Das Unbehagen sog. konservativer Katholiken kann an einem Faktor festgemacht werden, der auch öfters genannt wird: Die frühere, nach dem Konzil von Trient eingeführte Messe wird im Unterschied zu der in den siebziger Jahren entwickelten Form als feierlicher bezeichnet. Wir, die Kolleginnen und Kollegen, die in den achtziger und neunziger Jahren mit den Redakteuren und Regisseuren im ZDF nach einer angemessenen Kameraführung gesucht haben, sind auf eine Störung aufmerksam geworden. Mit wenigen Sätzen wird aus der Feier eine Katechese, also die Belehrung, wie die Lesungen zu verstehen sind. Dadurch entsteht nach dem Wortteil der Messe ein dramaturgisches Tief, so dass der eucharistische Teil nicht mehr trägt. Denn wenn ich verstanden habe, muss ich nicht unbedingt feiern. Der Sonntagsgottesdienst hat nicht mehr wie früher die Ausstrahlung, diesem Tag etwas Besonderes zu verleihen.
Die Funktion der Predigt ist nicht nur Auslegung, sondern „Evangelium“
Beim ZDF konnten wir zeigen, dass der Zuspruch wächst, wenn die Dramaturgie stimmt. Sorgfalt und die Beachtung des Aufbaus der Messe zieht die Menschen an, so dass in den neunziger Jahren die Zuschauerzahl von durchschnittlich 360.000 auf 800.000 zunahm.
Der entscheidende Punkt ist die Einführung zur Predigt. Wenn man Priester nach der Funktion der Predigt fragt, wird meist die Auslegung des Evangeliums genannt. Gepredigt wird über das Evangelium. Diese Funktionszuweisung der Predigt geschieht eher unbewusst, denn Vorbereitung des Gottesdienstes heißt vor allem, Ausarbeitung der Predigt. Die soll sich vorrangig auf das Evangelium beziehen. Aber kommen die Gläubigen wegen der Predigt in den Gottesdienst? Messe heißt doch, dass man an etwas teilnimmt. Wenn jemand Geburtstag feiert, dann kann man ihm, kann man ihr schreiben oder sie anrufen. Es ist aber etwas Anderes, das Geburtstagskind durch seine Anwesenheit zu feiern. Das Gleichnis vom König, der zu einem Fest einlädt, betont die Notwendigkeit, anwesend zu sein. Das gibt der Predigt eine andere Aufgabe.
Das Evangelium nicht vorwegnehmen
Wenn der Zelebrant seinen Fokus auf die Erklärung der Lesungen legt, dann wird er am Beginn der Messe auch darauf eingehen. Die Prediger, die ihre Aufgabe in der Auslegung des Evangeliums sehen, sagen dann meist schon am Anfang der Messe, welches Evangelium zu hören sein wird und manche benennen bereits die Sinnspitze der Perikope, die an dem jeweiligen Sonntag zur Verlesung kommt. Diese Eröffnung einer Messe konnten wir bei den Fernsehübertragungen überprüfen. Wir stellten fest, dass die Leute beim Evangelium gar nicht mehr richtig hinhörten, wenn dessen Inhalt schon am Beginn der Messe angekündigt wurde. Wie bei jeder guten Inszenierung geht es auch in der Messe darum, nicht gleich zu Beginn das Zentrale zu benennen, sondern als Frage in den Raum zu stellen, um einen Spannungsbogen aufzubauen. Wenn das Evangelium der Höhepunkt des Wortteils der Messe ist, dann sollte man mit den Menschen zusammen auf den Berg steigen und nicht von oben schon mal herunterrufen, was es von dort zu bewundern gibt.
Das Evangelium ist kein Arbeitstext
Wenn man also mit den Menschen die Schritte geht, die der geniale Liturge, Gregor I., bei der Neuordnung der Liturgie um 600 freigelegt hat, dann wird sofort deutlich, dass das Evangelienbuch nicht schon am Ambo liegen, sondern in einer Prozession dorthin gebracht werden sollte. So hebt man das Besondere des Evangeliums gegenüber anderen Texten heraus. Auf diese Weise haben wir den Prozessionscharakter der römischen Liturgie wiederentdeckt. Schon zu Eröffnung der Messe sollten die Messdiener, Lektoren, Diakon und Zelebrant nicht aus der Sakristei zum Altar huschen, sondern unten an den Stufen ankommen, weil sie wie die Gottesdienstbesucher von Westen eingezogen sind. Trägt man dann das Evangeliar feierlich zum Ambo, kann man dieses Buch nicht mehr einfach hinlegen und wie in einer Vorlesung erklären. In den Prozessionen liegt ein größeres Versprechen als dass die Hörer mit einem besseren Verständnis des Textes entlassen werden. Sie werden nicht nur belehrt, sondern berührt.
Evangelium heißt nicht "Erklärung"
Die Frohe Botschaft, die „Gute Nachricht“, die wohl zuerst Markus als Evangelium komponiert hat, heißt ja nur in einem ersten Schritt "Leben Jesu", indem sie schildert: So war es mit dem jungen Mann aus Nazareth. Damit dieser Bericht zu einer guten Nachricht wird, kommt Entscheidendes hinzu: "Euch ist Eure Sündenlast abgenommen worden" und "Eure Erlösung kommt im Himmel zum Ziel, wenn ihr Jesus dort begegnen werdet". Diese Botschaft und nicht nur ein besseres Verständnis eines Textes ist die Chance der Liturgie. Dass die Texte zur „Guten Botschaft“ werden, erfordert dann tatsächlich Predigt. Denn das, was in der Messe gefeiert wird, Erlösung, Gemeinschaft, Versicherung eines Lebens nach dem Tod, wird immer wieder durch missliche Erfahrungen die Woche über widerlegt. Die Menschen kommen nicht befreit, mit Freude auf Gemeinschaft, mit dem Lächeln, das die Auferstehungsbotschaft bewirkt, in den Gottesdienst. Der Botschaft des Evangeliums stehen konkreten Erfahrungen entgegen. Zudem gilt der Glaube an Gott als Relikt eines Zeitalters vor dem Gebrauch der Vernunft. Die Predigt muss diese Enttäuschungen aufgreifen und darlegen, dass Gott mit uns zu seinem Ziel kommt. Das ist im Tod und der Auferstehung Jesu bereits verwirklicht. Deshalb Prozession, wir sind auf dem Weg, das himmlische Licht erstrahlt im Chor, wo Jesus als Pantokrator und später als Gekreuzigter dargestellt ist, im Barock dann Maria, die in den Himmel aufgenommen wird. Wenn der Prediger nur erklärt, was in dem biblischen Text zu entdecken ist, dann genügt es, die aktuelle theologische Literatur zu studieren und die Studienergebnisse weiterzugeben. Dann wissen die Zuhörer besser, was gemeint ist. Aber kommen Sie deshalb in den Gottesdienst?
Predigen heißt Bezeugen
Der Prediger muss sich intensiv mit dem Text auseinandersetzen. Wenn er jedoch bei dem stehen bleibt, was die Bibelwissenschaft herausgefunden hat, lässt er die Frage offen, ob ich als derjenige, der zum Gottesdienst gekommen ist, auch tatsächlich gemeint bin. Ich zweifle nicht daran, dass Jesus am Kreuz hingerichtet wurde. Zu viele, die sich für Wahrheit und Gerechtigkeit eingesetzt haben, sind ebenfalls ermordet worden. Wenn es so mit der Wahrheit und Gerechtigkeit steht, dann kann ich mit den Opfern nur Mitleid haben. Das ist aber nicht das, was mit "Evangelium", mit der Guten Botschaft gemeint ist. So sind auch nicht die Kirchen entworfen, die mit der Ausrichtung nach Osten und dem hell erleuchteten Chorraum auf Jesus zugehen, der wieindemBildoben auf die Gemeinde zukommt. Der christliche Gottesdienst hat im Ostertag seine Wurzel. Anfangs gingen die Christen zum Synagogengottesdienst am Samstag und feierten einen Tag später, am Auferstehungstag das Abendmahl. Deshalb wurde auch das Markusevangelium, das mit der Grablegung Jesu endete, um die Auferstehungsberichte ergänzt. Die Auferstehung Jesu ist die Gute Nachricht. Die soll der Prediger bezeugen. Das muss dann gefeiert werden. Die Feier versichert dem Einzelnen, dass zutrifft, was im Wortgottesdienst neu gefunden wurde - wie nämlich Gott sein Erlösungswerk trotz aller Widerstände ans Ziel bringt. Auch hier zeigt der Vergleich mit einer Geburtstagsfeier, dass es um Eindrücke, Empfindungen, eine innere Verwandlung geht. Wenn es nur ein gutes Essen gibt, das Geburtstagskind aber nicht als Person gewürdigt wird, kommt die Feier nicht zustande. Es muss etwas gesagt, überreicht werden, das mit der Person zu tun hat.
Im Sonntagsgottesdienst wird deshalb Jesus nicht nur als Lehrer Thema, sondern als derjenige, der für die Anwesenden Entscheidendes getan hat und dann sogar noch zur Gemeinschaft mit ihm einlädt. Das können die Gläubigen dann mit vollziehen, wenn sie persönlich ergriffen sind. Im 3. Kapitel des Epheserbriefes ist beschrieben, warum der eucharistische Teil der Messe eine Feier ist:
Ich beuge meine Knie vor dem Vater, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde
benannt wird, und bitte, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, dass ihr in
eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt.
Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr
zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die
Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle
Gottes erfüllt.
Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns
ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen,
für ewige Zeiten. Amen.
In der Begrifflichkeit Rahners wäre das Formalobjekt des Wortgottesdienstes die „Gute Botschaft“ von der Erlösung und der endgültigen Vereinigung mit Gott. Kategorial wäre dann die Auslegung der jeweiligen Lesungen in diesem Horizont der Guten Nachricht, so dass die Predigt den Übergang zur eucharistischen Teil der Messe bildet. Das Glaubensbekenntnis kann dann in dem Sinne gesprochen werden: „Ja, so ist es, Gott handelt, er erlöst uns und bietet seine Gemeinschaft an.“ Das Credo ist das Amen zum Wortgottesdienst.
Leere Pause nach den Fürbitten
Wenn die Predigt nur das Ziel hat, die gelesenen Texte besser zu verstehen, sinkt der Spannungsbogen mit den Fürbitten fast auf die Null-Linie. Die Fürbitten haben dann etwas Abschließendes. Wir konnten unsere Anliegen Gott anvertrauen. Meist erleben die Gläubigen den Übergang als dramaturgische Delle. Sie wissen zwar, dass es weitergeht. Aber wenn die Predigt bei der Auslegung des Evangeliums geblieben ist, dann wird der Übergang zur Gabenbereitung als Pause erlebt. Das wird noch durch die Ausstrahlung des Zelebranten unterstützt, der sich entspannt dem festlegten Ablauf des Ritus anvertraut. Hätte er die Predigt jedoch so angelegt, dass er nicht nur ausgelegt, sondern als Frohe Botschaft auf die Gegenwart weitergeführt, indem er die Ängste und Befürchtungen, die Erwartungen und Hoffnungen der Gläubigen aufgegriffen hätte, dann würde er sich so auf den Ritus einlassen, dass die Menschen mitgehen. Wenn die Gläubigen nicht in die Beobachterrolle zurückfallen, sondern persönlich auf Jesus zugehen, dann würden sie schon jetzt Jesus so erleben, wie er in der Augsburger Moritzkirche auf die Gemeinde zukommt.
Der Wunsch, zusammenzubleiben
Das Muster, an dem man sich orientieren kann, ist die Begegnung Jesu mit den Jüngern, die Jerusalem Richtung Emmaus verlassen haben. Der Wunsch, mit Jesus zu essen, ist erst während des Gesprächs entstanden. Übertragen auf die Funktion der Predigt hieße das, dass die Gläubigen den Wunsch zur Feier, zur näheren Begegnung mit Jesus spüren. Dann wird der Übergang von den Fürbitten zur Gabenbereitung nicht als leere Pause erlebt. Wenn die Gaben wirklich bereitet werden, indem sie aus der Mitte der Gemeinde in einer Prozession zum Altar gebracht werden, das Altartuch erst jetzt aufgelegt und die Gefäße sorgfältig aufgestellt werden, dann wird das als Hinführung zum Mahl erlebt. Es ist vergleichbar wie wenn wir nach einer Besprechung, nach einem Vertragsabschluss, nach einer Taufe, Hochzeit oder Beerdigung zum Essen gehen. Da muss die Mahlzeit nicht schon dampfend auf dem Tisch stehen. Ein solches Essen inszenieren wir, denn es soll auf neue Weise erlebbar machen, was vorher besprochen, vereinbart, erklärt wurde. Eigentlich ist die Messe auch einer Gerichtsverhandlung vergleichbar, die mit einem Freispruch geendet hat, der jetzt gefeiert wird.
Eucharistie ist Begegnung mit Jesus
Die Messe zielt auf die persönliche Begegnung jedes einzelnen mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus. Als Pius X. die häufige Kommunion wieder belebte, hat er eine Verkürzung der Messe überwunden. Denn mit der knienden Verehrung der vom Zelebranten erhöhten Hostie war im Verständnis der Katholiken der Höhepunkt der Messe erreicht. Man ging ja nur an besonderen Tagen zur Kommunion. Für die meisten ist auch heute noch die Wandlung der Höhepunkt, obwohl der Bogen mit Vaterunser, Friedensgebet und Agnus Dei bis zum Empfang der Kommunion durchgezogen wird. Und ist nicht heute eigentlich der Sonntagsgottesdienst von seiner Anlage her bereits mit den Fürbitten zuende, so dass das Abendmahl fehlen könnte, ohne dass der Wortgottesdienst wie abgebrochen wirkt. Oder warum finden evangelische Christen erst in diesen Jahren zum häufigeren Abendmahl zurück, wenn nach Luthers Theologie die Eucharistie ein Wortgeschehen ist, also Christus in der konsekrierten Hostie dem Gläubigen auch als Wort entgegenkommt? Genügen dann nicht die Verlesung des Evangeliums und eine gute Auslegung. Der frühere EKD-Vorsitzende, der Berliner Bischof Huber, erklärte als Eckpunkte des Evangelischen Gottesdienstes die Predigt und die Liedauswahl.
Die ökumenische Unsicherheit
Das ökumenische Kirchentreffen 2021 in Frankfurt wird von seinen Organisatoren unter die Zielsetzung gestellt, "in der Abendmahlsfrage weiterzukommen". Wird sich das Gefühl einstellen, dass sich beide Seiten tatsächlich nähergekommen sind? Oder gehen die Veranstalter nicht das Risiko ein, dass Viele mit einem unguten Gefühl nach Hause zurückkehren und innerlich von der Oekumene Abschied nehmen. Wäre nicht zuerst dran, dass man sich anhand der Bibeltexte verständigt, was da gefeiert wird. Und müsste nicht wie in der Emmauserzählung berichtet, erst aus diesen Gesprächen der Wunsch erwachsen, Christus gemeinsam zu begegnen. Wenn dieser Wunsch nicht entsteht, dann sind die Christen noch nicht so weit. Es müsste sich vorher vor Ort doch einiges ändern, sonst gibt es gottesdienstliche Oekumene nur auf dem Kirchentag. Dass man sich vor Ort näherkommen könnte, zeigen die Kirchengebäude. Man demonstriert doch durch die Beibehaltung der jeweils eigenen Kirchengebäude weiterhin, dass man auf Abstand bleiben will, lässt man sich die unterschiedliche Feier der Gottesdienste doch sehr viel kosten. Die Instandhaltung und Heizung der Gebäude, das Personal, das die Gebäude instand und tagsüber im Auge behält verursachen keine geringen Kosten. Warum ist die Kirchenmusik immer noch kirchentrennend. Ich bin durch Gottesdienstübertragungen und Aushilfen viel herumgekommen. Nur einmal gab es einen evangelischen Organisten. Dass ein evangelischer Pfarrer einen Wortgottesdienst in einer katholischen Kirche gestaltet hat, kommt doch nur bei ökumenischen Feiern vor. Wenn eucharistische Gemeinschaft auf dem Kirchentag, dann doch konkrete Vorbereitungen vor Ort.
In den Text sind wichtige Hinweise meines Kollegen Wolfgang Fischer eingearbeitet. Die Funktion der Predigt haben uns Herbert Poensgen und Theo Hipp erschlossen
Link: Welche Kirche soll auf dem Kirchentag entstehen
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