Canisius mit Kaiser Ferdinand Foto: SJ-Bild

Petrus Canisius: Wie Reform katholisch geht

Die Katholische Kirche braucht wieder eine Reform. Das scheint etwa alle 150 Jahre fällig zu sein. Die Kirche, die jetzt zerfällt, ist ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Die vorletzte Reform war die durch die Reformation erzwungene. Deren Protagonist war ein Jesuit, Petrus Canisius. Wie hat er das hinbekommen, dass es überhaupt noch "katholisch" in deutschen Landen gibt:

Es ist eher Zufall, dass dieser Reformer 2021 auf der Tagesordnung steht. Er ist nämlich vor 500 Jahren Nijmegen geboren, am 8. Mai 1521, und war der erste deutsche Jesuit. In zwei flüssig geschrieben Büchern ist nachzulesen, wie er eine darniederliegende Kirche wieder mobilisierte.

  1. Mathias Moosbrugger legt keine Biographie vor, sondern beschreibt die Projekte und Strategien des katholischen Reformators. Diese können in ihrer Zielrichtung und den Methoden für die heutige Situation adaptiert werden.
  2. Pierre Emonet legt seinen Text mehr biographisch an. Die Person des Reformers wird deutlicher, auch seine charakterlichen Engführungen. Die ordensinternen Auseinandersetzungen und die Umsetzung seiner Gründungen werden breiter dargestellt. Auch kommen die handelnden Personen, besonders die bayerischen Kurfürsten, der Wiener Kaiser Ferdinand und der Augsburger Bischof Truchsess von Waldburg mehr zur Darstellung

Mit Anfang Zwanzig stand Canisius vor der Wahl, sich in die Mönchsklause eines Kartäusers zurückzuziehen, um ein intensives Gebetsleben zu führen. Gewählt hat er eines auf den Straßen Europas, mit vielen Begegnungen und dem Willen, öffentliche Wirkung auszuüben. Das waren zwei Wege, die beide eine religiöse Vertiefung versprachen.

Zum Kern des Christlichen durchdringen

Der junge Peter war religiös orientiert. Er folgte der spätmittelalterlichen spirituellen Schule der Devotio moderna, fand in der Kölner Kartause einen Anker und erfahrene Seelenführer. Er entschloss sich jedoch nicht, diesem Orden beizutreten. In der Begegnung mit Peter Faber, einem der Gründer des Jesuitenordens, erhielt er die Möglichkeit, in der Meditation des Lebens Jesu über 30 Tage seinen Lebensauftrag zu entdecken, einen Auftrag nicht von Menschen, sondern eine Berufung durch Gott: Reform aus dem sich Einlassen auf das Evangelium.

Nicht das Alte einfach weiter fortführen

Die Identität des Christentums zu bewahren, heißt nicht, sie in den alten Hüllen zu lassen. Zwar kann man das Evangelium nicht neu erfinden, aber es neu zugänglich machen. Das leisten die Exerzitien. Sie führen die Grundfrage, die sich jedem Menschen stellt, zu einer persönlichen Entscheidung: Was ist mein Lebensauftrag und wie vermeide ich, Gottes Gnade zu seiner Verwirklichung nicht durch mangelnde Entschiedenheit und schlechte Neigungen blockieren? Das erklärt, warum diejenigen, die Exerzitien durchmeditiert haben, wissen, warum sie etwas verwirklichen. Das war die Bewegung nach innen.
Die Außenwirkung des Ordens war eine neue Didaktik. Die Gründer, die sich in Paris zusammengetan hatten, wurden mit den im universitären Milieu von Paris entwickelten Lernverfahren geschult. Bald erkannten die katholisch gebliebenen Fürsten wie die Bischöfe, die ja ebenfalls weltliche Herren über einen Teil ihres Bistums waren, dass sie mit der Lerneffektivität der Jesuitenschulen qualifiziertes Personal, nicht nur für die Besetzung der Pfarrstellen, bekamen. Es war der Erfolg der in Paris entwickelten Methoden, die bereits einen, den heutigen Gymnasien vergleichbaren breiten Fächerkanon vermittelten und den Lernerfolg durch aktive Methoden, zu denen Disputationen wie auch Rhetorik und Theaterspiel gehörten, erreichten. Das erste Schulprojekt kam auf Initiative der Stadtväter von Messina zustande, das erste nördlich der Alpen in Wien. 18 solcher Kollegien, wo die Schüler mit den Lehrern zusammen lebten, studierten und in den Glauben und eine christliche Praxis eingeführt wurden, gründete allein Petrus Canisius.
Angesichts des seit Ende der neunziger Jahre zu beobachtenden Schwunds der Studierenden, die das Fach Theologie wählen, lohnen sich die Seiten über die Methodik und die strikte Leistungsorientierung der Kollegien. Besonders aufschlussreich ist der Aufbau des Katechismus, den Canisius im Auftrag Kaiser Ferdinands als Umsetzung des jesuitischen Lehrplans erarbeitet hat.  

Der Katechismus und viele andere Bücher

Canisius setzte auf Bibliotheken und schrieb selbst große und kleine Bücher. Sein erfolgreichstes Werk ist der Katechismus. In dem Buch für den Schulgebrauch setzt er nicht allein auf Glaubenswissen, sondern führt im zweiten Teil in eine Gebets- und Sakramentenpraxis ein. Das müsste heute durch die Kernpunkte der katholischen Soziallehre und die Einarbeitung der Ökologie-Enzyklika ebenso praktisch werden. Übertragen auf das kaum mehr nachgefragte Theologiestudium sollten die in Bedrängnis geratenen theologischen Fakultäten ebenfalls die Umsetzung der Glaubnswahrheiten in ihr Programm aufnehmen, nämlich die Verfahren vermitteln, mit denen Theologie erst zum Beruf wird, indem sie aufzeigt, wie sie in den Gemeinden Wirklichkeit wird. Es genügt nicht zu erklären, wie in den ersten christlichen Generationen und in späteren Epochen Gemeinden aufgebaut wurden und es dann Beratungsagenturen zu überlassen, wie die heutigen Großpfarreien funktionieren können. Es ist so, als würde Medizin die Geschichte der Diagnose und Therapie einzelner Krankheiten vermitteln, um es dan anderen Instituten zu überlassen, wie man in der Praxis einen Krebs operiert oder welche Inhaltsstoffe von Medikamenten eine Krankheit heilen. Würde die theologische Ausbildung sich am Modell des erfolgreichen Katechismus orientieren, würden mehr junge Menschen darauf vertrauen, mit diesem Studium eine berufliche Praxis bestreiten zu können. Stattdessen werden sie zu Kennern für Vergangenes ausgebildet. Ein weiteres Erfolgsprinzip des Reormators: Präsenz durch Bücher. Ein Gang über die Buchmesse 2019 zeigte die weitgehende Abwesenheit von philosophischen wie theologischen Neuerscheinungen. Canisius war bewusst, dass er der publizistischen Präsenz der Reformation etwas entgegensetzen musste. Er war auch entschiedener Gegner des Index' verbotener Bücher.
Vergleicht man die mediale Präsenz der Theologie und die Vielfalt der auf Theologie spezialisierten Verlage in den siebziger Jahren mit der Situation nach der Jahrtausendwende, wird zwar viel über die Institution Kirche geredet, aber wenig über die eigentlichen, das Religiöse betreffenden Themen. Wird Theologie nur rückwärtsgewandt betrieben, entstehen auch keine Sendungen in Radio und Fernsehen wie auch keine Bücher. Die Pressereferenten schreiben keine theologischen Bücher und vermitteln Bischöfen und Theologen keine Auftritte in Radio und Fernsehen.

Die Bischöfe

Die Krise im 16.Jahrhundert war eine der Bischöfe. Über den Augsburger Bischof, der Canisius gefördert hat, schreibt Moosbrugger, dass dieser das Amt so verstanden habe, dass es ihm als Adeligem den Lebensstandard ermöglichte, der ihm von seiner Herkunft aus zustand. Die Besetzung der Bischofsstühle hatten die Adeligen in der Hand, weil sie auch die mit Pfründen ausgestatteten Posten im Domkapitel besetzen konnten. So wurden die nachgeborenen Söhne versorgt. Kein Eignungskriterium für einen Steuerermann in stürmischen Zeiten. Im Blick auf die ins 11 Jahr öffentlich immer noch nicht bewältigte Missbrauchskrise, scheinen die Bischöfe auch heute nicht zu den einschneidenden Reformen fähig. Canisius hat sich in Briefen damals, meist resigniert, geäußert. 

Zwei Bücher für eine zügige Lektüre

Beide Bücher beschreiben ein Erfolgsmodell, deshalb muss man sie nicht nur in historischer Perspektive lesen, sondern mit Blick auf die gegenwärtige Situation der Katholischen Kirche. Die Lektüre lässt den Leser, hier einen Jesuiten, mit einer guten Stimmung zurück. Keine unnötigen Verschraubungen. Jeder der fünf Abschnitte in Moosbruggers Text zeichnet das Bild einer Epoche, die Situation der Kirche, die einflussreichen Personen in Staat und Kirche, die neuen Wege, mit denen sich jemand in einer turbulenten und für die Katholische Kirche sehr demütigenden Epoche erfolgreich durchsetzen konnte. Der Autor hat mit dem Aufbau seines Buches die Aktivitätsfelder des katholischen Reformators zusammenhängend dargestellt. Hat man einen Abschnitt gelesen, bleibt eine konturierte Vorstellung im Gedächtnis. Man muss sich als Leser nicht mühsam durcharbeiten und auch nicht ständig umfangreiche Anmerkungen lesen, ob da noch Wichtiges zu finden wäre. Die 524 Anmerkungen verweisen nur auf Belegstellen. Emonet mit seiner biographischen Herangehensweise zeigt, welchen Einsatz Canisius leistete und wie er biszuseinem Lebensende dieAufgabe im Blick hatte. Wie "Durchhalten" konkret geht, weiß der Leser nach der Lektüre.
Nicht nur die Strategien und ihre Erfolge sind von aktuellem Interesse, sondern auch die Person des Reformators. Neben den oben angesprochenen Erfolgsstrategien finden sich weitere Themen, so die Beweglichkeit des Protagonisten, der etwa 100.000 km zu Fuß zu seinen Wirkungsorten unterwegs war, die erfolgreiche Predigttätigkeit, wie das Marienbuch, welches die süddeutsche Marienfrömmigkeit entscheidend geformt hat. Zur Sprache kommt auch die Dämonenangst, die Canisius durch seine Predigten, gegen den Willen der Jesuiten, in fataler Weise angeheizt hat. Sein katholisches Standing und die Verbundenheit mit dem Papst wird herausgearbeitet. Emonet zeichnet die Seite des Ordens deutlicher und erklärt, wieso die Führungskräfte, die auf ihn folgten, ihn zur Seite geschoben haben. Canisius war nicht nur Organisator, Professor und erfolgreicher Prediger, der viele Menschen anzog und dem man zwei Stunden zuhören konnte, sondern auch ein Seelsorger, der Beichte hörte, in die Gefängnisse und Krankenhäuser ging.
Leser können aus beiden Darstellungen viel Energie mitnehmen.

Mathias Moosbrugger,  Petrus Canisius, Wanderer zwischen den Welten,
Innsbruck, 2021 Tyrolia-Verlag, 288 Seiten, € 27.95

Pierre Emonet, Petrus Canisius, der Unermüdliche,
2021, Echter Verlag Würzburg, 207 Seiten, € 16,90


Kategorie: Kirche

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