1. Donald Trump gewann am Ende klarer als von den Vorwahlumfragen vorhergesagt die Präsidentschaftswahl 2024. Wie nehmen Sie derzeit die Stimmung im Land sowie insbesondere in den christlichen und katholischen Gemeinden wahr?
Diejenigen Demoskopen, die schon 2016 und 2020 den Trend richtig erkannten, haben auch dieses Mal das Ergebnis korrekt vorhergesagt (Atlas/Intel, Trafalgar, Rasmussen). Übrigens: Trump war während des gesamten Wahlkamps in den Umfragen besser aufgestellt als 2016 gegen Hillary Clinton, und damals hatte er ja auch eindeutig gewonnen. Warum hat Frau Harris nicht gewonnen? Sie wurde als inkompetent wahrgenommen. Zu keinem Sachthema hatte sie Erhellendes zu sagen, und das einzige Thema, bei dem sie sich emotional engagiert zeigte, war grenzenlose Abtreibung. Auf der Liste der am meisten links-orientierten demokratischen Senator:innen im 21 Jahrhundert stand sie auf Platz 2 von 191, überboten nur noch von Elizabeth Warren. Die christlichen Wähler:innen sind eher konservativ. Ich kenne Katholik:innen in Pennsylvania, welche die zahllosen täglichen Werbespots von Frau Harris nicht mehr ertragen konnten, weil sie sich nur um maximale Liberalisierung der Abtreibung ohne jegliche Rücksicht auf das Kind drehten. Sie blieben bei der Wahl zuhause, weil sie den Rechtspopulisten Trump auch nicht wählen wollten. Die Stimmung in den katholischen Gemeinden ist daher nicht gut. Viele konnten sich mit keiner Alternative identifizieren. Und hat man hat Verständnis für die jeweils andere Seite, die ja auch nur, um ein Wort des Papstes zu benutzen, für das aus ihrer Sicht kleinere Übel gestimmt hat. Amerika hat bessere Kandidaten:innen für das höchste Amt im Staate verdient.
2. Welchen Stellenwert hatten aus Ihrer Sicht evangelikale Christinen und Christen sowie Katholikinnen und Katholiken bei der US-Wahl 2024? Laut exit poll - Umfragen haben diese Gruppen mehrheitlich Donald Trump gewählt, teilweise mit 81 Prozent der Stimmen.
Die Evangelikalen haben Trump mit überwältigender Mehrheit gewählt. Das war schon 2016 und 2020 so. Da hat sich nichts geändert. Sie befinden sich im Kulturkampf mit den liberalen Eliten und sehen Trump als Verbündeten. Sie wollen keine unkontrollierte Abtreibung, sie wollen keine biologischen Männer im Frauensport, sie wollen eine starke Polizei und eine harte Drogenpolitik, sie wollen ihr Kinder erziehen können, ohne sie linken Lehrer:innen aussetzen zu müssen. Interessant ist, dass sich nach den sich bisher abzeichnenden Daten die Katholiken, die 2020 etwa 50:50 abgestimmt haben, signifikant nach rechts bewegt haben. Trump hat eine klare Mehrheit unter den Katholik:innen. Dafür gibt es 2 Gründe: Der erste ist mehr an der Oberfläche: Die Regierung Biden/Harris war unpopulär, weil ihr ein doppeltes Versagen vorgeworfen wurde: Bedrohlich angestiegene Lebenshaltungskosten und ein Zusammenbuch der staatlichen Integrität der USA an der südlichen Grenze, über die Millionen Flüchtende einströmen. Der tiefere zweite Grund ist eine Krise des liberalen Paradigmas, das die US-Politik Jahrzehnte bestimmt hat. Es begann mit der Bürgerrechtsbewegung, die den Freiheitsraum großer Minderheiten erweiterte, schritt voran mit der neoliberalen Bewegung unter Reagan, die die Spielräume der großen Unternehmen erweiterte und endete mit der „woken“ liberalen Bewegung, die auch den Freiheitsraum kleiner Minderheiten radikal erweitern will. Hier gibt es eine dreifache Gegenbewegung, die sich erstens ein ethnisch und kulturell homogeneres Amerika zurückwünscht, die zweitens die Globalisierung und damit verbundene Abwanderung von Jobs ablehnt und drittens der Meinung ist, dass die woke Liberalisierung mehr Unfreiheit als Freiheit gebracht hat. Gerade den letzten Punkt hört man oft in katholischen Kreisen, wo man zum Beispiel nicht verstehen kann, warum man nicht mehr öffentlich von Weihnachten reden darf, weil das irgendeine Minderheit verletzen könnte. Diese dreifache anti-liberale Gegenbewegung findet in den Kirchen mehr und mehr Anhänger. Das ist der Mega-Trend, die Welle, auf der Trump schwimmt.
3. Wie bewerten Sie das Handeln der amerikanischen Bischofskonferenz bei den US - Wahlen 2024. Es wurde keine Wahlempfehlung ausgesprochen, aber ein Wählerleitfaden ("Forming Consciences for Faithful Citizenship") veröffentlicht.
Das Handeln der amerikanischen Bischofskonferenz ist politisch praktisch wirkungslos. Sie ist in sich gespalten. Es gibt ein konservatives Lager, das Benedikt XVI nachtrauert, den Republikanern nähersteht und sich in verengter Perspektive auf die Ablehnung der Abtreibung eingeschossen hat. Dann gibt es ein etwas liberaleres Lager, das Franziskus nachfolgt, den Demokraten nähersteht und vor allem die sozialethischen Fragen von Klima und Gerechtigkeit betont. Beide zusammen haben dafür gesorgt, dass der katholische Wählerleitfaden ein üppiges Buffett ist, das für jeden etwas zu bieten hat. Welche Präferenz man auch immer im Vorfeld schon hatte, man wird sie durch das Papier begründen lassen können. Es ist daher nicht einmal Papiertiger, sondern eine eierlegende Wollmilchsau aus Papier. Für die persönliche Besinnung mag das Dokument taugen, eine sichtbare Spur auf dem Marktplatz der Politik wird es nicht hinterlassen.
4. Schlussfrage: Glauben Sie, dass durch die Wahl von Donald Trump christliche / katholische Themen zukünftig eine größere Bedeutung in den USA bekommen werden? Werden Themen der Weltsynode 2024 aufgegriffen werden oder wird es einen konservativen "roll back" geben (z.B. beim Thema Abtreibung).
Trump hat in seiner ersten Wahlzeit sein Versprechen wahrgemacht und das Thema Abtreibung entsprechend dem Willen des Obersten Gerichtshofs in die Hand der Bundestaaten gelegt. Das Thema kommt daher in seinem Wahlprogramm, Agenda 47, so gut wie nicht mehr vor. Die Weltsynode hat zaghaft und eher im Modus der Möglichkeit eine Liberalisierung der katholischen Machtstrukturen angesprochen. Da war die Rede von weniger Rassismus, weniger Kolonialismus, weniger Klerikalismus und weniger Machismo. In der katholischen Kirche gibt es so wenig Liberalität, das wäre sogar Trump zu wenig. Er hat den liberalen Eliten in der amerikanischen Zivilgesellschaft den Kampf angesagt. Er sieht sich als Robin Hood der schweigenden Mehrheit, zu der er auch viele Katholiken rechnet. Er will den anti-semitischen Bildungstempeln der liberalen Eliten Geld entziehen, die Curricula der staatlichen Schulen von kritischer Rassentheorie befreien und das Schulgebet wieder einführen. In christlichen Kreisen wird das manch einer mit offener oder klammheimlicher Freude begrüßen. Trumps Programm enthält aber auch die Forderung nach einer deutlichen Ausweitung der Macht des ohnehin schon starken Amts des Präsidenten. Diese deutlich autoritären Züge sind die dunkle Seite seiner Kritik an liberalen Auswüchsen. Sie sind alarmierend. Die Aushöhlung der Demokratie ist die größte Gefahr, die von Trump ausgeht. Die multinationale Kirche könnte sich aus ihrer reichen Erfahrung mit autoritären Systemen als ein prophetischer Mahner manifestieren, der sich jedem nationalen Führerkult entgegenstellt. Sollte ausgerechnet die undemokratische Kirche sich als Verteidiger der Demokratie aufschwingen? Ja, sie muss es sogar, wenn sie ihre eigene Soziallehre ernst nimmt. Und außerdem, wie schon Max Scheler sagte: „Haben Sie schon einmal einen Wegweiser gesehen, der den Weg auch geht, den er weist?“
Prof. Dr. phil. habil. Godehard Brüntrup SJ
Pater Godehard Brüntrup SJ ist Professor für Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München und derzeit Gastprofessor an der Saint Louis University in St. Louis / Missouri / USA.
Das Interview führte Christian Schnaubelt - Chefredakteur und Herausgeber von kath.de.
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