Leninmausoleum an der Kremlmauer geschlossen Foto: explizit.net

Oktoberrevolution: In Russland übergangen

Während die Oktoberrevolution in vielen Medien mit meist historischen Beiträgen Thema war, fand das Gedenken in Russland fast gar nicht statt. Die Regierung hat das Gedächtnis wohl deshalb vorbeigehen lassen, weil sie selbst Revolution fürchtet. Unser Moskauer Korrespondent hat einige Stimmen gesammelt

Als die Bolschewiken unter der Führung von Lenin im Oktober, nach dem Gregorianischen Kalender am 7. November, 1917 die Macht übernommen hatten, hat das zuerst kaum jemand bemerkt. Genauso heute. 100 Jahre später merkte kaum jemand, zumindest in Russland,  dass es sich bei dem Jubiläum um ein ziemlich wichtiges Ereignisses unserer Geschichte handelt. Die Regierung wird von den Kritikern des Schweigens beschuldigt, weil für sie, so die Beschuldigung, jede Revolution ein Gräuel und ein Schrecken sei. So, und das ist die Ironie der Geschichte, rufen heute hauptsächlich die, die sich als liberale Oppositionäre darstellen, die Ereignisse des Oktobers 1917 in Erinnerung.

In einer Internetausgabe von “decoder”  

Es finden sich verschiedene Meinungen, die recht umfassend die heutige Stimmung in Russland wiedergeben. Der Kommentar von Radiojournalist Ilja Charlamow für die Agentur RIA Novosti  steht ganz im Einklang mit der offiziellen „Versöhnungs“-Rhetorik:
Einige der sogenannten Historiker und Politiker rufen dazu auf, das sowjetische Erbe auszuradieren, die Revolution zu verurteilen, ebenso wie das aus ihr hervorgegangene Staats- und Gesellschaftssystem.  [...]
„Das 100-jährige Oktoberjubiläum – wie sollte es nicht als Anlass dienen, sich zu versöhnen, nein, sich auszusöhnen mit der eigenen Geschichte und den eigenen ideologischen Gegnern. Zumindest sollte man das beharrlich versuchen. Unsere Geschichte ist so wie sie ist. Eine andere gibt es nicht und wird es nie geben.“ Als die Bolschewiken unter der Führung von Lenin im Oktober 1917 die Macht übernommen hatten, hat das zuerst kaum jemand bemerkt. Genauso heute. 100 Jahre später merkte kaum jemand, zumindest in Russland,  dass es sich bei dem Jubiläum um ein ziemlich wichtiges Ereignisses unserer Geschichte handelt. Die Regierung wird von den Kritikern des Schweigens beschuldigt, weil für sie, so die Beschuldigung, jede Revolution ein Gräuel und ein Schrecken sei. So, und das ist die Ironie der Geschichte, rufen heute hauptsächlich die, die sich als liberale Oppositionäre darstellen, die Ereignisse des Oktobers 1917 in Erinnerung.“   7. November

REPUBLIC: Eine EXTERNE MACHT WAR’S

Andrej Archangelski zieht auf Republic Parallelen zwischen dem Umgang mit der Revolution und der Ukraine.
„Mehrere Varianten ein und desselben Ereignisses – es ist, als würde von dem eigentlichen Anlass abgelenkt. Es wurde eine Vielgestalt von Bewertungen der Revolution zugelassen, ja sogar befördert: Heute gibt es in den Staatssendern eine eher „rote“ Version der Revolution, die in offiziösen Verlautbarungen zart kritisiert wird; es gibt eine „weiße“, monarchistische; und es gibt eine Verschwörungsversion. Alle existieren in der Informationslandschaft zeitgleich. 
Das hat den Diskurs über die Revolution auf eine neue dialektische Ebene gehoben – genau wie im Fall der antiukrainischen Propaganda, die die Formel „Man hat uns entzweit“ hervorbrachte. Es ist ein Universal-Verfahren in dem Moment, in dem alles Schreckliche schon getan und gesagt ist. Und die Verantwortung wird einer nicht benannten externen Macht zugeschoben. 7. November 2017

ECHO: EINE REVOLUTION? GAB ES NICHT!

Der Oppositionspolitiker Leonid Gosman dagegen prangert in seinem Blogeintrag, den Echo Moskwy veröffentlicht hat, das offizielle Schweigen an:
„Urteilen Sie selbst. Ein Mensch lebt, solange man sich an ihn erinnert. Bei einem Ereignis ist es dasselbe – es lebt, solange man sich daran erinnert.
Wenn nun vor genau 100 Jahren in unserem Land eine Große Revolution stattgefunden hätte, dann hätte sich das derzeitige Staatsoberhaupt heute an die Nation gewandt, hätte gesagt: Das und das sind die Lektionen, Schlussfolgerungen und so weiter. Hat sich aber nicht an die Nation gewandt.
Wenn vor genau 100 Jahren in unserem Land eine Große Revolution stattgefunden hätte, dann hätte es heute eine Schweigeminute gegeben, in Erinnerung der Opfer des damals losgetretenen Bürgerkriegs – Weißer, Roter, zufällig Involvierter. Hat es nicht gegeben. [...]
Die Machthaber haben unsägliche, paranoide Angst vor Revolutionen. Die Erinnerung daran, was vor 100 Jahren passiert ist, verletzt die zarten Seelen unserer Führungsriege. Also hat nichts stattgefunden. 7.11.17

IZVESTIA: OFFENE DISKUSSIONEN

Valentina Matwijenko wiederum, die Vorsitzende des Föderationsrats, findet in ihrem Beitrag in der staatsnahen Izvestia Gründe für das offizielle Schweigen zum 100. Jahrestag der Revolution:
„Man kann mit aller Bestimmtheit sagen, dass es in unserem Land de facto eine gesamtgesellschaftliche Diskussion gegeben hat. Breit, offen und völlig frei von offiziösen und regulierenden Eingriffen. Nicht zuletzt durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien hatten alle die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern, die das wollten. Und die Menschen haben, wie man so sagt, ihr Herz ausgeschüttet. Meiner Ansicht nach hat das der Debatte einen besonderen Wert eingetragen. Im Grunde ist ein Panorama der politischen und der Ideenlandschaft des modernen Russland entstanden.“ 7. November 2017

sNOB: HASS UND ANGST

Fjodor Krascheninnikow hat sich für Snob das Kino- und Fernsehprogramm zur Revolution angeschaut:
Worüber schweigt der Staat, wo wird gebrüllt? Daran kann man ziemlich gut erkennen, was in den Köpfen der Ideologen des derzeitigen Regimes vor sich geht. [...]
Den Mächtigen ist die Revolution auf den Straßen verhasst. Sie drehen fast durch, so hassen sie die, die das „Boot ins Wanken“ bringen und radikale Losungen skandieren. Keinesfalls möchten sie zeigen, dass im Endeffekt die Revolutionäre siegen, und nicht die orthodoxe Monarchie mit ihren Gendarmen, Metropoliten und Kosaken. Deswegen sehen wir auf dem Bildschirm nur Karikaturen von Randfiguren, die aus der Emigration zurückgekehrt und bereit sind, sogar von Vaterlandsfeinden Geld zu nehmen. Aber wir sehen auf dem Bildschirm nicht die wahren Revolutionäre von 1917.   7. November

 7x7: LENIN VS. STALIN

Der Archangelsker Journalist Leonid Tschertok kritisiert auf 7x7 den zunehmenden Stalinkult, auch wenn über die Revolution gesprochen wird:
„Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Stalin mit den Jahren immer mehr Anhänger hat und Lenin immer weniger? Es stellt sich so dar, dass der schnauzbärtige effektive Manager die Fehler des Führers, der das R nicht rollen konnte, korrigierte, indem er die Industrialisierung und Kollektivierung in Gang setzte – anstelle der Wirtschaft des zerfallenen Imperiums, die durch den Bürgerkrieg und das Chaos der ersten Sowjetmacht-Jahre zerstört worden war. Übrigens, der Sieg im Großen Vaterländischen Krieg – was ist das, wenn nicht die Folgenbeseitigung des Friedensvertrags von Brest-Litowsk? Hätten sie Deutschland damals ganz und gar geschlagen … dann wäre dort wohl kaum ein Platz für Hitler gewesen. [...]
Man sagt, dass 1991 verantwortungslose Abenteurer an die Macht kamen … und die von 1917 – was waren sie?
Wahrscheinlich kann die Schwierigkeit, auf diese Frage eine Antwort darauf zu geben, warum versucht wird, dieses Ereignis zu übergehen. Aber der Versuch, statt der Verdammung einer Partei  auf Versöhnung zu setzen, soll nicht von vorne herein Verschwörung gegen die Wahrheit, zurückgewiesen werden. Es kann viel einfacher sein, mit dem Gegner abzurechnen. Die Erinnerung an den Bürgerkrieg lässt sich nicht einfach verdrängen. Man kann es nicht nur in Spanien an den Beziehungen zwischen den Francisten und ihren Gegnern sehen. In diesem Fall könnte man sagen, dass die Ereignisse noch zu frisch sind. Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten ist mehr als zwei Jahrhunderte alt, und doch geht er weiter. Weil es einen Sieger und einen Besiegten gibt. Ist es nicht eines Versuches wert, doch die Versöhnung zu wagen? 30.10.2017

Link: Ausführliche Einschätzung des Jubiläums auf decoder


Kategorie: Politik

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