„Jeder Blick durch die Linse war für mich wie ein Schrei nach Menschlichkeit“, beschreibt Fotograf Alexander Fichtner seine Eindrücke, als er die Lebensrealitäten jesidischer Geflüchteter im Irak dokumentierte. Seit dem Genozid 2014 leben Tausende Jesiden unter prekären Bedingungen in Lagern. Und auch in Deutschland sind sie zunehmend von Abschiebungen und Hass bedroht. Fichtners Ausstellung „Überleben im Zelt – 36.67061°N, 43.34247°E“, initiiert von der Tisa-Stiftung, steht nicht nur für die Kunst, sondern hat eine klare gesellschaftliche Botschaft: das Leiden der Menschen sichtbar zu machen, das oft aus den Schlagzeilen verschwindet, aber weiterhin dringliche Unterstützung und Solidarität erfordert.
Das Engagement der Stiftung für gesellschaftliche Verantwortung
Die Tisa-Stiftung, die den Namen der Künstlerin und sozialen Aktivistin Tisa von der Schulenburg trägt, ist zutiefst in einem humanitären Werteverständnis verwurzelt. Die Stiftung beschreibt ihre Motivation für die Ausstellung als Verpflichtung, gesellschaftliche Verantwortung durch Kunst zu fördern. „Mit der Ausstellung wollen wir nicht nur das Bewusstsein für diese humanitäre Krise schärfen, sondern auch den Menschen hinter den Statistiken ein Gesicht geben“, erklärt die Geschäftsführerin und Kuratorin der Stiftung, Josefine Jordan. „Fichtners eindrucksvolle Fotografien ermöglichen den Betrachtern einen persönlichen Zugang zu den Lebensrealitäten der Jesiden und laden dazu ein, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was es bedeutet, seine Heimat, seine Kultur und teilweise sogar seine Identität zu verlieren – und dennoch weiterzumachen“.
Die Ausstellung zeigt den Alltag der Jesiden, die auf engstem Raum, in provisorischen pakistanischen Armeezelten leben. „Es war nicht nur eine fotografische Arbeit für mich – es war eine Begegnung mit Menschen, deren Stärke mich tief beeindruckt hat“, erklärt Fichtner. „Sie haben alles verloren: ihre Heimat, ihre Kultur und ihre Sicherheit. Trotzdem kämpfen sie weiter um ihre Würde.“
Die Arbeiten von Tisa von der Schulenburg und Alexander Fichtner finden hier einen gemeinsamen Nenner: Beide sehen Kunst als Mittel, um auf Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und Menschen zu einer Haltung der Mitmenschlichkeit zu bewegen. Die Stiftung betont: „Tisas künstlerisches Schaffen war geprägt von einem tiefen Interesse am Menschen, an seinen Kämpfen und Hoffnungen. Ihre Werke tragen eine tiefe emotionale und gesellschaftliche Botschaft, die uns auch heute inspiriert.“
Ein starker Leitsatz: „Ich kann nicht schweigen“
Der Leitsatz der Stiftung, „Ich kann nicht schweigen“, ist für die aktuelle Ausstellung von großer Bedeutung. Die Stiftung sieht darin eine Verpflichtung, gesellschaftliche Missstände nicht nur wahrzunehmen, sondern aktiv auf sie aufmerksam zu machen.
„Tisa selbst lebte nach diesem Prinzip, da sie fest daran glaubte, dass Kunst eine Stimme für diejenigen sein muss, die oft übersehen oder zum Schweigen gebracht werden.“ Diese Haltung wird in den Arbeiten von Alexander Fichtner fortgeführt. Seine Fotografien stellen die Jesiden in den Vordergrund und erinnern daran, dass die Konflikte und das Leid in Krisengebieten weiterhin fortbestehen.
Die Pressereise ins Camp Sheikhan hat Fichtners Perspektive auf das Thema Genozid und Flucht maßgeblich verändert. Besonders berührte ihn ein persönliches Erlebnis mit einem älteren Mann, den er immer wieder im Camp sah. „Er wirkte wie aus der Zeit gefallen, man sah, dass er einfach nicht in dieses Camp gehört“, erinnert sich Fichtner. „Ich fragte ihn nach seinem Namen, aber er antwortete nicht. Als ich meine Kamera hochhielt und auf ihn zeigte, nickte er. Ich machte ein Foto von ihm, kam aber nicht weiter in den Kontakt. Doch dieser ‚Nichtkontakt‘ sagt auch etwas über ihn aus – über das Vertrauen in Menschen.“
Für Fichtner geht es nicht nur um die Schicksale der Jesiden im Irak, sondern auch um die schwierige Situation vieler Jesiden in Deutschland, die trotz ihrer traumatischen Vergangenheit im Irak vor der Abschiebung stehen. „Ich hoffe, dass meine Bilder dazu beitragen, das Bewusstsein für die schwierige Lage der Jesiden hierzulande zu schärfen“, sagt Fichtner. „Wenn die Besucher für sich die Information mitnehmen, dass es diese Leiden und Geschichten der Jesiden im Nordirak gibt, bin ich mit der Botschaft zufrieden.“
Tisas Werte und die heutige Relevanz
Tisa von der Schulenburg setzte sich als Künstlerin und Aktivistin für die Schwächsten der Gesellschaft ein. Besonders aber für Menschen, die unter schwierigen Lebensbedingungen lebten, wie etwa die Bergleute im Ruhrgebiet. Die Tisa-Stiftung sieht diese Themen auch heute als zentral an: „Die Herausforderungen, denen sich Menschen in Krisengebieten wie dem Irak gegenübersehen – Vertreibung, Verlust der Heimat und Identität, oft begleitet von extremer Armut und Hoffnungslosigkeit – erinnern uns daran, dass soziale Missstände und Ungerechtigkeiten universell und zeitlos sind.“
Diese Verbindung aus Kunst und gesellschaftlichem Engagement ist eine zentrale Mission der Stiftung. „In unseren Ausstellungen setzen wir diesen Leitsatz um, indem wir gezielt Künstler:innen und Werke zeigen, die gesellschaftliche Probleme sichtbar machen und zum Nachdenken anregen“, sagt die Stiftung. Die Ausstellung von Alexander Fichtner wird als „kraftvolle Dokumentation der Realität“ verstanden, die als Aufruf zur Solidarität und zum Handeln interpretiert wird.
Anerkennung und der Wunsch nach einem breiten Dialog
Alexander Fichtners Ausstellung steht stellvertretend für eine Kunst, die gesellschaftliche Relevanz hat. Die Tisa-Stiftung hofft, dass Fichtners Engagement nicht nur bei den Besuchern der Ausstellung Anerkennung findet, sondern auch darüber hinaus.
„Künstlerische Arbeiten tragen immer dazu bei, einen positiven beziehungsweise transformativen Einfluss auf das gesellschaftliche Bewusstsein auszuüben“, so die Stiftung. Das Ziel ist es, diese Stimmen zu achten und ihnen Raum zu geben.
Schlussgedanken
Die Ausstellung „Überleben im Zelt“ ist mehr als eine Sammlung bewegender Fotografien – sie ist ein starkes Zeichen für das humanitäre Engagement der Tisa-Stiftung und für die fortdauernde Kraft der Kunst, gesellschaftliche Veränderungen zu fördern. Fichtners Arbeiten geben den Betrachtern die Möglichkeit, sich in das Leben und Leiden der Jesiden einzufühlen und laden zur Reflexion ein. Ganz im Sinne von Tisa von der Schulenburg erinnert die Stiftung daran, dass Mitgefühl nicht nur ein Gefühl, sondern eine Haltung ist, die zum Handeln bewegt – „sei es durch Kunst, Engagement oder den Einsatz für die Rechte der Schwächsten.“
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