Seit zwei Jahren schaffen es die Briten nicht, einen konkreten Plan für ihren Ausstieg aus der EU und die Zeit danach zu konstruieren. Zu Beginn gingen sie noch optimistisch in die Verhandlungen, machten sich Illusionen, dass alle anderen Mitgliedsstaaten nach ihrer Pfeife tanzen würden. Dem Wähler wurde versprochen, dass nach dem Austritt alles wieder besser werden, Großbritannien ohne Brüssels Fesseln wieder groß werden würde. Doch die EU zeigt klare Kante und Premierministerin May greift in ihrem letzten Schachzug zu einem Abstimmungsmarathon, der noch alles rausreißen soll.
Alte Dramen werden wiederholt
Am 12. März will Theresa May das Parlament erneut über den von ihrer Regierung ausgehandelten Brexit-Vertrag abstimmen lassen. Wozu? Das weiß sie wohl selbst nicht so ganz genau. Das von May ausgehandelte Austrittsabkommen ist zweifelsohne gescheitert. Das zu erwartende Ergebnis dürfte nach der letzten Abstimmung für keine Überraschungen sorgen. Schon bei der Abstimmung im Januar wurde der Vertrag mit haushoher Mehrheit abgelehnt; sogar aus Mays eigenen Reihen. Die Positionen der einzelnen Fraktionen sind so festgefahren, dass keiner von seinem Kurs abweichen möchte. Die pro-europäischen Parteien bleiben bei ihrer ablehnenden Haltung, weil sie die Hoffnung auf ein zweites Referendum zum Verbleib in der EU noch nicht gänzlich aufgegeben haben. Die konservativen Gegner des Abkommens stören sich vor allem an der ausgehandelten Lösung zur Nordirland-Grenze. Die EU möchte, um den Frieden zwischen Irland und Nordirland zu bewahren, Großbritannien bis zum Aushandeln eines gemeinsamen Handelsabkommens in der europäischen Zollunion behalten. So fallen Kontrollen an der Grenze Irlands zu Nordirland als der künftigen EU-Außengrenze weg. Das Problem für die Briten ist dabei allerdings, dass sie sich während dieser Zeit weiterhin an EU-Regelungen halten und keine neuen Handelsabkommen mit anderen Ländern schließen dürfen. Das britische Parlament will diese Frage erst neu verhandeln, dann doch wieder nicht. Für die EU ist der ausgehandelte Vertrag jedoch in Stein gemeißelt. Neue Verhandlungen werden kategorisch abgelehnt. Und mitten drin in diesem ganzen Drama ist Theresa May. Hardliner ihrer Partei wollen einen No-Deal. Regierungsmitglieder wiederum drohen mit Rücktritt, sollte sich ein No-Deal abzeichnen, also eine Regelung mit der EU.
Die Entscheidung
May ist mittlerweile nichts weiter als eine Marionette in einem Stück, das andere für sie spielen. Für sie zählt es nur noch, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Der Abstimmungsmarathon ist der verzweifelte Versuch, das zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Ihre Devise scheint dabei zu sein: Abwarten und Tee trinken. Wenn das Parlament am 12. März nämlich erneut gegen den Austrittsvertrag stimmt, soll es tags drauf über einen Deal- oder No-Deal Brexit entscheiden. Obwohl sich im Unterhaus eine Gruppe von Hardlinern formiert hat, die geschlossen für einen Austritt ohne Abkommen eintritt, erscheint es jedoch wahrscheinlicher, dass die Abstimmung zugunsten eines Brexits mit Abkommen ausfällt. Die Mehrheit der Abgeordneten befürchtet, das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen eines No-Deal Austritts wären zu verheerend. Auch die Europäische Union sähe einen ungeregelten Ausstieg Großbritanniens nur äußerst ungern. Vor allem Mays Programmvorschau für den 14. März macht eine Abstimmung gegen einen Harten Brexit umso wahrscheinlicher.
Der Cliffhanger
Denn in Episode 995 der Serie „Guter Brexit, schlechter Brexit“ soll das britische Parlament darüber entscheiden, ob der Brexit wie geplant am 29. März stattfinden soll. Das bedeutet, dass den Briten nur 2 Wochen dafür bleiben, um sich endlich über ein Abkommen einig zu werden. Oder der Ausstieg wird auf Ende Juni verschoben. Eine Verschiebung des Brexit scheint aktuell die wahrscheinlichere Lösung. Doch wozu das Ganze? Um die Seifenoper rund um den Brexit noch um weitere drei Monate zu verlängern, in denen alte Dramen wieder neu aufgerollt werden und das Parlament sich weiterhin uneins darüber bleibt, wie genau ein Brexit aussehen soll. Wenn einem die Ideen ausgehen, bringt man eben Wiederholungen ins Programm. Denn der Streit im Parlament hat nur in zweiter Linie mit dem Brexit zu tun. In dem Schauspiel geht es nämlich um einen innerpolitischen Machtkampf zwischen konservativen Regierung und der Labour Party. Diese wollte bereits durch die Ablehnung des Austrittsvertrages im Januar einen Sturz der Regierung und damit Neuwahlen herbeiführen. Der Labour Führung scheint es egal zu sein, welchen Kurs sie selbst letztendlich stuert, Hauptsache er richtet sich gegen May und ihre Regierung. So kündigte Labour Chef Jeremy Corbyn jüngst an, ein zweites Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU unterstützen zu wollen. Corbyn selbst gilt allerdings als Brexit-Befürworter. Ein zunehmender Sympathieverlust sowie massive Austritte von Abgeordneten seiner Fraktion veranlassten ihn jedoch zu diesem Kurswechsel. Ein Beweis dafür, wie gleichgültig die Parteien zum Brexit stehen.
Zu viele Drehbücher
Die Intrigen und Machtkämpfe, die sich im britischen Parlament rund um den Brexit drehen, könnte kein Drehbuchautor besser erfinden. Das langersehnte Ende des Dramas wird jedoch noch einige Zeit auf sich warten lassen. Es gibt noch zu viele Baustellen, die einer Lösung im Wege stehen. Das Problem der britischen Parlamentarier: Jeder macht das, was für seine Position am besten ist, damit sie auch nach dem Brexit noch eine Rolle spielen. Die Zukunft des Landes und der Bürger dienen allenfalls als Kulisse rund um das Drama, das in Westminster aufgeführt wird. Solange jeder Abgeordnete seinem eigenen Drehbuch folgt, um weiterhin seine eigene parlamentarische Zukunft zu sichern, kann es keine Lösung aus London geben.
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