(explizit.net) Seit durch den demokratischen Staatsstreich Tamarrud, eine „Coupvolte“, der zeitweilige Präsident Adli Mansur am Nil amtiert, überschlagen sich die Ereignisse. In ihrer weiten Störaktion enthüllten die Muslimbrüder wieder ihr extremes Gesicht. „Wir wollen nicht Demokratie, sondern Islam“, stand auf einem ihrer Plakate. In der Tat trieb die Art ihrer Regierung alle zur Islamokratie. Dies mißglückte ihnen nicht nur, sondern viele Regenten müssen nun um ihr weiteres Schicksal bangen, mißachten sie den Volkswillen. Das zählt doch zur Demokratie. Ägyptische Rebellen gaben ihr wieder Chancen in Mittelost. Wie dereinst die Protestierenden in Osteuropa, die auch alle „Normen“ durchbrochen haben.
Am einprägsamsten reagierte Präsident Obama. Ausgerechnet am amerikanischen Tag der Unabhängigkeit, an viele des freiheitlichen Urimpulses von 1776 gedachten, der von Washington „gesetzeswidrig“ ausging und schon bei den Franzosen in einer dem Terror verfallenden Kopie entgleiste, drohte er den Rebellen, die Hilfe zu entziehen. Damit gab er den Muslimbrüdern Signale, die sofort argumentieren konnten, daß sogar Barack H. Obama auf ihre Seite trat. Künftige Mittelosthistoriker werden jedoch nicht lange rätseln müssen, denn dies war von Anbeginn der Revolten 2011 der Fall. Unter dem Motto, die Opposition müsse inklusiv sein, lud er diese Exremen, zu deren Überraschung, mit in die Macht ein. Hätten Amerikaner 1945 ebenso fordern sollen, Nazis mitregieren zu lassen?
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Transit Islamokratie
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Als der Islamist Muhammad Mursi Ende 2012 den Traum der Demokratie begrub, da glaubten Kreise am Potomac, es könne doch eine Übergangsphase der Theokratie geben. Im Land der unaufklärchlichen Sphinx sei dies halt so. Man wäre dort halt nicht so weit. Ihnen schwebte gar der Iran vor. Dieselben möchten dessen Griff nach Nukes wegreden.
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Laut New York Times beriet Obamas Botschafterin die Muslimbrüder, weshalb Plakate in Kairo Anne W. Patterson zur persona non grata erklärten: ihr Foto durchkreuzte dort ein blutiges X. Wie der Präsident sprach sie vom „Übergang in die Demokratie“, was den tödlichen Verhältnissen nur höhnte. Noch ein Dutzend Tage vor der Wende, inmitten von Tumulten gegen Mursi, rechtfertigte sie den Kurs: Amerika fördere den demokratischen Weg, müsse jedoch mit denen an der Macht umgehen. Sie denke nicht, „daß die gewählte Natur dieser Regierung ernsthaft in Frage steht.“ Sie sei zutiefst skeptisch, erklärte sie am 18. Juni, „daß Straßenaktionen bessere Resultate als Wahlen erzeugen“. Elitistisch traf sie damit die Protestler. „Sie manupiliert die Leute und regiert heimlich das Land“, zitiert die New York Times die Bankangestellte Muna Muhammad. Und: Patterson habe sich nach dem al-Qaida-Angriff auf Benghazis Vertretung am 11. September entschuldigt für das dies angeblich auslösende Video über den Propheten Muhammad, das kaum jemand sah.
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Zum Glück zogen Ägypter ihre Notbremse. Und Obama korrigierte sich, indem er sechs Tage nach Mursis Sturz sagen ließ, keine Hilfe, 1,3 Milliarden Dollar, zu entziehen. Den Entzug wollten am 12. Juli die Senatoren Lindsey O. Graham und John S. McCain wegen des „Coups“. Unfaßlich für viele Ägypter, daß sie mithin extremen Islamisten zuarbeiten. Obama erklärte dann, keiner Partei zu folgen, sondern dem demokratischen Volkswillen. Wie zu Iranern gegen das Regime 2009, stellt er sich neutral, statt Liberalen beizustehen.
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Kurswechsel
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Mittelost war stets ein Treibhaus für Theorien der Konspiration. Plötzlich klagen ehedem begünstigte Muslimbrüder Amerika an, an Mursis Stuhl gesägt zu haben. Warum sind die Schlangen weg, auch an den Zapfsäulen? Habe nicht Washington in Demokratievereinen Aktivisten bezahlt? Da sich Muslimbrüder im Stich gelassen sehen, greifen sie zu ihren alten Praktiken: Terror. Daher galten sie seit 1928 Regierungen als das, was sie waren, Extremisten. Da einige 2011 wie Mursi aus Kerkern entflohen, könnten die Betreffenden alsbald vor Gericht kommen. Vermögen eines Dutzends ihrer Führer wurden eingefroren.
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Indes am Freitag, am 12. Juli, die Muslimbrüder in einer „friedlichen Eskalation“ in Nasr City im Osten Kairos einen Sitzprotest gegen die Tötung von 51 ihrer Brüder durch die Armee zu Wochenbeginn abhielten, bahnte Interimspräsident Mansur neue Wege an. Ein Woche zuvor gab er eine konstitutionelle Erklärung ab. Die Übergangsperiode dauere ein halbes Jahr, in dem die Verfassung zu ändern sei sowie die Wahlen zum Parlament und Präsident folgen. Artikel eins von 33 betont ein demokratisches System, den Islam als die Staatsreligion und die Scharia als die Hauptquelle der Gesetzgebung. Problematisch. Hier war Ahmad at-Tayyibs al-Azhar-Dokument besser, daß Andersgläubigen „deren Scharia“ zubilligte. Richter sind in allen Gremien und die Verfassung unterliegt dem Referendum.
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Und positiv: die Komitees, die an der Verfassung und bei Wahlen mitwirken, sollen alle Richtungen und Schichten verkörpern, darunter Frauen und Jugendliche. Präsident und Kabinett, 15 Personen, haben die Legislative bis zur Wahl eines neuen Präsidenten inne. Vizepräsident wurde Sonntag der bisherige Oppositionsführer Muhammad al-Baradai.
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Führungslos
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Neben Saudi-Arabien gaben Golfstaaten wie Qatar dem Nilstaat aus ihrem Sparbeutel ein Dutzend Milliarden Dollar. Mit der Dauerdrohung eines Exports von Jihadrevolten Irans und Syriens Bürgerkrieg vor Augen, möchte niemand dort einen weiteren extremistischen Staat am Nil erleben. Manche Beobachter sahen in Muslimbrüdern dort einen legitimen Faktor. Das waren sie nur selten. Sie gediehen so rechtmäßig wie überall die Extreme am Rande. Ihr Islamismus schimmerte jüngst kaum hinter den Reden von Demokratie durch.
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Die Geschichte lehrte mehrfach, was passiert, wenn linke oder rechte Extreme die Mitte überwältigen. Sie hätten doch eine echte Demokratie immer weiter gescheut, zumal sich das Risiko ihrer Abwahl keineswegs mit ihrem „göttlichen Auftrag“ vertragen hätte. Wer dazu Fragen hat, studiere die islamistischen Machtübernahmen im Iran und in Gaza. Und ihren Machterhalt, zu dem man jetzt die kurze, aber extreme Ära Mursis hinzufügen darf.
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Wer dazu hohe Reden aus den westlichen Demokratien auftischt, offenbart wenig von der eigenen und noch viel weniger von der mittelöstlichen Geschichte. Völker dort finden ihre eigenen Wege, und sei es durch eine Coupvolte als demokratische Korrektur. Dabei wird man weitere Begriffe und Eigenheiten in das Lexikon bunter Erfahrungen eintragen. Mittelostler haben ein Recht auf ihre Lösungen, ohne bedroht oder gegängelt zu werden.
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Ein globaler Dialog, geführt durch Demokratien, wie der islamistischen Ideologie in den eigenen Ländern und durch Allianzen begegnet werden könnte, steht dringend an. Dafür kommt zu wenig aus Amerika und Europa im Lichte der gerade gefeierten Lady Liberty.
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<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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