Kirche für den Stadtteil Rieselfeld
Bei der Planung des Freiburger Stadtteils Rieselfeld in den 90er-Jahren waren zunächst zwei separate Grundstücke für die beiden Konfessionen vorgesehen. Nach einer Phase des provisorischen Übergangs entschieden sich die beiden Gemeinden dazu, statt zwei Kirchen ein ökumenisches Zentrum zu bauen, das gemeinsam von beiden Konfessionen genutzt werden kann. Ein Architekturwettbewerb wurde ausgeschrieben und die Ansprüche der Gemeinden waren hoch. Das Zentrum sollte gleich mehrere Funktionen erfüllen: Neben zwei Gottesdiensträumen, sollte es Räume für Versammlung, Gruppenarbeit und Verwaltung geben, auch ein Kirchenladen war angedacht. Der Neubau sollte darüberhinaus nicht nur sakralen und profanen Funktionen gerecht werden, sondern auch ökumenische Begegnung ermöglichen. Gewonnen hatte ein Entwurf von Susanne Gross mit dem Titel „Zwei Kirchen, eine Kirche“, der in nur zwei Jahren Bauzeit umgesetzt wurde. Im Juli 2004 wurde die Kirche schließlich auf das Patronat Maria Magdalenas geweiht.
Ökumene baulich materialisiert
Wer heute ins Rieselfeld kommt, dem sticht das freistehende Gebäude ins Auge: Mit seinen massiven Betonwänden hebt sich das ökumenische Zentrum von seiner Umgebung ab. Die kunstvolle Form lässt die Besonderheit dieses Ortes erahnen. Obwohl es keinen klassischen Kirchturm gibt, weist ein Kreuz an der Fassade das Gebäude als Kirche aus. Das Eingangsportal ragt in das Innere der Kirche hinein. Dahinter liegt das große Foyer, von dem man in die beiden Kirchenräume gelangt - rechts der evangelische, links der katholische. Die Wände der Gottesdiensträume laufen spitz in Richtung Foyer zu, woraus sich eine dynamische Wandführung ergibt.
Die gigantischen Wände, die Gottesdiensträume und Foyer von einander abgrenzen, lassen sich öffnen, sodass die drei Räume für gemeinsame Feiern zu einem großen Raum verschmelzen. Im Foyer befindet sich der begehbare Taufbrunnen mit fließendem Wasser. In Anlehnung an die altkirchliche Taufe, bei der die Täuflinge ganz in ein Becken stiegen und untertauchten, rückt die leibliche Erfahrbarkeit des Sakraments neu in den Vordergrund. Das Taufbecken wird von beiden Konfessionen gemeinsam genutzt. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, in Maria Magdalena aber Ausdruck der ökumenischen Verbundenheit. Das Taufbecken materialisiert die gegenseitige Anerkennung der Taufe zwischen katholischen und evangelischen Christen.
Der evangelische Gottesdienstraum bietet Platz für ca. 100 Gläubige. Statt klassischer Kirchenbänke sind Korbstühle halbkreisförmig um Kreuz, Lesepult und Altar ausgerichtet. Der Raum ist schlicht gestaltet, einziger Wandschmuck ist die Zeichnung einer Friedenstaube von Picasso. Tageslicht beleuchtet den Raum indirekt durch ein Fenster in der Ostwand.
Maria Magdalena als Zeugin der Auferstehung
Der katholische Gottesdienstraum ist etwas größer und bietet etwa 250 Plätze, die auch halbkreisförmig um den Altar angeordnet sind. Der Tabernakel ist in eine Nische in der Westwand eingelassen. Er ist aus Holz gefertigt und mit Edelsteinen besetzt, die auf Spendenbasis zu besonderen Anlässen wie Erstkommunionfeiern oder ähnlichem erweitert werden können. Direkt daneben befindet sich eine Nische, die Maria Magdalena gewidmet ist. Ein dreizehnter Apostelleuchter markiert dort ihre Bedeutung als erste Auferstehungszeugin und Apostelin, die den Aposteln die Auferstehung Jesu verkündigt. Nische und Tabernakel werden durch ein helles Segeltuch verbunden, auf dem die Passage aus dem Johannesevangelium abgedruckt ist, in der Maria Magdalena dem Auferstandenen begegnet.
Mit Maria Magdalena haben sich die Gemeinden eine Heilige gewählt, die in der Kirchengeschichte oft als Provokation empfunden wurde. Zur Wahl und Ausgestaltung des Patronats kommen zwei Deutungen in den Sinn: Traditionell wird Maria Magdalena mit der Sünderin identifiziert, die Jesus die Füße salbte - eine Erzählung, die polarisiert und die Barmherzigkeit Gottes thematisiert. In Anlehnung daran verstehen sich die Gemeinden im Rieselfeld als Kirche, die für jede Biographie einen Platz hat und nicht als Richterin auftritt. Indem sie Maria Magdalena als dreizehnte Apostelin verehren, legen sie zudem weibliche Züge der sonst so männlich dargestellten kirchlichen Verkündigung offen.
Altäre verweisen aufeinander
Auch wenn die beiden Gemeinden in unterschiedlichen Räumen an zwei Altären Gottesdienst feiern, sind die Altäre in den Kirchen identisch gestaltet und verweisen aufeinander. Sie stehen auf 40 Beinen, die an die 40 Jahre Wüstenwanderung des Volkes Israel erinnert. Eine Symbolik, die den beiden christlichen Gemeinden Hoffnung spenden soll auf ihrem gemeinsamen Weg.
Sakralität des Sichtbetons
Das gesamte Kirchenzentrum kommt nahezu ohne Bilder aus. Diese Bilderlosigkeit lässt eine eigenständige Wirkung des Raumes zu. Die dicken Wände und die schlichte Gestaltung erzeugen nicht nur akustische Stille, sondern ermöglichen auch Stille für die Augen - eine Erfahrung, die sich von der Bilderflut des Alltags unterscheidet. Der Sakralbau lädt zur Unterbrechung des Alltags, Gebet und Gemeinschaft ein. Bilderlosigkeit entspricht zwar nicht dem traditionellen Kirchenbau, doch gerade auf diese Weise werden im Kirchenzentrum Maria Magdalena die klassischen Funktionen des Kirchenraums in die heutige Zeit übersetzt.
Präsenz der Kirchen im Stadtteil
Mit dem Kirchenzentrum sind die katholische und die evangelische Kirche im Stadtteil Rieselfeld präsent. Der Sakralbau prägt das Stadtbild, nebenan befinden sich Kulturzentrum und Wochenmarkt. Mitten im Geschehen des Stadtteils ist die Kirche den Tag über geöffnet und im ökumenischen Kirchenladen stehen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung. Das Kirchenzentrum ist eine architektonische Annäherung im ökumenischen Miteinander und zugleich Versuch, mit Maria Magdalena als Gewährsfrau auf die pastoralen Bedürfnisse dieser Zeit zu antworten.
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