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Kein Tag, ohne zu schreiben

Schon im Mittelalter wusste man, dass Schreiben die beste Lernmethode ist. „Nulla dies sine pagina“ hieß es. „Kein Tag ohne eine Seite“, meint nicht nur, jeden Tag etwas zu lesen, sondern mindestens eine Seite zu schreiben. Auch für frühere Generationen war das Schreiben der Weg zum Ziel, nämlich Geisteswissenschaften zu treiben.

Die lateinische Fassung der Empfehlung weist darauf hin, dass sie vor der Erfindung des Computers gemacht worden ist. Es können auch zwei Seiten sein, mehr ist nicht notwendig, um ein Buch pro Jahr zu schreiben. Fügt man noch Zitate ein und weist sie auch aus, dann können es zwei etwas dünnere Bücher werden.

Fremde Gedanken sich aneignen

Aber wird es nicht anders gemacht? Man geht doch im jetzigen Studienbetrieb davon aus, dass man für eine Seminar- oder Diplomarbeit erst mal genügend gelesen haben muss, um dann auch etwas Substantielles zu Papier zu bringen. Mit dem Schreiben beginnt man nicht vom ersten Tag an, sondern wenn man das Gefühl hat, genug gelesen zu haben. Aber genau das ist gemeint: auch der erste Tag nicht ohne eine Seite. Das ist sehr viel effektiver, als nur zu lesen. Denn Lesen und einzelne Sätze zu unterstreichen, ist noch keine aktive Verarbeitung des Stoffes, es sammeln sich irgendwelche Informationen im Hirn an, die dann auch zum größeren Teil wieder vergessen werden. Denn behalten können wir nur das, was ins Langzeitgedächtnis wandert. Das muss aber unserem Gedächtnis angepasst werden, damit es sich verknüpft. Lernen geschieht nämlich so, dass Neues an bereits vorhandene Strukturen angedockt werden muss. Was wir gelesen haben, haben wir uns erst dann angeeignet, wenn wir es mit eigenen Worten formuliert haben.

Auswendiglernen nicht mehr notwendig

Würden wir, wie in der Antike, die Texte erst auswendig lernen, um sie dann zu verstehen, dann bräuchten wir nicht von Anfang an schreiben. Aber da es genügend Papier und noch mehr digitale Speicherplätze gibt, kommen wir heute vielleicht schneller zum Ziel – aber nur unter der Bedingung, das Gelesene auch zu verarbeiten. Denn wenn wir nicht mehr auswendig lernen und damit die Gedanken nicht mehr in der Sprache des Autors rezipieren, müssen wir seine Gedanken mit eigenen Worten formulieren, damit sie unsere Gedanken werden. Für effektives Arbeiten reicht jeden Tag ein Gedanke, den wir aufschreiben, also mindestens 10 Zeilen – als eine Art Lerntagebuch: Was ist mir heute klar geworden?

Gründlicher arbeiten

Schreiben hilft auch, eine Sache gründlicher zu durchdenken. Denn im Schreiben kann ich weniger springen und wenn ich zusammenfassend aufschreibe, was ich gelesen habe, stelle ich direkt nach der Lektüre fest, ob das, was ich gelesen habe, logisch aufgebaut ist.

Schreiben spart Lesen

Wer nicht einfach weiterliest, sondern die Gedanken, die er aufgenommen hat, ausformuliert, der weiß, was noch fehlt, um ein Problem zu analysieren oder eine Interpretation zu vervollständigen. Die Zeit für die Verfassung einer Masterarbeit oder einer Dissertation lässt sich so stark verkürzen, wenn vom ersten Tag Gedanken mit eigenen Worten nach-formuliert werden.
Lesezeit spare ich auch deshalb durch Schreiben, weil ich sehr viel schneller erkenne, ob ein Text etwas Relevantes für die eigene Arbeit beinhaltet oder ob ich ihn überfliegen kann. Wer sich die Gedanken der anderen mit seiner eigenen Sprache angeeignet hat, sieht sehr viel schneller, ob ein Text den Gedanken vertieft oder nur mit anderen Worten ausdrückt.

Die Begriffe sind das Fundament für das Lerngebäude 

Habe ich mein Gehirn nicht geordnet, muss ich Vieles wiederholt lesen, um noch einmal nachzuschauen, ob der Aufsatz oder das Buchkapitel etwas zum meinem Thema beiträgt oder nicht.
Für das Schreiben während der Einarbeitung in ein Thema gibt ist es einen ersten einfachen Schritt, nämlich die Begriffe aufzuschreiben, mit denen ein Gebiet sprachlich “beackert“ wird. Wenn ich dann schrittweise die Begriffe in einer Art Lexikonartikel erkläre, baue ich in meinem Hirn die Struktur, in die ich dann die Gedanken „einhängen“ kann.  

Geisteswissenschaften: Zusammenhänge erklären

Während in den Ingenieur- wie auch in den Sozialwissenschaften gerechnet wird, um Zusammenhänge herauszuarbeiten, stellen die Geisteswissenschaften Zusammenhänge sprachlich dar. Ob eine Interpretation, eine historische Herleitung, eine philosophische Überlegung, Geisteswissenschaften bieten mehr als Nachrichten. Das gilt auch für die Besprechung eines Films oder eines Buches. Nur nachzuerzählen, was man gesehen bzw. gelesen hat, macht noch keine gute Kritik. Interpretation, d.h. die Form und den Inhalt in Zusammenhang zu stellen, die Aussage des Werkes herauszuarbeiten, das gelingt dem ohne große Überwindung, der jeden Tag schreibt, zumindest Tagebuch über das, was er, was sie an Gedanken aufgenommen hat.                                            


Kategorie: Monatsthema

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