Höhlenkloster in Kiew Foto: explizit.net E.B.

Kyrill: Warum für Putins Krieg?

Der Patriarch gibt dem Angriffskrieg auf die Ukraine seinen Segen. Aber der Gott Jesu ist kein Kriegsgott. Warum braucht Gott diesen Krieg nicht, aber sein Repräsentant in Moskau, Kyrill? Katholiken wie Protestanten können die Dynamik wiederfinden, die den Konfessionskrieg im 17. Jahrhundert 30 Jahre lang befeuerte.

Foto: Höhlenkloster in Kiew, Sitz des Metropoliten der russ.orthodoxen Kirche F: explizit.net E.B.

 

Rückeroberung der abgespaltenen Ukrainischen Kirche

Es geht ihm darum, die abgespaltene ukrainische Kirche wieder „einzugemeinden“. Kyrill reagiert aus dieser Reaktion der Ukraine auf russische Landnahme im Jahr 2014 mit folgender Einschätzung:

„Da kommt eine Regierung daher und hält es aus politischen Gründen nicht für möglich, dass die Mehrheit der orthodoxen Gläubigen der Russischen Orthodoxen Kirche, dem Moskauer Patriarchat, angehört. Sie beginnt damit, diese Menschen zu schikanieren. Sie werden fast des Staatsverrats beschuldigt, sie werden unter Druck gesetzt, nicht in die Kirche zu gehen, die beleidigend und blasphemisch als ‚Okkupantenkirche‘ bezeichnet wird.“ Am Tag der Orthodoxie am 13.3.2022

Aber das widerspricht dem Kriegsgeschehen. Das Oberhaupt vieler Gemeinden in der Ostukraine, die sich der Russisch Orthodoxen Kirche zugehörig fühlen, lässt Putins Truppen nämlich gegen seine eigenen Gläubige in Mariupul, Charkiw und anderen Orte in der Ostukraine kämpfen, um die eher in der Mitte und im Westen abgespaltenen Gemeinden der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Denn diese 2018 vom Oberhaupt der Orthodoxen, dem Nachfolger des Patriarchen von Konstantinopel anerkannte Kirche bildet sich aus Gemeinden, die Jahrhunderte lang zu der einen Kirche der Rus gehörten, wie heute noch die in Belarus. Der Mittelpunkt dieser einen Kirche war bis zu der Eroberung durch die Mongolen 1240 Kiew und erst ab dem 16. Jahrhundert Moskau. Er lässt also russische Soldaten für die Rückgewinnung der Gemeinden kämpfen, die gerade deshalb sich der neuen Kirche angeschlossen haben, weil Russland die Krim annektiert und im Donbass seit 2014 einen Dauerkrieg führt, um den ukrainischen Staat zu destabilisieren. Der vorige Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, hat die Neugründung betrieben, um den erst sich bildenden Staat über diese ukrainische Kirche zu stabilisieren. Kyrill begreift nicht, dass er sein Patriarchat auf Russland eingedampft wird, wenn er gegen die eigenen Gemeinden Krieg führen lässt.

Der Westen hat es nicht besser gemacht

Bevor wir uns in westliche Überheblichkeit zurückfallen lassen, sollten wir auf die Orthodoxie in beiden Ländern anerkennend blicken: sie ist mit neuer Kraft aus der Verfolgung hervorgegangen. Das können die Kirchen des Westens weder von der ehemaligen DDR noch von Tschechien sagen. Auch hat sich die Orthodoxie nicht über Glaubensdifferenzen gespalten. Wir können an dem Verhalten des Moskauer Patriarchen auch die Dynamik der Waffen besser ablesen. Es wird auch deutlich, warum sich beide Kirchen sich in Gegnerschaft positionierten und damit die Säkularisierung, also das Hinausdrängen der Religion aus der Öffentlichkeit, in Gang setzten. Es wird sich zeigen, dass die Kirchen ohne eine entschiedene und langfristig angelegte Friedensstrategie zu einem Krieg Ja sagen müssen. Noch ist die Orthodoxe Kirche gesellschaftlich verankert. Nicht nur stehen hinter Putin 70% der Russen, sie identifizieren sich mit der Kirche. Man muss allerdings nicht von der Existenz Gottes überzeugt sein, um sich als "orthodox" zu verstehen.

Zum Dreißigjährigen Krieg: Der Papst und die Katholiken haben Habsburg für die Rückgewinnung der verlorenen Gemeinden den Segen gegeben. Dass die Protestanten ihre Unabhängigkeit bis zum Letzten verteidigen würden, war ebenso unausweichlich, auch wenn die Kämpfe mit Söldnern geführt wurden.

Die Orthodoxe Kirche in Russland hat sich für das Staatskirchentum entschieden, die ukrainische nicht
Diese Überschrift geht auf ein Gespräch im Kiewer Höhlenkloster zurück. Dort hat der Metropolit der zu Moskau gehörenden Gemeinden seinen Sitz. Auch eine Hochschule für zukünftige Priester befindet sich auf dem Gelände. Die Dozenten haben oft in Leningrad oder an anderen Hochschulen in Russland studiert. Uns wurde berichtet, dass die Priester in Russland, also ehemalige Kommilitonen, sich für die enge Anbindung an den Staat entschieden hätten. Das Hauptargument, dies für die Ukraine nicht zu übernehmen, war für unsere ukrainischen Gesprächspartner die Erfahrung mit der bolschewistischen Revolutionären. Nicht nur Stalin, sondern andere gewaltbereite Revolutionäre seien ehemalige Seminaristen, also abgesprungen Priesteramts-Kandidaten gewesen. Denn bei jedem Regimewechsel gerate eine Staatskirche mit in den Strudel.

Kann der Patriarch anders als Putin zu unterstützen

Für Russland und insbesondere das Regime Putin ist die orthodoxe Kirche für das Selbstverständnis und die Identität des Landes unentbehrlich. Da Kyrill wahrscheinlich der orthodoxen Überzeugung folgt, ein Staatsoberhaupt sei durch Gottes Vorsehung in sein Amt gelangt, wird er der Armee nicht in den Rücken fallen. Anfangs hat er zu dem Krieg geschwiegen. Das konnte er offensichtlich nicht durchhalten. Für Deutschland galt dasselbe für den Ersten Weltkrieg. Die lutherische Kirchenkonzeption hatte die Fürsten die Kompetenz von Bischöfen übertragen. Die heutigen Landeskirchen entstanden erst nach 1918. Die katholische Kirche konnte sich nur über den Papst in Rom gegen den Krieg aussprechen. Für russische Orthodoxie ist dieser Krieg besonders prekär, weil die Armee nicht gegen Truppen des Westens wie einmal gegen Napoleon und Hiller Widerstand leistet. Sie kämpft auch nicht gegen lateinische Christen, sondern gegen Glaubensbrüder der gleichen Sprache und Kultur.

Die Spätfolgen - wie bei den westlichen Konfessionskriegen

Im 16. und 17. Jahrhundert war Religion mit den Gewalterfahrungen langer Kriege verbunden. Die Intellektuellen wie die Regierungen drängten die Religion aus den staatlichen wie vielen öffentlichen Bereichen hinaus. Religion konnte, anders als in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, weiter existieren, aber sie wurde eingezäunt und einer stärkeren Kontrolle unterzogen. Für die Orthodoxie Kirche kann dieser Krieg nicht ohne Folgen bleiben. Die Kirche der Rus, die Belarus, die Ukraine und Russland nicht nur in einem Bekenntnis, sondern in einer Liturgie, einem Kirchbaukonzept, in einer Kultur geeint hatte, wird so schnell nicht wieder entstehen. Der Krieg führt wie der Dreißigjährige dazu, dass sich die Kirchen stärker gegeneinander profilieren werden. Wenn Russland, um seine Wirtschaft endlich zu entwickeln, sich nicht mehr gegen den Westen positionierten wird, dann sieht die Orthodoxe Kirche "alt" aus, denn sie bestimmt die kulturelle Abgrenzung für ein Russland, das sich vor westlichen Gedankengut schützen muss. Diesem hat die Orthodoxie nur die leere Behauptung entgegenzusetzen, moralisch dem Westen überlegen zu sein. 

Kyrill will seine Gemeinde zurück, die Ukrainer ihre Freiheit

Kyrill hat den Krieg zu einer Auseinandersetzung auf der Ebene der Metaphysik erklärt. Das bestätigen die Ukrainer mit dem Einsatz ihres Lebens. Für was aber kämpfen die jungen Russen, Wehrpflichtige, die sich plötzlich im Krieg wiederfinden? Allein schon die Rechtfertigung des Krieges beinhaltet die Niederlage im Metaphysischen. Es braucht als Gegenargument gar nicht Putins Töchter und seine Oligarchen, die unbedingt im Westen leben wollen. Das Gedankengebäude, das der Patriarch zur Rechtfertigung des Krieges konstruiert hat, wird dieser Krieg zum Einsturz bringen.

Und Europa?

Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit behält, dann hat Europa gewonnen. Russland wird ohne westliche Hilfe völlig den Anschluss verlieren. Wenn Europa Russland keinen Platz gibt, dann können sich die Nachfolger Kyrills weiter auf die Sonderrolle und die besondere "metaphysische" Überlegenheit berufen. Dann bleibt die Kriegsgefahr, erst recht dann, wenn Europa sich wieder selbst schwächen sollte. Es muss sogar das Interesse der Industrie- und Handelsunternehmen sein, dass Russland auch kulturell mit seiner Metaphysik zu Europa gehört, allein um zu verhindern, dass die Investoren mit einem Federstrich enteignet werden, wenn Deutschland sich nicht im nächsten Krieg an die Seite Russlands stellt. Die Jugend Russlands darf nicht ausgeschlossen werden. Tausende von Stipendien und Schulpartnerschaften sind die richtige Antwort. Jetzt schon, als Hoffnungsangebot. Denn die Jugend hat in Putins und Kyrills Russland keine Zukunft.

Links
Kyrill - Hoher Priester eines Regional-Gottes

Zur abgespaltenen Orthodoxe Kirche der Ukraine

Zur Entwicklung der Ukraine und dem Krieg
Ukraine- eine Nation baut ihren Staat


Kategorie: Kirche

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