Basiliuskathedrale am roten Platz, F. explizit.net E.B.

Russland ist nicht einfach russisch - zum Nationalfeiertag Anfang November

Es ist nicht mehr der Gedenktag der Oktoberrevolution, an dem Russland sich als Nation versammelt, sondern der 4. November. An diesem Tag wurde Moskau 1612 von den polnischen Besatzern befreit. Welche nationale Identität wird mit diesem Gedenken aufgerufen? Was ist die russische nationale Idee, was bedeutet sie für den russischen Patriotismus und welche Entwicklungsrichtung signalisiert sie?

Nicht Vertreibung eines polnischstämmigen Zaren, sondern die Einheit des Landes

Eigentlich bedeutet das Ereignis, das vor mehr als 400 Jahren stattgefunden hat, weniger die Überwindung einer Fremdherrschaft, sondern dass 100 Jahre nach der Mongolenherrschaft die Nation in der Lage war, sich eines fremden Herrschers zu entledigen. So zumindest Igor Bartzitz, der in der gazeta.ru der Frage nachgeht, was für eine nationale Identität Russland eigentlich zusammenhält. Denn auch wenn der polnische Prinz Zar geblieben wäre,  hätte das kaum eine Rückwirkung auf die nationale und kulturelle Identität des jungen Staates gehabt. So konnte auch die deutsche Prinzessin, die in Russland Katharina d.Gr. wurde, aus Russland kein zweites Deutschland machen.
Die Vertreibung des fremden Herrschers war nur eines der vielen Ereignisse in der wechselhaften Geschichte der Beziehungen zwischen der Moskau Rus und Polen. Viel wichtiger war, dass dieses Land, das ethnisch, religiös und kulturell alles andere als homogen war, zur Einheit gefunden hat. Die Versöhnung des multikonfessionellen und multiethnischen Landes war überlebenswichtig. Auch wenn das Moskauer Fürstentum nicht immer auf einem friedlichen Weg zu einen riesigen Reich wurde, gab es in der Geschichte Russlands niemals religiöse und nationale Kriege. Auch wenn die Kathedrale des Heiligen Basilius auf dem Roten Platz an den Sieg Ivan des Schrecklichen über das muslimische Tatarstan erinnert, war das  kein Religionskrieg.

Keine gemeinsame Religion und keine gemeinsame Ethnie

Toleranz, wenn man dieses Wort benutzen will, ist eine Eigenschaft der Völker Russlands geworden, nicht etwa, weil sie besonders sanftmütig und freundlich wären, sondern weil sie sehr oft unbewusst spürten, dass alles andere zum Krieg und damit zur Vernichtung des Staates führen würde.
Einheit ist nur dann möglich, wenn die Menschen etwas eint. Für Russland war es nie das Blut oder die Religion, sondern auf der psychologischen Ebene die gegenseitige Akzeptanz. Der Fremde wurde so akzeptiert, wie er ist, ohne dass man von ihm verlangte, so wie Wir zu werden.
Deshalb ist Patriotismus in Russland kein “russisch-nationaler”, sondern nur als “russländisch-staatlich” zu verstehen. Natürlich schließt es nicht aus, dass Diskussionen und sogar Streitigkeiten, z.B. über die Rolle der nationalen Sprachen im Unterricht und im kulturellen Leben, geführt werden. 

Der Patriotismus wird durch ein Überlegenheitsgefühl genährt

Es wird auf der eine Seite ein Ausgleich zwischen der Einheit und der Vielfalt gesucht und der anderen Seite der Versuch unternommen, den Patriotismus mit einem sinnvollen Inhalt zu füllen. Die Kulturpolitik will grundlegende menschliche Werte wie Gastfreundschaft, Respekt gegenüber den Älteren, Liebe zu den Kindern, Barmherzigkeit und verschiedene Vorstellungen von “Gewissen” als nationale Eigenschaften darstellen. Das ist auch der Versuch, die wirtschaftliche Rückständigkeit wie auch dann Mangel an Demokratie sowie das Fehlen einer Zivilgesellschaft durch das Bewusstsein moralischer Überlegenheit zu kompensieren.
Reiche Länder, besonders der Inbegriff der westliche Überlegenheit oder zumindest des Überlegenheitsgefühls, die USA, sprechen über ihrer Besonderheiten und sogar Einzigartigkeit und Exklusivität  mit einer anderen Begründung, nämlich sie seien kulturell und zivilisatorisch überlegen. “Die letzte und die beste Hoffnung der Menschheit” (A. Lincoln), “Anführer der freien Welt”, “Unersetzliches Land” (M. Olbreit, H. Clinton), “Außergewöhnliches Land” (B. Obama), “das Reich der Freiheit” (T. Jefferson), “die strahlende Stadt auf dem Berg” (R. Reagan), “das wertvollste Geschenk, das die Welt in den letzten Jahrhunderten, wenn nicht überhaupt in ihrer ganzen Geschichte bekommen hat” (M. Hirsh) – alles das spiegelt das Gefühl der nationalen Überlegenheit der Amerikaner wider. “Die Leugnung der amerikanischen Exklusivität bedeutet die Verleugnung der Seele dieses Volkes” (M. Hakabi).

Russland moralisch und durch seine Größe überlegen

Russland ist mit beiden Versuchungen konfrontiert - sich kompensatorisch als moralisch überlegen und gleichzeitig aufgrund der Größe und der Geschichte als etwas Besonderes darzustellen. Dies belegt eine Umfrage amerikanischer Soziologen unter Studenten von 35 Ländern. Interessant sind die Fragen, ob das eigene Land in die Geschichte eingegangen sei. Russische Studenten sind am meisten stolz auf die Rolle ihres Landes in der Weltgeschichte. Sie geben an, dass Russland einen Beitrag zu 60,8% der weltgeschichtlichen Ereignisse geleistet habe. Im Vergleich dazu sehen englische Studenten ihr Land an 54,6%, indische Studenten an 53,6%, Schweizer an 11,3% der weltgeschichtlichen Ereignisse beteiligt.


Kategorie: Politik

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