(explizit.net)Ashraf Ghani schritt zur Tat. Nachdem er als neuer Präsident in Kabul seinen Eid leistete, ging er anderntags im Palast Sicherheitsabkommen mit Amerika und der Nato ein. Beide erlauben, nach dem Jahresende Koalitionstruppen zu behalten, so 9.800 Amerikaner und 2.000 Soldaten der Nato. Sie bilden die Sicherheitskräfte aus. Wenn nötig, leiten sie auch Antiterroreinsätze an. Niemand mag wieder so ein Debakel wie in Irak und Syrien unterm Ansturm der Jihadis des „Islamstaats“ erleben, am Hindukusch der Taliban. Risiken gibt es, sie sind nun kleiner. Im Konsens übernahm der Präsident, ein Paschtune, die Macht.
Bis zum 30. September lagen jene Abkommen ein Jahr in der Schublade. Amtsvorgänger Hamid Karzai, seit 2001 am Ruder und bei Wahlen 2004 und 2009 im Amt bestätigt, lies sie zwar aushandeln, jedoch nicht annehmen. Auch nicht, als sie die Ratsversammlung Loya Jirga im November bestätigte. Karzai behauptete, die Abkommen würden Chancen auf Frieden mit den Taliban vermindern. Diese regierten im Islamischen Emirat 1996 bis 2001 und beherbergten die „arabischen Afghanen“, die eine Dekade nach dem Einfall der Sowjets 1979 in Afghanistan die al-Qaida um Usama Bin Ladin bildeten und für Angriffe auch auf Amerika sorgten, die in einer Terrorkette bis zum 11. September 2001 gipfelten.
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Hoffnung
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Hingegen traten die beiden Präsidialbewerber Ghani und Abdullah Abdullah für den Fall ihrer Wahl für die Sicherheitsabkommen ein, zumal Präsident Obama angekündigt hatte, auf jeden Fall alle Truppen bis Ende seiner Amtszeit 2016 abzuziehen. Zwar fielen die Präsidialwahl vom 6. April und die Stichwahl vom 14. Juni höchst fraglich aus. Erstere gewann Abdullah mit 55 zu Ghanis 31 Prozent, letztere Ghani mit 55 zu Abdullahs 45 Prozent. Trotz der Unregelmäßigkeiten warb John Kerry beide für einen Ausgleich in der Regierung. Ghani, einst in der Weltbank, berief Abdullah zum Chief Executive Officer.
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Beide arrangierten sich, damit in Kabul eine einheitliche Regierung wirken kann. Freilich hegt Präsident Ghani zu den Abkommen auch Einwände. Die multinationale Truppe - auch Briten, Italiener und Deutsche - dürfe nicht Moscheen und Heilige Stätten angehen. Sie unterliegen einer strikten Kontrolle. Die Seiten könnten die Abkommen nach zwei Jahren kündigen. Die „Resolute Mission“ hat sechs Basen, eine im östlichen Jalalabad. Ghani rief die Taliban auf, den Friedensgesprächen beizutreten. Diese meinten laut New York Times, der Palast sei illoyal zur Religion und Historie. Ihr Tweet: Tod für Amerika.
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Die Aussichten? Einerseits zeitigten die Taliban Gewinne in Offensiven. Zwar haben die Sicherheitskräfte 350.000 Mann. Doch reduzierte die Koalition ihre Kräfte auf 37.000 mit 33 Basen (in Obamas Truppenaufstockung waren es 2011etwa 800 Basen). Zum anderen greifen die Taliban brutal an, darunter ihre Suizidattentäter. Sie werden wohl um den Rat ihrer fünf Führer verstärkt, die im Austausch für den Gefreiten Bowe R. Bergdahl nach Katar ausreisten. Zwar untersucht die Armee seit dem 16. Juni die Umstände, unter denen Bergdahl am 30. Juni 2009 verschwand. Doch steht zweierlei fest: Der Vorsatz, nicht mit Terroristen zu verhandeln, wurde dabei gebrochen. Aussagen von Bergdahls Kameraden nach der Nacht seines Davongehens belasten ihn. Die Einschaltung von General Kenneth Dahl und Verzögerungen deuten an, dass sich Präsident Obama getäuscht hat. Doch bald ist auch dies Geschichte und nicht wenige Afghanen hoffen auf eine gewisse Befriedung.
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Streitfragen
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Außenminister Kerry, Präsident Ghani und Abdullah sind gewarnt, was im „Islamstaat“ läuft. Dessen Expansion, die westliche Schwäche gegen Jihadis in „Syroirakistan“ und die Teilnahme von fünf sunnitischen arabischen Ländern lassen viele Muslime intensiv streiten, wie legitim Islamisten des „Kalifats“ sind. Das jüngste Webvideo vom Freitag, den 3. September, über die Köpfung des Briten Alan Henning mit der Ankündigung, so den Amerikaner Peter Kassig zu töten, erhellen, wie der „Islamstaat“ seinen Medienkrieg führt. Ohne repräsentativ zu sein, lassen sich dazu drei muslimische Haltungen erkennen.
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Antiislamisten, darunter Muslime, bestreiten dem „Kalif“ Abu Bakr al-Baghdadi jede Rechtmäßigkeit, „im Namen des Islam“ zu handeln. Er habe seinen Titel allein usurpiert, beleidige die Kernlehren des Islam und sei samt Helfern zu verurteilen. Unentschiedene Muslime treten auch auf. Sie möchten den „Islamstaat“ nicht beurteilen. Dies würde das Misstrauen gegen Muslime vergrößern, die Fragen ausgesetzt seien, wer Muslim sei oder wo deren Moderate blieben. Laufe auch offensiv und defensiv Jihad gegen „Ungläubige“, Apostaten, Rebellen und Banditen? Wer erkläre wen zum Renegat, darf Staatsautoritäten getrotzt, dürfen Muslime für „Unglauben“ angeklagt oder als Schiiten getötet werden?
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Hingegen unterstützen Islamisten, also die radikalen bis militanten Ideologen des Jihads, in der Regel die Islamisten des „Islamstaats“. Ein Chef der pakistanischen Taliban betont, hinter ihnen zu stehen. Mullah Fazlullah verspricht, ihnen so gut wie möglich zu helfen. Umar Khurazani, ebenso von den pakistanischen Taliban, bot im Webvideo an, zwischen Gruppen des „Islamstaats“, al-Qaida und an-Nusra zu vermitteln, um der Einheit willen. Viele andere Proislamisten leisten Beistand für den „Islamstaat“. Darunter sind jene in Bangladesch und Pakistan, die auf dem indischen Subkontinent ein Kalifat erstreben, wie es al-Qaida-Chef Aiman az-Zawahiri in seinen Webvideos 2014 angeregt hat. Dies geriet zu einem lang gehegten Traum seit dem Kalifatsende 1924: ein Großreich der Muslime.
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Über 120 Muslime, Nicht- und Antiislamisten aus vielen Ländern des Islam, die sich um die Kairiner al-Azhar-Universität versammelt haben, offenbarten ihr solides Gutachten in einem offenen Brief am 19. September an den „Kalif“ Dr. Ibrahim Awwad al-Badri alias Abu Bakr al-Baghdadi und Kämpfer samt Anhängern des sogenannten „Islamstaats“. Sie berufen sich auf dessen Rede in Mossul am 4. Juli, wo er auch Korrekturen forderte. Die Verfasser erläutern nun in ihrer Fatwa, die Meinung „der überwältigenden Mehrheit“ der Sunnigelehrten im Laufe der islamischen Geschichte zu 24 Kernpunkten wiederzugeben.
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Ihr Rechtsgutachten erhärtet Verbote und Gebote. Ohne die Ausbildung und Beachtung des gesamten Korans und der Hadith-Tradition dürften keine Rechtsurteile ergehen. Dies könne nur der tun, der Arabisch meistere. Fragen der Scharia seien nicht zu vereinfachen, aber Meinungsdifferenzen erlaubt, außer zu Fundamenten. Verboten sei es, Unschuldige, Diplomaten, Journalisten und Entwicklungshelfer zu töten. Jihad sei Verteidigungskrieg und ohne rechte Ziele und rechtes Benehmen verboten wie auch andere „Ungläubige“ zu nennen und ihnen zu schaden. Zwang zum Konvertieren und Sklaverei seien verboten, so auch Folter, Entstellung Toter, bewaffneter Aufstand und ein Kalifat ohne Konsens aller. Der Islam gebiete niemandem, auszuwandern. Die Debatte erhielt eine kompetente Basis.
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<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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