Musste er, Anfang 60, im Buch nur Ulrich genannt, sich alleine aus dem radikalen Abbruch herauswinden? Der Protagonist bleibt alleine, der Leser verfolgt die Handlung durch die Wahrnehmung, die Gefühle, die tastenden Versuche eines einzelnen. Dabei ist Ulrich in einem sozialdemokratischen Milieu mit gewerkschaftlichem Vernetzung groß geworden. Er reflektiert nur kurz, dass die Solidarität nach einer Demonstration vor dem Rathaus vorbei ist. Sie tun sich nicht zusammen, um gemeinsam etwas Neues aufzubauen. Als wäre das Interesse am Lokalen mit der Lokalzeitung verschwunden.
Die Journalisten werden mit einer Abfindung ruhiggestellt. Ulrich findet sich ohne Termine, die den Arbeitstag eines Lokaljournalisten bestimmten, in einem konturlosen Alltag wieder. Er lebt getrennt von seiner Frau und hat familiär nur Kontakt zu seiner Tochter.
Schreibend die Gesellschaft verändern
Was wir an einem Einzelschicksal verfolgen, hat sich tausendfach abgespielt. Angefangen hatte die Koblenzer Rheinzeitung, die ihre Redakteure im Westerwald von einem auf den anderen Tag entlassen hat. Anders als Stahlarbeiter und auch Verkäuferinnen von Schlecker hört man von den vielen freigesetzten Journalisten kaum etwas. Es scheint Scham zu sein, die sie schweigen lässt. Jeder schlägt sich alleine durch. Das ist auch der Spannungsbogen in Peuckmanns Buch, der das Weiterlesen vorantreibt. Wie schafft es Ulrich, eine neue Lebensperspektive zu finden. Er wird nicht, wie ein jüngerer Kollege, Krankenpfleger und wechselt auch nicht in einen anderen Beruf. Schreiben war es, das ihn in den Journalismus geführt hatte. Es dauert, bis er wieder da anknüpfen kann, was ihn in Germanistik studieren ließ. Ein Schriftsteller hatte eine Gruppe junger Autoren und Autorinnen um sich versammelt, die wie die Mitglieder der Gruppe 47 ihre Texte vorlasen, um sich dann der unerbittlichen Kritik der anderen zu stellen. Schreibend Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung zu nehmen, war das verbindende Motiv der Gruppe. Damit führt uns der Autor an einen Ort, an dem Kultur entstanden ist und der, so die Perspektive für Ulrich, wieder belebt werden kann.
Die digitalen Medien nicht im Blick
Vorher haben wir Dortmund kennengelernt, die Kneipen als Treffpunkte, das Bergarbeitermilieu, aus dem Ulrich stammt, und die Menschen, die in sein Leben getreten sind. Die Welt einer Zeitung wird nur anhand eines Skandals gestreift, dem Ulrich öffentliche Aufmerksamkeit verschafft hatte. An diesem Beispiel wird deutlich, dass der Lokaljournalisten nicht mitbekommen hat, welche neuen Möglichkeiten das Internet seinem Beruf und dem gesellschaftlichen Auftrag, dem er sich verschrieben hat, eröffnet. Er durchstöbert sein eigenes Archiv, die Zeitungsausschnitte seiner Artikel, um sich an seinen größten journalistischen Erfolg zu erinnern. Das Internet hätte das aufbewahrt u.a. Ereignisse und Skandale, die die Geschichte dieser Stadt geschrieben hat. Mit dem Internet verliert nämlich der Spruch "Nichts ist älter als eine Zeitung von gestern" seine Selbstverständlichkeit. Eine Alternative im Internet erscheint nicht als Möglichkeit. Warum nicht mehr Solidarität? fragt sich der Rezensent bei der Lektüre. Das Muster wird von Peuckmann in den Selbstgesprächen seines Protagonisten thematisiert: Es fehlt der Gegner, nämlich das nur am Gewinn orientierte Management, die Profitorientierung des Verlages. Dagegen konnte man demonstrieren. Um die Abfindung nicht zu gefährden, durften die Entlassenen nicht weiter agitieren.
Dortmunder Flair
Mit dem Protagonisten erkennt der Dortmunder seine Stadt wieder, der Leser lernt eine Ruhrgebietsstadt kennen, von der er vielleicht bisher nur den Fußballclub wahrgenommen hat. Der Ruhrgebietler mit seinem charakteristischen Charme wäre noch besser plastischer geworden, hätte der Autor ihm die Kräftigkeit des Jargons in den Mund gelegt.
Vielleicht gibt es im Ruhrgebiet doch eine Fortsetzung, dass Journalisten eine Plattform aufbauen, über die kritischer Lokaljournalismus an die Bürger gelangt. Man müsste die Bürger nur überzeugen, diesen Journalismus zu finanzieren. Wir warten auf weitere Berichte aus dem Revier, wie die Tugend „Solidarität“ neu Gestalt gewinnt.
Heinrich Peuckmann, aus der Spur, 195 S.; Kulturmaschinenverlag
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