Foto: startnext.com/jesus-cries

Wir haben Jesus zu gut gemacht

Mit „Jesus cries“ ist Brigitte Maria Mayer ein poetischer Bilder- und Raumfilm gelungen. Jesus wirkt nicht moralisierend und abgehoben, sondern nahbar. Die Ästhetik bayerischer Kirchen aus der Kindheit der Regisseurin steht im starken Kontrast zur dargestellten Gewalt.

„Ihr sollt tun, was Gott sagt, und nicht, was ihr denkt oder fühlt!“, wettert der Prediger in Unschuldsweiß. Steril, moralinlastig. Ein zeitloser Kirchenraum. Ein Mann steht aus der anonymen Menge in den Kirchenbänken auf. „Kaiphas, ich klage dich und deine Kirche an!“ Tempelreinigung, ins Heute hineinversetzt. „Ich bin der Aufstand, der Hass, die Wut, die Verzweiflung. Ich bin Jesus von Nazareth.“

Die Regisseurin des Films „Jesus cries“, Brigitte Maria Mayer, ist im christentümlichen Bayern aufgewachsen und hat erst in Äthiopien „zum ersten Mal einen christlichen Alltag“ vor sich gehabt. Deshalb las sie dort erstmals die Bibel und entschied sich, dort einen Jesus-Film zu drehen, um ihre eigene Vorstellung vom Christentum umzusetzen. Doch erst in Deutschland konnte sie den Film verwirklichen, im Kontext der eigenen Kultur. Dazu hat sie nicht nur die Bibel, sondern auch die Apokryphen studiert.

Poesie und Gewalt

Besonders interessierte sie die psychologische Motivation der ersten Jesus-Anhänger. „Da ist ein Mensch, dem folgt man, und dann ist der so schnell weg“, begründete sie die Dramatik ihres von der Ästhetik der Renaissance inspirierten filmografischen Kunstwerks. „Es ist mehr ein Lehrstück als ein Film“, charakterisiert sie ihre Analyse und fragt: „Ist Schuld eine Motivation, um die Lehre weiterzutragen?“ Durch die Umrahmung der Passionshandlung mit einer biblisch inspirierten See-Szene zu Beginn und zum Ende des Films, soll der Zuschauer sich das Geschehen der Auferstehung selbst vorstellen.

Mit größter Präzision und Sorgfalt hat Mayer jedes Bild des Films vorgezeichnet. „Mir liegt das Schöne sehr am Herzen“. Entstanden ist ein poetischer Bilder- und Raumfilm, der vor allem die Ästhetik der bayerischen Kirchen widerspiegelt, die Mayers Kindheit prägten. Sie steht im starken Kontrast zur im Film dargestellten Gewalt.

„Einer von uns“

Die Ästhetik und den Charakter der im Werk dargestellten Jesus-Figur hat Mayer zusammen mit dem Hauptdarsteller, dem nach Deutschland emigrierten rumänischen Schauspieler Sabin Tambrea, entwickelt. „Ich finde eine Übermoralisierung in der Darstellung schwierig. Wir haben Jesus so gut gemacht, dass wir uns nur schuldig fühlen können. Und das finde ich falsch.“ Dieser Jesus stoße innerhalb Deutschlands immer wieder auf ganz unterschiedliche Reaktionen: „Im Osten gibt es sehr viel mehr Diskussion, vor allem über die Frage, ob der Kommunismus eine Säkularisierung des Christentums gewesen sei.“ Auch junge Zuschauer – Schüler etwa – könnten sich mit dem alternativ dargestellten Jesus eher identifizieren: „Der kann ja irgendwie einer von uns sein.“

Platz fürs Heilige

Im Vergleich zur biblischen Reihenfolge der Szenen verläuft der Film asynchron, dazu sei es allerdings eher zufällig gekommen, während des Schnitts. Vielen Zuschauern fehle aber das Vorwissen, sagt Mayer. Deshalb wurden nach einer Testvorführung in Berlin biblische Zwischentitel hinzugefügt. Die Deutschlandpremiere des Passions-Films fand am Karfreitag in der Berliner Volksbühne statt. Mayer sagt: „Auch in Berlin gibt es Platz für’s Heilige“.


Kategorie: explizit.net Medien

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