Leandro Bedin Fontana (Foto: Mathias Kneib)

Brasilien – politischer Umbruch und die Pfingstkirchen

Brasilien – die letzten Wahlen, das Versagen der politischen Klasse, der Einfluss der Pfingstkirchen. Brasilien, einstmals ein katholisches Land, wird auch in seinen politischen Entwicklungen von den Pfingstkirchen mehr und mehr geprägt. Leandro L.B. Fontana gibt in einem Interview mit Stefan Reck Einblicke in Entwicklungen seines Landes.

Stefan Reck: Herr Dr. Fontana, Sie sind katholischer Theologe aus Brasilien und arbeiten derzeit als Gastprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität. Das ist eine ungewöhnliche Situation. Wie kommt es dazu?

Leandro Fontana: Als Theologe muss man flexibel sein, wie bei vielen anderen Berufen auch. Ich bin Brasilianer, habe mein Theologiestudium in Brasilien absolviert, in Deutschland aber promoviert. Darüber hinaus ist meine Ehefrau Deutsche, ebenso Theologin, und wir haben zwei Kinder, die jeweils in Brasilien und Deutschland geboren sind. Daher kommen für unsere Familie auch beruflich immer wieder diese beiden Länder in Frage.

Nach meiner Promotion in Deutschland an der Philosophisch-Theologischen Hochschule "Sankt Georgen"  in Frankfurt und an der Johann Wolfgang Goethe-Universität ist unsere Familie 2016 nach Brasilien umgezogen, wo ich für zweieinhalb Jahre als Research Fellow und Privatdozent an der Pontifícia Universidade Catolica do Rio Grande do Sul, in Porto Alegre, tätig gewesen bin.

Anfang dieses Jahres erhielt ich die Einladung zu einer Gastprofessur im Rahmen des Forschungsprojekts "Theologie Interkulturell" des Katholischen Fachbereichs der Goethe Universität und bin ihr auch gefolgt. Obwohl das mir vorgeschlagene Thema hoch komplex ist, fand ich es sehr spannend und wichtig, nicht zuletzt wegen der aktuellen politischen, sozialen und kirchlichen Lage in Brasilien. Das Thema der diesjährigen Gastprofessur lautet „Das Land der Zukunft kehrt um: Religiöse Ambiguitäten in Brasilien 50 Jahre nach Medellín“.


S. R.: Ihr Heimatland Brasilien ist durch die wenige Wochen zurückliegende Wahl des neuen Präsidenten auch in europäischen Medien sehr präsent gewesen. Hierzulande gibt es viele Sorgen, wegen neu aufkommenden Populismus und Nationalismus. Wie schätzen Sie von Deutschland aus die Lage in Brasilien ein?

L. F.: Die letzte Präsidentschaftswahl in Brasilien ist mit Gewissheit ein einzigartiges Phänomen und es wird auch in den Wissenschaften nach möglichen Ursachen gesucht. Die finanzielle, moralische und politische Krise, in der Brasilien seit den letzten fünf Jahren steckt, ist zwar ein wichtiger Faktor, doch nicht der einzige. Es gibt nämlich weltweit eine Vernetzung konservativer und populistischer Kräfte, die nicht zu unterschätzen ist. Unter dem Stichwort ‚Globalismus‘ mobilisieren sich derzeit auch im europäischen Parlament solche Kräfte und versuchen viele Ideale der europäischen Union zu unterminieren.
Außerdem fand der Wahlkampf in Brasilien nicht mehr in der traditionellen Öffentlichkeit statt, wie man es gewohnt war, sondern hauptsächlich in den modernen (sozialen) Medien. Und das wirft wiederum viele Fragen in Bezug auf die Kontrollierbarkeit der Informationen, fake news, Demoralisierung der Gegner usw. auf. Dadurch werden starke Gefühle erzeugt. Das sind die Herausforderungen der postmodernen Demokratie. Daher finde ich es wichtig, dass man ziemlich schnell Schlüsse aus dem Fall Brasiliens zieht, die möglicherweise auch auf andere Kontexte übertragbar sind.

 

S.R. Die Pfingstkirchen sind in den letzten Jahren in Brasilien stark gewachsen und zu einer beachtlichen gesellschaftlichen Größe geworden. Welche Rolle spielen die Pfingstkirchen in der aktuellen politischen Situation?

L. F. Gegenwärtig zählen sie zu den wichtigsten Akteuren der brasilianischen Politik. Der neugewählte Präsident durfte mit ihrer öffentlichen Unterstützung rechnen und sie nahmen bei der Bildung der neuen Regierung (Ämter, Ministerien, usw.) eine mitbestimmende Rolle ein. Außerdem sitzen im Parlament 82 pfingstliche Abgeordnete und die sogenannte ‚evangelikale Koalition‘ beträgt derzeit 199 (von 513) Abgeordneten. Bei der Abstimmung von Gesetzesentwürfen haben sie natürlich eine sehr große Macht und machen sie auch bewusst sichtbar.

Wichtige Pastoren der Neopfingstkirchen wie der Bischof Edir Macedo haben ein ganz bestimmtes Machtprojekt für Brasilien und verfolgen es mit allen Mitteln (Kirchen, Fernsehsender, Zeitungen, Stimmen der Gläubigen bei den Wahlen, usw.). Unter der Devise der Moralisierung der brasilianischen Gesellschaft, die ihrer Meinung nach durch die letzten Regierungen der Arbeiterpartei (PT) vom „Kulturmarxismus“ infiziert wurde, versuchen sie die Gesellschaft zu reinigen und Einfluss auf alle ihre Ebenen auszuüben.

 

S. R.: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen dafür, dass ein radikaler Hardliner wie Jair Messias Bolsonaro in Brasilien Präsident werden konnte?

L. F.: Im Vordergrund steht gewiss eine große Enttäuschung der Brasilianer über die politische Klasse. Außerdem enthüllte die Operation Lava-Jato,  „Autowaschanlage“, die sich zur Aufgabe machte, den brasilianischen Staat gründlich zu reinigen, viele Korruptionsskandale während der Regierungszeit der Arbeiterpartei, was das Gefühl der Empörung und Enttäuschung noch verstärkte. 
Jair Bolsonaro hat sich immer wieder als Outsider der politischen Klasse dargestellt und wusste diese Gefühle zu seinem Gunsten zu bedienen. Schließlich haben die Pfingstkirchen ihn häufig als den wahren und einzigen christlichen Kandidaten dargestellt und haben das Narrativ konstruiert, dass nur ein von Gott gesendeter Kandidat Brasilien aus dieser Krise herausholen könne. Solche Gründe mögen vielleicht hierzulande fremd vorkommen, doch spielten sie in einem christlich geprägten Land wie Brasilien eine wichtige Rolle.

 

S. R. In welcher Beziehung steht Bolsonaro zur Katholischen Kirche und welche Reaktionen gibt es bei Klerus und in den katholischen Gemeinden auf die Wahl?

L. F. Bolsonaros Verhältnis zur katholischen Kirche ist, um es neutral auszudrücken, zweideutig. Er war zwar katholisch, ließ sich aber von einem pfingstlichen Pastor 2016 am Fluss Jordan taufen, also an dem Fluss, wo Jesus selbst getauft wurde, was für Pfingstler sehr bedeutend ist. 

Bolsonaro bekennt sich also als Pfingstler und vertritt auch die Auffassungen und Agenda dieser Kirchen. Demzufolge hat er in seiner Vergangenheit die katholische Kirche mehrfach angegriffen, insbesondere als es um soziale Rechte von Minderheiten wie etwa Indigenen, Sklavennachfahren usw. ging.
Hingegen ist das Verhältnis der katholischen Kirche als Institution zu Bolsonaro auch wiederum zweideutig. Es gibt konservative Priester und sogar Bischöfe, die ihn unterstützen, da er vermeintlich die christliche Tradition vertritt, das heißt ein traditionelles Familienbild, eine angeblich christliche Moralität, eine (neo-)liberale und antikommunistische Auffassung des Staats (Privateigentum) usw.
Eine öffentliche und eindeutige Kritik an Bolsonaros Regierungsprogramm gab es seitens der katholischen Kirche bisher nicht, wenngleich es immer wieder Bischöfe und Priester gab, die sich kritisch über ihn äußerten. Doch die brasilianische Bischofskonferenz hielt sich während des gesamten Wahlkampfs eher zurück. 


Kategorie: Politik Junge Feder

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