„Natürlich fragt man sich nach den Gründen der Revolution. Wenn ich aber diese Ereignisse ansehe, fallen mir nur zwei auf: Die Egomanie der herrschenden Klasse und unglaublich Dilettantismus und Naivität der Liberalen, die in März 1917 an die Macht gespült wurden,“ so der der Militärhistoriker Oleg Airapetov in der „Gazeta.ru.
Es trifft zu, dass der Erste Weltkrieg die Revolution hervorgebracht hat. Aber das war nur deshalb der Fall, weil die Menschen erkannt hatten, dass die herrschende Klasse nicht in der Lage war, die vielen akuten Probleme zu lösen. Die herrschende Klasse, ob Grundbesitzer oder Industrielle, waren unfähig, wirkliche Reformen durchzuführen. Die Hauptprobleme hatten streng genommen mit dem Krieg keine direkte Beziehung. Der Krieg hatte die Funktion, wie ein Katalysator die Probleme zu verstärken. Wahrscheinlich hätte ein Sieg der russischen Truppen die Entwicklung der Krise verlangsamt. Was waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Probleme, die nicht gelöst werden konnten:
Probleme der Arbeitswelt
Die unter Nikolaus II. verabschiedet Regelung, 11,5 Stunden pro Tag und 10 Stunden pro Nachtschicht in den staatlichen und militärischen Unternehmen, funktioniert nicht. Das heißt, es gab weiterhin zwei Arbeitsschichten zu jeweils 12 Stunden.
Eine Invalidenversicherung, die einer Person, die arbeitsunfähig geworden war, den Lebensunterhalt sicherte, war nicht vorgesehen. Ein solcher konnte allenfalls als Wachmann weiter beschäftigt werden. Aber es gab mehr Invaliden als Arbeitsstellen für Wachmänner.
Für Russland war die Bauernfrage noch gravierender. Lenin, der Vorsitzende der bolschewistischen Partei, einer Arbeiterpartei, nannte die Agrarfrage den Schlüssel für die russische Revolution. Die Kleinbauern, die in regelmäßigen Abständen von Hungernöten heimgesucht wurden, hofften auf eine Umverteilung. Aber die Großgrundbesitzer waren nicht bereit, einen Teil ihrer Ländereien abzutreten. So bleib den Kleinbauern nur die Alternative Auswanderung - nach Sibirien, Kasachstan und Zentralasien. Die Auswanderungspolitik, die Stolypin-Reform, hatte 1914 noch zu wenige Ergebnisse gebracht, um erfolgreich sein zu können. Zudem kamen viele Auswanderer ruiniert zurück. Sie vergrößerten die Brisanz der Agrarfrage, so wie Ende des 18. Jahrhunderts in England bereits geschehen.
Monarchie und liberales Bürgertum geringen geschwächt in die Lösung der Krise
Diese ungelösten Probleme der Bauern und Arbeiter wurden durch den Krieg offenkundig. Aber nicht nu das. Es gab auch eine problematische Gesellschaftsstruktur. Anfang des 20. Jahrhunderts konnte man allenfalls ein, höchstens zwei Prozent der Bevölkerung der Oberschicht zurechnen. Die Neuen Reiche, die nicht zum Adel gehörten, vergrößerten den Anteil der herrschenden Klasse an der Gesamtbevölkerung noch einmal. Trotzdem blieb diese Schicht eine verschwindend kleine Minderheit. Zudem lag das liberale Bürgertum mit der Monarchie in ständigem Streit. Der Krieg vertiefte die Krise nur. Dieses Spannungsverhältnis hat sowohl die Monarchie wie die liberalen Kräfte geschwächt.
Das Versagen der liberalen Opposition
Die Bourgeoisie und die liberale Intelligenz kritisierte die Regierung wegen mangelnder Professionalität. Ein Argument war, dass der Staat nicht so gut wie Private Unternehmer die Kriegswirtschaft organisieren kann. Aber es hat sich herausgestellt, dass die Führer der Opposition, die sich anschickte, das Land nach der Revolution zu regieren, sich selbst als viel zu wenig professioneller erwiesen als die, die sie kritisierten. Ihr Absturz geschah fast sofort. In nur wenigen Monaten haben sie Ihre Unfähigkeit gezeigt, das Land zu regieren.
Es stellte sich schnell heraus, dass die Ansichten, Konzepte wie auch die Stimmungslage der „Bürgerlichen Parteien" in der Regierung fast nichts mit den Realitäten des Landes zu tun hatte. So Alexander Gutschkow: er studierte am Institut für Allgemeine Geschichte an der Universität Moskau und forschte über die englische Revolution und die Entstehung des englischen Systems. Es zog draus die Konsequenz, wie Ende des 18. Jahrhundert in Großbritannien die Monarchie in Russland zu schwächen, Er stellte dann später: "Wir dachten, es würde wie am Ende des 18.Jahrhundert in England werden." Nur Russland war nicht England. Es war eine große Erkenntnis, aber leider viel zu spät. Es gibt nämlich sehr wenige Ähnlichkeiten zwischen Großbritannien und Russland, sowohl im 18. wie auch Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts. Die Prämisse stimmte nicht: Wenn die Monarchie schwach wäre, würde das ausreichen, um die konstitutionelle Regierung zu stärken. Ein anderer liberaler Politiker, Miljukow baute auf Parallelen mit der Großen Revolution in Frankreich. Das erinnert an die Aussage von Konfuzius auf: einem Narren kann der Unterricht nicht helfen. Der Bildungsstand in Russland war einfach viel zu niedrig. Die Politiker waren sehr intelligent, gebildet, sie beherrschten viele Sprachen waren aber als Politiker und Organisatoren Versager.
Mehr noch. Sie haben sich an der Sturz der Monarchie beteiligt, weil sie überzeugt waren, dass der Sieg im Krieg nahe war. Sie wollten diesen Sieg für sich beanspruchen und der Monarchie nicht die Früchte des Sieges überlassen.
Die Lage in Russland am Anfang wie am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts ist gleicherweise gekennzeichnet durch die Egomanie der Neune Reichen, die sich in Champagner badeten, wo Obdachlose auf der Straße etwas zu Essen suchten. Weiter kennzeichnet beide Epochen die Naivität der liberalen Regierungen, die beide Male vom Westen als Dreamteams gefeiert wurden. Man kann sich nur wundern, dass es in Russland am Ende des Jahrhunderts nicht wieder eine Revolution gab.
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