – speziell von der herrschenden Partei. Am Jahresende soll der Verfassungsentwurf stehen. Bis März folgen Wahlen zum Parlament und bis Jahresmitte zum Präsidenten. Verteidigungsminister Abd al-Fattah as-Sisi mag kandidieren. Er und andere retteten Ägypten vor den Extremisten.

Kerry in Kairo

Die Medien sind aufgelebt. Jeder erfährt über Islamismus, Terror und Jihad. Erfrischende Texte, so von Ammar Ali Hasan über Religionen in Al-Ahram Weekly am 6. November. Doch fällt er gegenüber der Lotusrevolte zurück. Einst wurden nicht Amerika und Israel beschuldigt, sondern eigenes Versagen und der Mangel an Demokratie. Nun griff Hasan Israel und Zionismus an. Juden und die Balfour-Deklaration hätten da das erste und letzte Mal einen Staat auf religiöser Basis gebildet. War nicht zuvor in Mittelostländern – 1918 Erben im Osmanenreich – Islam Staatsreligion, werden dort nicht andere Minoritäten wie Christen und Juden bedrängt? Am Nil wird um die Scharia in der Verfassung gestritten.

Außenminster Kerry meinte in Kairo am Tag vor Prozessbeginn gegen Mursi, offenbar wollten Generäle, die diesen absetzten, zur Demokratie zurück. Aber dies betrieben nicht allein Militärs, sondern über eine Volkshälfte. Es war eine Coupvolte am 30. Juni und 3. Juli, keine Rückkehr zur Demokratie. Die gab es nicht. Kerry sagte, Freund und Partner Ägyptens zu sein. Nach vier Monaten eines Tiefs wünscht er einen strategischen Dialog. Der Stopp (eines Drittels) der Hilfe sei keine Strafe, sondern folge dem US-Gesetz. Sein Kollege Nabil Fahmi betonte zwei Revolten für Demokratie in zweieinhalb Jahren. Aber auch Mehrfachoptionen in militärischen Beziehungen. Kairo will nicht nur von Amerika abhängen. Voilà, Wladimir W. Putins Tür geht auf. Still dankt er der Fehlpolitik Obamas.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



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