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Kommentar: Der Synodale Weg lässt den sexuellen Missbrauch unerledigt liegen

2019 machten sich Bischöfe mit katholischen Laien auf den synodalen Weg, um den sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten. Katholiken erwarten, dass in katholischen Einrichtungen Missbrauch möglichst nicht mehr vorkommt. Im Herbst 2021 scheint das Thema dem Synodalen Weg abhanden gekommen. Ist es in dem dunklen Schacht verschwunden? Eine kommentierte Analyse der Texte.

Die hier vorgelegte Analyse diskutiert kein Ergebnis. Da keine Ergebnisse zum sexuellen Missbrauch zu finden sind, kann nur das Fehlen interpretiert werden. Deshalb will diese Analyse motivieren, die Dokumente des Synodalen Weges zu lesen, um sich selbst ein Urteil zu bilden. Das passiert faktisch nicht. Ich habe in meinem Umkreis niemanden gefunden, die sich mit der Synode beschäftigt haben.

Was soll das Volk Gottes mit den Beschlüssen anfangen? Es muss sie ja entgegenehmen. Der Papst spricht in Evangelii Gaudium den Gläubigen eine eigene Kompetenz zu. In Nr. 119 heißt es

„Als Teil seines Geheimnisses der Liebe zur Menschheit begabt Gott die Gesamtheit der Gläubigen mit einem Instinkt des Glaubens – dem sensus fidei –, der ihnen hilft, das zu unterscheiden, was wirklich von Gott kommt.“

Wer das Konzil miterlebt hat, ich war damals im jesuitischen Philosophiestudium, wurde von der Dynamik mitgerissen. Diese Dynamik löst der Synodale Prozess unter deutschen Katholiken nicht aus. Die folgende Analyse zeigt, dass die inneren Widersprüche diesen im Treibsand stecken bleiben lässt. Das zeigt sich auch am fehlenden Interesse der Medien, das beim Konzil richtig aufgeflammt war.

Die Sexualität kann nicht einfach auf Linie gebracht werden

Die Katholische Kirche soll sich der kaum noch durch Normen regulierten Sexualität öffnen. Das wird im 4. Forum verhandelt. Der Missbrauch wird im 1. Forum unter dem Thema "Macht" eingeordnet. Dadurch wird der innere Widerspruch nicht bewusst. Es geht um einen Trieb, der kultiviert werden muss. Wenn dann auf der einen Seite für alle Formen der praktizierten Sexualität Platz sein soll, jedoch für diese eine Form nicht, wird die strikte Verurteilung der Pädo-Sexualität schwierig. Denn wie soll da die Norm „nicht mit Kindern“ wirksam werden, wenn auf der anderen Seite größtmögliche Vielfalt als dringende Reform angemeldet wird? Die "Inzidenz" für sexuelle Beziehungen zu Kindern war im Gefolge der "Sexuellen Revolution" in den siebziger Jahren am höchsten. Die Pädophilen fanden sogar Eingang in Parteiprogramme. Warum ist das damals niemandem aufgefallen? Es gibt ein weiteres Motiv, warum der Sexuelle Missbrauch als Ausgangsproblem dem Synodalen Weg abhanden gekommen ist: 

Der sexuelle Missbrauch wurde als Machtmissbrauch entschärft

Wahrscheinlich ist nicht nur mir der folgende Widerspruch aufgefallen. Erst kürzlich wurde mir in einer Fortbildung erklärt, es handle sich eigentlich um Machtmissbrauch, wenn Kinder zu sexuellen Handlungen gezwungen werden. Es scheint damit nicht der Machtmissbrauch gemeint zu sein, der Kinder zu einer Lusterfahrung verleitet und auch zwingt, die sie erst nach der Pubertät überhaupt empfinden können. Vielmehr sei auf Seiten der Täter nicht das Sexuelle, sondern das Erleben von Macht die Lust, die gesucht wird. Es kann sein, dass Kinder das so empfinden, weil sie ja keinen Zugang zu sexueller Erregung haben. Daraus aber für die Täter auf das Genießen der Überlegenheit zu schließen, führt zu einem nicht lösbaren Problem, nämlich sexuellen Missbrauch einzugrenzen, wenn jeder Machtmissbrauch potentiell zu einem sexuellen führt.

Über Sexualität lässt sich die Katholische Kirche nicht reformieren

Pädo-Sexualität, also die sexuelle Orientierung auf Kinder hin, soll nur eine Minderheit der klerikalen Täter angetrieben haben. Deshalb die vorschnelle Schlussfolgerung, müsse man die Macht der Kleriker eindämmen, denn diese sei die treiben Kraft hinter dem sexuellen Missbrauch. Aber diese zu große Macht der Bischöfe und Pfarrer wird im Synodalen Weg als Bestimmungsmacht über Personal und Projekte thematisiert. Eine Erklärung, wie genau Machttrieb und Sexualtrieb zusammenhängen, sucht man vergebens. In dem Grundsatzpapier des Forums, in dem Sexueller Missbrauch aufgearbeitet werden soll, geht es dann nicht in erster Linie um den sexuellen Missbrauch, sondern um die Machtambitionen der Kleriker. Im „Grundtext“ ist zu lesen:

„Im Kontext von sexualisiertem und geistlichem Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Kleriker greifen eine Plausibilitätskrise des christlichen Glaubens, eine Vertrauenskrise gegenüber kirchlichen Akteuren und eine Systemkrise im Zeichen von kirchlichem Machtgebrauch und Machtmissbrauch ineinander und verstärken einander in ihren Ursachen wie ihren Folgen.“

Legt die Formulierung nahe, dass der sexuelle Missbrauch das Symptom ist, welches den Machtmissbrauch durch Kleriker am deutlichsten manifestiert?  Das Abdriften vom sexuellen Missbrauch wird durch die folgende Formulierung weiter vorangetrieben:

„Der Begriff des Sakramentes rückt in den Fokus, wenn man über den rechten kirchlichen Machtgebrauch nachdenkt und sich hierbei sowohl aus den Quellen der Überlieferung wie aus den Erfahrungen und Erkenntnissen der Gegenwart, namentlich denen einer demokratisch geprägten Umgebungskultur, informiert.“
Also hängen die Sakramente, vermittelt durch den Machtmissbrauch mit dem Sexuellen Missbrauch zusammen.

Macht wird dann so beschrieben, dass ein Bezug zu sexuellem Missbrauch nicht mehr vorkommt:

„Im allgemeinen Sprachgebrauch verweist der Begriff „Macht“ vor allem auf Chancen, menschliche Interaktionen zu beeinflussen und deren Strukturen zu gestalten. Wer Macht hat, verfügt über Möglichkeiten, seine Überzeugungen zu verwirklichen und seinen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen. …..
Weil der Ort der Kirche die Welt ist, muss in ihr auch Gestaltungsmacht – als Handlungsmacht, Deutungsmacht und Urteilsmacht – organisiert sein, nicht zuletzt in der Leitung der Kirche.“

An den Formulierungen wird deutlich, dass unter diese Begriffsdefinitionen der sexuelle Missbrauch nicht subsummiert werden kann. Denn dann würde er ja in der Ausübung liturgischer, katechetischer, caritativer Aktivitäten enthalten sein. Eine Erklärung, wie die Ausgangsproblematik des Synodalen Weges zum Verschwinden gebracht wird, ist hier gegeben, indem der sexuelle Missbrauch durch Definitionen aus dem Synodalen Weg ausgegliedert worden ist. Das konnte wohl nicht zufällig geschehen, war doch dieserWeg von Kardinal Marx mit dem Ziel initiiert worden, den sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten.  Wie könnte sich das Faktum erklären, dass der sexuelle Missbrauch unterwegs verloren ging: Die Mitglieder des Forums „Machtmissbrauch“ haben erkennen müssen, dass sich der sexuelle Missbrauch nicht dazu eignet, die "klerikalen Machtstrukturen" aufzubrechen. Was einmal als Hebel geeignet schien, hätte ja eine Sexualisierung der kirchlichen Machtstrukturen zur Folge gehabt. Das hätte in siebziger Jahren vielleicht funktioniert, als Sigmund Freud wie eine Kirchvater verehrt wurde. Davor dürften die Synodenmitglieder zurückschrecken. Sie sind doch Katholiken und da hält man sich doch bedeckt, wenn die Sexualität als Triebkraft thematisiert werden müsste.

Auch der Synodale Weg schaut weg

Wenn die Täter aus allen Bevölkerungsschichten kommen und geschätzte 50% der Übergriffe im familiären Umfeld, d.h. allerdings nicht allein von den Vätern, verübt werden, dann ist die Machtausübung kein Indiz für eine Rasterfahndung. Es würden ja dann nur diejenigen Täter, die auch eine Machtposition haben, auf den Schirm kommen. Der ledige Onkel oder der Fahrer einer Internatsschule fielen dann durch das Raster.
Der Synodale Weg greift das komplexe Thema nicht auf und trägt weiter dazu bei, dass 80% der Opfer, nämlich die Mädchen, nicht in den Blick kommen. Man ist sich offensichtlich nicht der Tragweite dieses Manövers bewusst. Den Katholiken wie der Öffentlichkeit war doch versprochen, dass dieses Thema nach nunmehr 11 Jahren zu Konsequenzen führt. Wer die Beschlussvorlagen von Ende September durchgeht, wird sich fragen, wie die Forderungen zu den Mitspracherechten der Gremien und zur Ernennung von Bischöfen zur Lösung des Problems „Sexueller Missbrauch“ beitragen. Das wäre so, als würde in den Koalitionsvereinbarungen die Klimafrage nicht mehr vorkommen. Die Synodenmitglieder handeln nicht anders als die Bischöfe und die Personalverantwortlichen in früheren Jahren. Sie decken nur einen anderen Teppich über das schwierige Triebgeschehen, indem sie es einfach als Machtmissbrauch interpretieren. Die nicht entschärfte Granate wird ihnen in der Hand explodieren. Auch deshalb, weil man nicht im einen Forum für möglichst geringe Normierung des Sexuellen plädieren und im anderen Forum Sexualität als bloßes Machtproblem zu entschärfen sucht.

Normierung reicht nicht, es braucht tatsächlich eine neue Sexualmoral

Ich empfehle, das Grundlagenpapier des 4. Forums über die sexuelle Diversität nur anzuschauen. Auf eine vielversprechende Einleitung folgen zwei Spalten, die wohl die unterschiedlichen Positionen der Forumsmitglieder wiedergeben. Das am 30. September 2021, nach fast zwei Jahren Zeit auf dem Synodalen Weg. Da wird sich doch kein Prediger an dem Thema versuchen und wie sollen die jungen Menschen eine Orientierung bekommen, die ich als Pfadfinder von dem Dominikaner Rochus Spiecker erhalten habe. Wenn man das ständige Einklagen einer neuen Sexualmoral nicht bloß als Genörgel abtun will, dann doch in dem Gremium keine zwei Spalten, sondern eine Linie, die jungen Katholiken wie mir damals ermöglicht, sich in einer Wertegemeinschaft aufgehoben zu fühlen.

Die Erbsünde bleibt wirksam

Erstaunlich ist das Fehlen eines Aspekts der Einlassungen zur Sexualität: Diese Dimension das Menschen ist, nicht anders als die Macht, ein Einfallstor für das Böse. Macht hat die Ambivalenz, dass sie gegeben werden muss, damit auch schwierige Entscheidungen getroffen werden, zum anderen kann sie gegen das Gemeinwohl eingesetzt werden, vor allem, wenn der Mächtige nicht von der Macht lassen kann. Wenn sich über 200 Menschen auf den Weg machen, die Kirche grundlegend zu reformieren, werden sie mit der Erbsünde rechnen müssen. Warum bei der Macht und nicht in dem sensiblen Bereich der Sexualität? 

Link zum Grundtext des Macht-Forums
Hinweis: Dieser Text ist wohl mehrfach überarbeitet worden. Frühere Versionen liegen auch in der Box, auf die unten verlinkt wird.
Zur Übersicht der Dokument und den Vorlagen für die Vollversammlung des Synodalen Wegs September 2021: Material Synodalversammlung

Die von den Diözesen praktizierte Prävention müsste dringend unter die Lupe genommen werden. Sie ist nicht nur sehr lückenhaft und verzichtet auf die anerkennte Strategie, die Kinder zu stärken, so dass diese sich sie artikulieren, sie ist auch ethisch problematisch. Die Prävention, auf die hin ich geschult wurde, fokussiert auf Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Das impliziert aber, dass erst Kinder missbraucht worden sein müssen, damit man auf einen Täter aufmerksam wird. Es muss für die Täter etwas getan werden. Hier zu einem Bericht über Prävention, die dem Missbrauch nicht zuvorkommt: Prävention, die erst bei neuem Missbrauch greift.


Kategorie: Kirche

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