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Aids in Südafrika – wie Aufklärungsarbeit trotzdem gelingen kann

(explizit.net) 2.Teil eines Berichts, wie ein Afrikanisches Land sich dem Problem HIV stellt

(explizit.net) 2.Teil eines Berichts, wie ein Afrikanisches Land sich dem Problem HIV stellt

Die Fußballweltmeisterschaft hat der Aufklärung über HIV einen Schub gegeben

 

Die Ausgangslage war nicht besonders günstig. Denn der heutige Präsident Südafrikas Jakob Zuma war Stellvertreter des ANC unter Mbeki und machte internationale Schlagzeilen mit einem Vergewaltigungsprozess, in dem er im Zeugenstand erklärte, ja, er wüsste, dass die Tochter seines Freundes, die bei ihm übernachtet hatte, HIV positiv war – aber bitteschön, die emotionale und körperliche Haltung der Frau war so, dass er als Zulu sie nicht ohne die Befriedigung ihrer sexuellen Wünsche habe gehen lassen können, und ja, er habe den Geschlechtsverkehr ohne Kondom vollzogen – aber er habe ja hinterher geduscht und damit sich des Virus‘ entledigt.

Das mag in europäischen Ohren dumm oder lächerlich klingen – als jemand, der zur selben Zeit Präventionsarbeit mit Farmarbeitern von Weinfarmen in der Nähe von Stellenbosch tat, kann ich nur sagen: Ich hatte keine Chance mehr: Wenn der stellvertretende ANC Präsident sich den Virus abduschen kann, dann ist das so – und kein Mitarbeiter eines Gesundheitsdienstes noch ein Pfarrer dieser Welt konnte die Farmarbeiter in diesem Moment von irgendetwas anderem überzeugen.

Die positive Seite der Fußballweltmeisterschaft

 

Nach dem Duschen kam die FIFA – also eine Katastrophe jagte die andere – und während wir heute noch unter den Schulden stöhnen, weil die FIFA in Südafrika während der Weltmeisterschaft abgeräumt und uns wieder verlassen hat – während die Stadien leer stehen, als „Weiße Elefanten“ die Gegend verschandeln und Steuerzahlergeld kosten – in einem hat die FIFA uns weitergebracht: Im HIV und AIDS Bereich bestand sie auf einer Aufklärungs- und Testingkampagne, um zu zeigen, dass sie sich kümmert – Über 2 Millionen Menschen wurden seither zusätzlich getestet – die Positiven-Rate liegt dabei über 15%.

Dieser kleine Geschichtsabriss sollte in Ansätzen deutlich machen, wie wichtig es ist, HIV und AIDS immer auch im Zusammenhang mit der Politik zu sehen.

Die Wahl der politischen Mittel

Es war in Deutschland ein Glücksfall, eine Rita Süssmuth zu haben, die den gauweilerischen Anfällen oder Ausfällen bezüglich Internierungslagern und -haft Einhalt gebot und mit der Kampagne „Gib AIDS keine Chance“ den Boden dafür bereitete, dass vernünftig und mit Maß die Pandemie unter Kontrolle gebracht werden konnte.

In Südafrika hat die Politik in entscheidenden Jahren jede sinnvolle Aktion verhindert. Nicht nur im Bereich von Behandlung sind in Südafrika die Wege sehr verschlungen gewesen, auch in der Prävention. Bei der notwendigen Einführung der Prävention haben Politik wie auch die Mentalität der Menschen jahrelang komplett versagt – weil das Informationsmaterial zu sehr auf Europa und Amerika zugeschnitten war als auf Südafrika.

Wie oft habe ich selbst erlebt, wie selbsternannte Präventionsaktivisten aus den USA, aber auch aus Deutschland anreisten, um den „armen schwarzen Negerkindern“ endlich mal zu zeigen, wie es wirklich geht, „das mit der Aufklärung“. Dabei scheinen sich besonders die klerikal und kirchlich Rechtslastigen hervorzutun und die Evangelikalen – was zu bizarren Situationen führt. So musste ich vor einigen Jahren einer Schülerin der höheren Mädchenschule erklären, dass auch Oralverkehr ein Risiko beinhaltet und es dieses Risiko wahrscheinlich war, das zu ihrem HIV Status geführt hat. Für das Mädchen war das eine ganz neue Erkenntnis, hatte sie doch in ihren evangelikalen Kreisen gelernt, das nur penetrativer Geschlechtsverkehr im eigentlichen Sinne Sex ist, den es zu vermeiden galt, um sich nicht zu infizieren.

Hürden bei der Aufklärung in den Schulen

Überhaupt helfen westliche Aufklärungsbroschüren nur wenig, wenn Biologie, Religions- und Sozialkundelehrer mit ihren eigenen Ängsten und Entführungen plötzlich einer Klasse „safer sex“ erklären sollen. Die Freizügigkeit westlicher Jugendlicher passt nicht zu der öffentlich zelebrierten Prüderie Südafrikas, die nur verschwindet, wenn niemand zuschaut oder es dunkel wird im Raum.

Apropos „Dunkel werden“. Es ist in der Präventionsarbeit von Bedeutung, Südafrikanern zu erklären, beim Sex nicht das Licht auszumachen, sondern es anzulassen. Statistisch hat jeder 3. Südafrikaner eine sexuell transmitted disease, eine STD – und nur wer sich anschaut, seinen Körper kennt, kann Veränderungen erkennen und dann einen Arzt aufsuchen. Dass STD die HIV Übertragung begünstigen, muss bei Aufklärung immer wieder gebetsmühlenartig erklärt werden.

In Befragungen erklärten viele Lehrer, dass sie sich nicht wohl fühlten, über HIV, AIDS und Sex vor Schülern zu reden, weil es gegen ihre eigenen Traditionen und Wertesysteme gehe. Hinzu kommt die Ohnmacht gegenüber den 9 – 10 – 11jährigen, die bereits sexuell aktiv sind – unbekannt in vielen europäischen und amerikanischen Gesellschaften. Sex als Vergnügen vergleichbar einem Kinobesuch eines westlichen Jugendlichen – das muss erst mal pädagogisch verarbeitet werden – und da kommen wir erst langsam hin.

Khomanani – das heißt „für einander sorgen“ so die offizielle Aufklärungskampagne des nationalen Gesundheitsministeriums seit 2001 – und sie endete 2010 mehr oder weniger, nachdem klar wurde, dass Gelder wie so oft in Südafrika anders verwendet worden sind als geplant – sprich irgendwie versickert waren und die Regierung nun die Finanzen komplett gestrichen hat.

Soul City und Soul Buddyz verbrauchten 100 Millionen Rand jährlich für Multi Media Aufklärung, Lovelife - bis 2005 vom Global AIDS Fund kofinanziert - bis Unregelmäßigkeiten auch hier der Finanzierung ein Ende setzten, stellte Millionen für Prävention zur Verfügung.

Studien haben gezeigt, dass der Effekt all dieser Präventionsmaßnahmen gering oder gar armselig war. Weniger als die Hälfte aller Alters- und Gendergruppen in Südafrika wissen bis heute nicht, wie z.B. der Virus übertragen wird. Dass weniger Sexualpartner weniger Risiko bedeuten, wissen noch weniger.

Der einzige Silberstreifen am Horizont ist, dass der Kondomgebrauch von Jugendlichen gestiegen ist, von 31% in 2003 auf über 65% in 2009.

Untersuchungen durchsetzen

Auch das Testen bekommt einen immer größeren Stellenwert, Ziel war es, 11.9 Millionen Menschen im Jahr 2011 zu untersuchen. Testen und, wenn notwendig, die anschließende Behandlung ist dabei allerdings immer noch davon abhängig, wo die betreffende Person wohnt – Menschen in Städten oder Townships bei größeren Städten lassen sich wesentlich öfter testen. Auch hat sich herausgestellt, dass ein isolierter HIV Test immer noch mit einem Stigma verbunden ist. Gehört der Test zu einer Reihe von Basistests wie Diabetes, Bluthochdruck, Tumormarker oder ähnliches, dann ist damit auch das Stigma mehr oder weniger gebannt.

Denn jahrelang gab es das medizinische Stigma, das Klinik Stigma: Die extra Bank, die extra Tür für HIV Beratung, für den HIV Test – wie TB wurde HIV so abgesondert, dass viele Leute nicht zum Test gingen, weil sie nicht auf der „Bank, wo jeder weiß, warum ich hier bin“ sitzen mochten.

Behandlungserfolge

Südafrika hat die größte Kohorte von Menschen, die entsprechend einem nationalen Behandlungsprogramm betreut werden. Über 2 der 5.7 Millionen HIV positiven Menschen erhalten die lebensrettende und lebensverlängernde Dreifachkombinationstherapie. Jedoch sind aufgrund der Leugnung der Ansteckungsgefahr durch die Regierung Hunderttausende unnötigerweise ums Leben gekommen. Es ändert sich aber nun langsam, aber sicher.

Die Südafrikanische Regierung unter dem neuen Gesundheitsminister Motsoaledi scheint den politischen Kampf um HIV und Behandlung endlich hinter sich gebracht zu haben und die westlichen Richtlinien auch als südafrikanische Regeln anzuerkennen.

Rückschläge durch Unentschlossenheit und Korruption

Allerdings gibt es immer noch viele Rückschläge: Während 2009 86.270 Kinder behandelt wurden fällt auf, dass im November 2010 ein Drittel aller Kliniken in Kwazulu Natal keine neuen Behandlungsbeginne für Kinder zu verzeichnen hat - offiziell wird es damit erklärt, das Mütter den Test für ihre Kinder verweigern und das medizinische Personal bei allem Hin- und Her der südafrikanischen Politik nicht sicher ist, wie HIV bei Babys und Kleinkinder zu behandeln ist.

Statistiken zeigen aber auch einen anderen besorgniserregenden Trend: Patienten zeigen nach 36 Monaten Behandlung eine stark zunehmende Tendenz zum Behandlungsstop. Für manche Bundesstaaten gibt es Erklärungen: Im Free State zum Beispiel gab es 2008 zeitweise aufgrund von Geldmangel, Zahlungsschwierigkeiten und Korruption kein Geld für Medikamente. Es wurden keine neuen Patienten in die Behandlung aufgenommen, Patienten, die behandelt wurden, bekamen keine Medikamente.

Gute Nachricht in Dezember 2010: Der neue Gouvernement Tender für die in Südafrika eingesetzten Medikamente zeigte, das anstatt der 8.8 Billionen Rand jährlich nun 51% weniger für die Medikamente bezahlt werden muss. Scheinbar hatte die vorherige Regierung es versäumt, mit der Pharmaindustrie zu verhandeln.

Im selben Jahr gab Gesundheitsminister Motsoaledi bekannt, dass mehr und mehr Krankenschwestern auch offiziell die Behandlung durch die Ausgabe von Dreifachkombinationstherapien übernehmen sollen. Von 2010 bis Mai 2011 wurde die Zahl der für ART Therapie ausgebildeten Krankenschwestern von 250 auf 2000 erhöht.

Für Südafrika, anders als in Europa und den USA, ist HIV zumeist verbunden mit Tuberkulose. Das führt dazu, dass es kaum mehr einen TB oder HIV Test für sich alleine gibt, sondern zumeist simultan für beides getestet wird. Es bleibt, als Anmerkung, zu hoffen, dass der extrem resistente TB-Virus, den wir in Südafrika haben, sich nicht ausbreitet.

Schlechte Nachricht ist dann aber, wenn hochrechenbar, die Studie der Universität Würzburg und des Missionsärztlichen Instituts Würzburg zusammen mit Medizinern aus Tansania und Südafrika, 2011 veröffentlicht, besagt, dass gängige Medikamente bei HIV infizierten in Afrika nicht mehr so ansprechen wie von der WHO gedacht.

Seit 1. Januar 2012 gilt der neue nationale Strategic Plan (NSP) der den Zeitraum von 2012 – 2016 umfasst und ein Budget von 131 Billionen Rand zur Verfügung hat.

Ziel ist es, in 20 Jahren die HIV Prävelenz um 50% zu verringern.

Zurückdrängung der Ansteckungen: Einige Zahlen

Die Neuinfektionen, die zurzeit bei 600 pro Tag liegen, sollen um die Hälfte reduziert werden.

50% Reduktion in TB Infektionen mit Todesfolgen.

Eine klare politische und gesetzliche Ausrichtung, dass den Menschen mit dem HI Virus dieselben Menschenrechte zustehen wie den Nicht-Infizierten.

Stigma soll halbiert werden sowohl was HIV als auch TB angeht. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das messbar ist, aber es ist immerhin ein Ziel.

Konkret haben die Bundesländer bis März 2012 nun Zeit, eigene Pläne zu entwickeln und vorzustellen.

Neben dem universalen Recht auf Behandlung mit Antiretroviralen Medikamenten fordert der Plan auch das universelle Recht auf Prävention, welches Kondome, männliche Beschneidung und noch zu entwickelnde Vaginal-Gels oder potentielle Impfungen beinhalten.

In Zahlen würde das heißen:

Bis 2015 drei Millionen Menschen in ein Behandlungsprogramm zu bringen.

14,3 Millionen Männer zu beschneiden.

Mutter zu Kind Übertragung, die nun bei 4% liegt, auf 2 % herunterzudrücken.

Behandlung ist Prävention – dieses Äquivalent ist inzwischen auch in Südafrika angekommen und der Plan 2012 -2016 zeigt, dass endlich auch Südafrika an einem Strang mit dem Rest der Welt zieht.

NGO’s und Aktivisten sowie Politiker begrüßen alle den Plan, machen aber darauf aufmerksam, das der Kampf um HIV noch lange nicht gewonnen ist.

429 Millionen verteilte Kondome in 2010/11 und 5 Millionen verteilte Kondome für Frauen im selben Zeitraum sind zwar weitere Indikatoren für den richtigen Weg, aber die HIV Rate hat sich in Südafrika auf einem hohen Niveau etabliert.

Südafrika hat bei 0,7 % Anteil an der Weltbevölkerung, trägt 17% der weltweiten HIV Last.

Todesraten bei Personen im Alter von 15-45 liegen mit ca. 800 Toten pro Tag als Folge von HIV immer noch viel zu hoch.

Testen und dann Behandlung als Beitrag zur Verminderung von Neuinfektionen ist die Devise. In einem Land, wo immer noch 60% der Menschen ihren Status nicht kennen, könnte der Test als wiederkehrendes „jährliches Event“ ein bedeutender Meilenstein für den Sieg über HIV sein.

Im Western Cape hat Helen Zille, Premier des Bundeslandes, einen Wettbewerb ausgerufen: Wer sich testen lässt, kann wie in einer Lotterie Geldpreise gewinnen – umstritten in Südafrika, aber es zeigt, das man mit allen Mitteln versucht, Menschen zum Testen zu bewegen.

Neue Zahlen

2014 wird die jüngste nationale Befragung in Bezug auf HIV und AIDS veröffentlicht. Die Zahlen sind erschreckend:

Die Anzahl der HIV positiven Menschen ist im Jahre 2012, dem Befragungszeitraum, weiterhin gestiegen und der Kondomgebrauch gesunken. Es wird weiter stigmatisiert, infiziert und gestorben. HIV und AIDS mag in Europa scheinbar besiegt sein, in Afrika wartet der Virus nur darauf, noch einmal zuzuschlagen, aber diesmal als ein heterosexueller Frauenvirus und nicht einer, der nur die sogenannten Randgruppen der Gesellschaft befällt.

<emphasize>Stefan Hippler</emphasize>



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