Sobald ein orthodoxer Christ einen katholischen Gottesdienst besucht, ist dieser für ihn unverständlich. Das liegt an der unterschiedlichen Syntax. In einer orthodoxen Kirche kann er sich dagegen sofort orientieren. Der Kirchenraum bedeutet für den orthodoxen Christen, den Eintritt in ein Vorstadium des Himmelreiches. Er betritt den Kirchenraum und sieht die Ikonen der Heiligen, durch welche Christus, in Form des Nimbus, strahlt. Die Ikonen bringen den Gottesdienstbesucher in eine andere Sphäre. Der Mensch befindet sich in der Gemeinschaft der Heiligen und damit bereits im Himmelreich. Er feiert gemeinsam, wie es in der Liturgie heißt, mit den Chören der Engel und allen Heiligen, Mächte und Thronen.
Auch liturgisch unterscheiden sich Ost und West
Die Ost- und Westkirche lebten immer mit unterschiedlichen Liturgien. Die römische Kirche entwickelte mit der Zeit unterschiedliche Gottesdienste: Gregorius Liturgie, gallikanische Messfeier oder die tridentinische Messe. Ebenso feierte die Ostkirche neben der Basiliusliturgie die Jakobusliturgie und die Chrysostomos-Liturgie. Beide Kirchen waren rituell unabhängig, jedoch ähnelten sich die Riten anfangs. Mit der Zeit veränderten sich, aufgrund der traditionellen Unterschiede und besonders wegen der Kirchenspaltung 1054, die Liturgien.
Die Chrysostomos-Liturgie ist im 4. Jahrhundert entstanden, die Messe, wie sie heute zelebriert wird, im Zuge des 20. Jahrhunderts. Wie die Messe war die Chrysostomos Liturgie zahlreichen Veränderungen unterworfen, jedoch blieb, bis auf kleine traditionelle Unterschiede der Patriarchate, der Kern immer derselbe.
Unterschiedliche Gleichheit
Die Form der Liturgien ist zwar unterschiedlich. Doch das, um was es geht, ist im Kern das Gleiche, auch wenn die Symbolsprache des Ostens sich deutlich von der des Westens unterscheidet: Es geht darum, Gott anzubeten und innerhalb der Liturgie Gott zu erleben. Das nicht nur in Form des Gebetes, sondern auch in der Eucharistie. Denn in beiden Liturgien wird Christus in den Gestalten von Brot und Wein, die Leib und Blut Jesu geworden sind, empfangen.
Für beide Liturgien ist Gemeinschaft konstitutiv. In der römischen Tradition wird das besonders in dem Prinzip des Volkes Gottes ersichtlich. Dieses Volk versammelt sich zum Gedächtnismahl, das Jesus eingesetzt hat. Die orthodoxe Liturgie ist so aufgebaut, dass wie in der katholischen Kirche alle Gläubigen das Volk Gottes darstellen und gemeinsam, zusammen mit dem Priester oder Bischof, zu Gott als eine Gemeinde beten.
Der Lebensweg Jesu wird symbolisch dargestellt
Der Priester führt symbolisch unterschiedliche Schritte des Lebens Christi durch. Hinter der Ikonostase auf der sogenannten Proskomedie opfert er Christus in Form des Brotes und sticht zusätzlich mit der Lanze, die durch eine Art Messer ersetzt ist, in das Brot. Im kleinen und großen Einzug wird der Einzug Jeus nach Jerusalem dargestellt. Besonders beim großen Einzug wird Christus in Form von Brot und Wein hinter die Ikonostase getragen, woran im weiteren Verlauf das letzte Abendmahl symbolisiert wird. Der Segensgestus des Priesters bedeutet, dass Christus segnet, so wie er es während seiner Wanderungen durch Palästina gemacht hat. All das findet sich nicht in einem Wortgottesdienst, der ohne Abendmahl gefeiert wird. Hier können Menschen um Vergebung und Hilfe bitten, aber sie empfangen Christus nicht unter den Gestalten von Brot und Wein.
In der Liturgie geht es dem Orthodoxen gezielt darum, das Leiden und Leben Christus nachzuempfinden und immer wieder neu zu erfahren, da dies die Erlösung für den Menschen bedeutet. Besonders, weil das Leben Christi, im Verständnis der Orthodoxen, sich immer wieder aufs Neue abspielt. Die gesprochene Sprache zu verstehen, ist dabei zwar hilfreich, aber nicht notwendig, denn die Symbolik ist den Gläubigen bekannt. Das zeigt sich in der griechischen Liturgie, die im alexandrinischen Griechisch zelebriert wird, das heute nur wenige verstehen.
Das Zeitbudget ist im Osten nicht begrenzt
Ein weiterer Unterschied ist die Zeit, die für einen Gottesdienst zur Verfügung steht. Die katholische Messe ist ein zeitlich begrenzter Gottesdienst. Der Priester betritt den Chorraum als Endpunkt eines großen Einzugs vom Portal der Kirche aus. Er zieht ein und geht, an den Kreuzwegstationen entlang, den Leidensweg Christi. Die Gottesdienstbesucher kommen idealerweise auch pünktlich zum Gottesdienst. Nach der Messe geht der Priester den Kreuzweg noch einmal, aber zeitlich gesehen rückwärts und verlässt die Kirche wieder durch das Hauptportal. Die Menschen gehen aus der Kirche. Es ist also ein Ankommen und dann wieder ein in die Welt gehen. Die Messe wird vom Ende her bestimmt, Ite missa est, „Geht, ihr seid gesandt“, hat der Eucharistiefeier den Namen „Messe“ gegeben
In der orthodoxen Tradition wird die Liturgie bereits in der Ewigkeit gefeiert. Der Gottesdienst in der Kirche bildet die himmlische Liturgie ab, die ewig andauert und immer stattfindet. Deswegen wird sie auch göttliche Liturgie genannt, da sie ein Abbild dessen ist, was im Himmel stattfindet. Der Priester geht nicht den Passionsweg entlang, sondern bildet diesen in einzelnen Handlungen der Liturgie ab. Den Gottesdienstbesucher wird zwar dringend empfohlen, pünktlich zu sein, jedoch ist das nicht dringend notwendig, schon alleine, weil der Gottesdienst knapp drei Stunden dauert. Der förmliche Abschluss der Liturgie findet, wie in der römischen Tradition, auch mit dem Segensgestus statt. Jedoch ist die Liturgie meist noch nicht beendet, da die Kommunion manchmal nachträglich gespendet wird und die Prosphoren, die gesegneten Brotstücke, ausgeteilt werden.
Der Unterschied zwischen den Traditionen ist groß und der orthodoxe Gläubige wird aufgrund der unterschiedlichen liturgischen Symbolsprache die Heilige Messe erst einmal nicht verstehen. Das gleiche gilt umgekehrt, da der Katholik eher auf die Sprache achtet und die Liturgie somit weniger als Symbolhandlung versteht. Es wird deutlich, wie unterschiedlich sich die kirchlichen Traditionen entwickelt haben. Für beide Seiten gilt, sich auf den Gottesdienst einzulassen, um zu verstehen, was die andere Tradition zu vermitteln versucht. Erst so kann auch liturgisch aufeinander zugegangen werden.
Alexander Radej
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