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Wo war Luther?

Obama und Merkel waren auf dem Evangelischen Kirchentag, Schulz hat im Berliner Dom sprechen können. Sind sie von Luther inspiriert? Oder haben sie nur ihre politische Agenda auf der Bühne fortgesetzt, die ihnen die Kirche zur Verfügung gestellt hat. Ein Kommentar von Eckhard Bieger.

Prediger reden von Gott, Politiker von dem, was sie bewerkstelligen wollen. Luther hat von Gott gesprochen, was Gott im Menschen bewirkt. Sein zentrales Thema ist die Rechtfertigung, wie der Mensch als Sünder vor Gott dastehen kann. Als Sünder kann er Gott nicht gegenübertreten, sich von seiner Sünde befreien kann er auch nicht. Nur Gott kann den Menschen wieder zur Begegnung mit Gott fähig machen. Das dürfte den Politikern, die auf dem Kirchentag waren, einleuchtend sein. Zumindest erkennen sie über ihrer politischen Macht eine größere Macht an, die zudem nicht die politischen Mittel braucht, wie sie ein Politiker handhaben muss. Die Bezüge sind da, sie könnten von Luthers theologischer Intuition und Theologie aktualisiert werden. Sie hätten auch entfaltet werden können.

Der Status der Kirchen in der Gesellschaft

Berlin ist mit dem Jahr 1817 ein historischer Ort protestantischer Kirchengeschichte. Im schon damals großen preußischen Königreich gab es mehre evangelische Konfessionen, neben der Mehrheit der Lutheraner auch Reformierte, die sich von Calvin herleiten. Letztere waren durch Gebietsgewinne Preußens im Rheinland, im Bergischen und Siegerland u.a. Gebieten Untertanen des preußischen Königs geworden. Entsprechend dem lutherischen Konzept war der Landesherr auch Kirchenoberhaupt. Er konnte zwar nicht wie ein Bischof in theologischen und religiösen Fragen Akzente setzen, aber über die Struktur seiner Kirche bestimmen. Auf Betreiben des evangelischen Theologen Schleiermacher verfügte der preußische König die Vereinigung von Lutheranern und Reformierten. Es entstand auf Verfügung des „summus episcopus“, des höchsten Bischofs, König Friedrich Wilhelm III.  die „Evangelische Kirche der Altpreußischen Union“.  Die Frage scheint nur noch geschichtlich interessant. Jedoch, eine solche Union entsteht aber gerade auf der Ebene der Evangelischen Kirche Deutschlands, der EKD. Ebenso wie in Frankreich und Holland schließen sich Kirchen zusammen, die in der EKD erst einmal nur einen organisatorischen Zusammenschluss hatten, der allerdings schon seit langem als die „Evangelische Kirche“ in Deutschland wahrgenommen wird. Damit stellt sich die Frage, wie sich Lutheraner und Reformierte als Kirche verstehen. Eine Antwort muss in einer Epoche abnehmender Kirchlichkeit neu gefunden werden. Denn nicht mehr jeder Deutsche sieht die Zugehörigkeit zu einer Kirche als selbstverständlich. Das wird in Westeuropa als selbstverständliche Entwicklung gesehen. In Russland, Georgien und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist das aber anders. In Russland gehört Orthodox-Sein zur nationalen Identität, unabhängig davon, was der einzelne von den theologischen Inhalten der Kirche für sich als relevant  hält - so, wie es in den deutschen Volkskirchen auch der Fall war.
Hinzu kommt die Präsenz des Islam, der nicht nur wie zu Zeiten Luthers Außenfeind der abendländischen Christenheit war.

Die Kirchen und der Islam

Ein Politiker, Thomas de Maiziere, hat als Politiker einen theologisch-politischen Anspruch an die Kirchen formuliert, sich nämlich mit dem Islam auseinanderzusetzen. Bereits der Kirchentag selbst ließ mit den Sicherheitskontrollen den Islam als Bedrohung präsent werden. Zudem gab es Foren mit Vertretern des Islam, so mit dem obersten Vertreter der al-Azhar Universität in Kairo, also im hiesigen Sprachgebrauch dem Rektor der renommiertesten muslimischen Ausbildungsstätte. Großscheich Ahmed el Tayeb sprach aber nicht mit einem Evangelischen Theologen oder Bischof, sondern mit dem deutschen Innenminister über Toleranz und verurteilte Terroranschläge. Er wird mit der Aussage im Gedächtnis bleiben: "Terror ist des Teufels und kann kein Werk von Gottesgläubigen sein". Kann aber Deutschland darauf vertrauen, dass diese Lehre in Deutschland von den Predigern des Islam auch umgesetzt wird. Sind die muslimischen Einrichtungen tatsächlich Orte, die Muslime auf den Dialog mit Andersgläubigen vorbereiten. Und wie steht es mit der Möglichkeit der Konversion. In islamischen Ländern wird man als Muslim geboren und nicht, wie in christlichen Ländern eigens getauft. Das passt nicht in das westeuropäische Staats- und Kirchenverständnis. Kann der Islam sich so entwickeln, dass er wie eine Kirche neben anderen Glaubensgemeinschaften lebt oder bleibt das Ziel, den Islam auch zum Garanten der staatlichen Ordnung zu machen. Wenn schon ein politischer Kirchentag, dann muss doch das Selbstverständnis des Islam als Glaubensgemeinschaft Thema sein und nicht bloß dem Terrorismus abgeschworen werden. Es ist für die Kirchen in Deutschland noch einiges zu tun, den Islam zu einem Verständnis als Glaubensgemeinschaft zu bringen, der nicht die Scharia, sondern das Grundgesetz als Basis des Zusammenlebens anerkennt.

Einmischung in die Politik

Jens Spahn hatte mit der Forderung Widerspruch provoziert, die Kirchen sollten sich aus der Politik heraushalten. Vielleicht hat ihn ein richtiges Gespür geleitet. Aber faktisch haben die Politiker und nicht die Kirchenoberen das Bild des Kirchentages geprägt. Zweifellos ist die Evangelische Kirche eine gesellschaftlich prägende Kraft. Ohne die von Luther angestoßene Bewegung wäre Deutschland nicht so, wie es heute ist. Zudem haben die kirchlichen Sozialeinrichtungen, Schulen und Bildungswerke staatliche Aufgaben der Daseinsvorsorge übernommen. Aber heißt Politik aus der Mitte einer Kirche heraus direkte Teilnahme an politischen Prozessen oder doch vielmehr den Mitgliedern einen inneren Kompass mit auf den Weg zu geben, um im Hin und Her des Alltags wie auch des politischen Alltags an bestimmten Wertvorstellungen festzuhalten, weil diese für ein gelingendes Leben unentbehrlich sind. Zu diesem inneren Kompass gehört unbedingt die Perspektive, was mit der menschlichen Person nach dem Tod geschieht. Ein fundierter Auferstehungsglaube würde im Zeitalter der Biotechnologie wahrscheinlich den Druck herausnehmen, alles machen zu müssen, was machbar ist.

Das Erscheinungsbild in den Medien und die Teilnehmerzahlen

Der Kirchentag als die wohl größte Veranstaltung im Lutherjahr war auf öffentliche Wahrnehmung angelegt. Wohl deshalb wurden die Politiker eingeladen. Die Konsequenz ist die Vorherrschaft des politischen vor dem religiösen Blickwinkel. Denn da die Nachrichten- und Politikredaktionen die Reden und Handlungen der Politiker täglich verfolgen, werden die Politiker eben politisch dargestellt. Sie betreiben ihr Geschäft wo immer. Am unverhohlensten hat das der SPD-Kanzlerkandidat Schulz im Berliner Dom getan. In Nachrichten u.a. Informationssendungen, auf den Titelseiten der Zeitungen wird so der Eindruck erweckt „Politik geht auf dem Kirchentag weiter“.
Da die Kirchenmitglieder Politik sowieso jeden Tag haben, müssen sie dafür nicht zu ihrem Kirchentag aufbrechen.

Mehr Luther hätte wahrscheinlich zu den erhofften 140.000 Teilnehmern geführt, es waren nur 106.000. Nach Wittenberg zum Abschlussgottesdienst wäre wohl auch die erhoffte Zahl von Interessierten gekommen. Politik kann man eben nicht feiern, wie das Luthergedenken gefeiert werden soll, bleibt weiter eine offene Frage.

Ein Kommentar von Eckhard Bieger.


Kategorie: Kirche explizit.net

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