13 Millionen Mal ist das Video „Die Zerstörung der CDU.“ des YouTubers „Rezo“ innerhalb von nur zehn Tagen aufgerufen worden (Stand 28.5., 22:00 Uhr). Der 26-Jährige spricht wenige Tage vor der Europawahl über Versäumnisse und Fehler vor allem der Unionsparteien wie auch der SPD in ihrer Regierungsverantwortung in der Bundesrepublik. Eine 13 Seiten lange Quellenliste belegt Rezos Vorwürfe an die Parteien – wichtigste Kritikpunkte: mangelnde Umsetzung der Klimaziele, fehlgeleitete Sozialpolitik – und Artikel 13 der Urheberrechtsform.
Die große Mehrheit der „Faktenchecks“ sowie die allermeisten Reaktionen in Medien und von Wissenschaftlern bescheinigen dem YouTuber, dass seine Aussagen trotz Zuspitzungen, Weglassungen und Missinterpretationen im Großen und Ganzen zutreffen. Kritik kam vor allem von der CDU und einer großen überregionalen, konservativen Tageszeitung.
Rezo steht für weite Teile der jungen Generation, die sich die – von den meisten älteren, konservativen Politikern immer noch sogenannten – „neuen“ Medien, in denen sie zuhause sind, zunutze macht, um ihren Frust über die Politik der „alten“ Parteien zu äußern. Rezo gibt seinen Zuschauern klare Wahlempfehlungen. So ist denn auch das Ergebnis der Europawahl in Deutschland ausgefallen. Rund 30 Prozent der unter Dreißigjährigen wählte Grün. SPD und Union erhielten von dieser Altersgruppe zusammen nur 23 Prozent. Linke, die Tierschutzpartei sowie die (bisher als Satire-Partei geltende) PARTEI erhielten zusammen fast 20 Prozent der Stimmen aus der U30-Gruppe.
Da die allermeisten Argumente und Fakten, die der YouTuber nennt, einer Überprüfung standhalten, stellt sich die Frage, wie die CDU und ihre Anhänger es sich leisten können, diese Altersgruppe gerade angesichts dieses Videos weiterhin nicht ernst zu nehmen, sondern Inhalt, Form und Reaktionen auf das Video von „Rezo“, dem übrigens mindestens 90 weitere YouTuber seiner Altersgruppe öffentlich beipflichteten, als Polemik, Meinungsmache oder „linkspopulistisches Machwerk“ (J. v. Altenbockum, FAZ) abzukanzeln.
Während die SPD es immerhin schaffte, nach einigen Tagen selbst ein inhaltlich relativ differenziertes Video zu produzieren, um auf Rezo zu antworten, lehnte das CDU-Präsidium die Veröffentlichung einer bereits gedrehten Video-Stellungnahme ihres jüngsten Bundestagsabgeordneten, Philipp Amthor – ebenso erst 26 Jahre – ab. So blieben selbst Amthor nur seine altbackenen, ausweichenden Antworten in Interviews öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, wobei man sich darin viel mehr auf die Umstände der Nicht-Video-Reaktion des jungen Abgeordneten als auf inhaltliche Fragen oder Kritik an dem Rezo-Video versteifte.
Das Online-Satiremagazin „Der Postillon“ meldete nach Veröffentlichung der Europawahl-Ergebnisse treffenderweise diese Meldung: „CDU-Generalsekretär Ziemiak: ‚Offenbar haben wir junge Menschen nicht genug diffamiert und herabgewürdigt, um ihre Stimmen zu gewinnen.‘“ In Zukunft werde man die Jugendlichen, „noch mehr von oben herab behandeln und auf jede Kritik reagieren, indem wir ihnen erklären, dass sie das aufgrund ihrer Jugend noch nicht verstehen oder ihre Meinung ändern werden, wenn sie endlich selbst Geld verdienen“, zitiert „Der Postillon“ den CDU-Generalsekretär in seiner satirischen Meldung.
Nachdem die echte CDU-Vorsitzende – nicht ihr satirisches Spiegelbild –Annegret Kramp-Karrenbauer nach dem Wahldebakel ihrer Partei auch noch infrage stellte, ob es im Wahlkampf nicht „auch“ im Digitalen womöglich Regeln geben müsste, um „Meinungsmache“ kurz vor der Wahl verhindern, bleibt kaum mehr als diese Schlussfolgerung übrig: Die Unionsparteien sind keine Volksparteien mehr. Das „Volk“ der unter 30-Jährigen fühlt sich von ihnen überhaupt nicht verstanden, weder mit ihren politischen Themen noch in ihrem für sie selbstverständlichen digitalen Medienverhalten.
Ein Kommentar von Matthias Alexander Schmidt
Die Vertreter der "Volksparteien" sollten unser Themen-Modul lesen:
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