Umgeben von jungen Bäumen, Foto: J. Mügge

Asche auf das Haupt der Achtundsechziger

Was hat die 68er-Generation abgeschafft? Welche Grundmauern hat sie gebaut, auf denen die nachfolgenden Generationen ein neues Kirchenhaus errichten konnten. Dario Hülsmann, gerade aus Peru zurück, kommt für die Kirche in Deutschland zu einem ernüchternden Resultat.

Wenn ich an die katholische Kirche in Deutschland denke, fällt mir für die junge Generation nicht so viel Positives ein. Ich habe selbst den Generationenwechsel in meinem Herkunftsdorf noch erlebt. Von Blumenteppichen und Chören bei allen Hochfesten, mit Gebeten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Diese Traditionen sind mit der Generation meiner Großeltern verschwunden. Von den 68ern ist davon nichts weitergegeben worden. Das „Neue“ erschöpft sich in engagierten Gruppen, die für junge Erwachsene nicht offen sind. Bei der kleinen Schar von silbergrauen Kirchgängern fühle ich mich oft verloren. Die Themen meiner Generation finde ich nicht wieder. Neben dem liturgischen Service wüsste ich nicht, wohin ich jungen Erwachsenen empfehlen könnte zu gehen. 
Auch in den Familien wurde nichts mehr weitergegeben. Die Offenheit, sich kirchliche Gruppen zu suchen, die zum individuellen Profil passen, mag für die 68er eine Befreiung gewesen sein. Für uns Junge hinterlässt sie eine leere Kirche, ohne Fixpunkt.

Sich für Inhalte einsetzen

Jetzt ließen sich die Jugendverbände nennen, als Orte für junge Christen. Aber wer mit der Schule fertig wird, ist auch mit dem Verbandsleben fertig. Und dann? Was bleibt und hilft ist der unbändige Drang der 68er Kirche mitzugestalten, sich selbstwirksam zu erleben, in individuelle Beziehung zu treten. Sie haben mir hierbei so viele wichtige Impulse gegeben, mich nicht einfach mit Strukturen abzufinden, Funktionär zu werden, sondern wirklich für Inhalte zu streiten. Dafür bin ich dieser Generation dankbar. Diesen Spirit braucht es weiterhin.
Aber hat die Generation der 68er diesen Spirit wirklich in die Kirche eingeschrieben? Da habe ich meine Zweifel. Wenn ich sehe, welche meiner Kommilitonen in den pastoralen Dienst gehen, welche Priester werden, fühle ich mich nicht vertreten. Spätestens da trennen sich nämlich die Milieus. Die kommenden Seelsorger und Seelsorgerinnen werden nur noch aus 1-2 Sinusmilieus rekrutiert. Die Theolog*innen aller anderen Milieus suchen das Weite. Nicht diejenigen sind das Problem, die in den pastoralen Dienst gehen, sondern vielmehr diejenigen, die fernbleiben.

Ein Platz für Neues finden

Ich habe nach dem Theologiestudium viel gesucht, wo ich beruflich anknüpfen möchte. In persönlichen Gesprächen mit Domvikaren, Ausbildungsleiter*innen und Ansprechpartner*innen habe ich aber immer nur eine Antwort bekommen: machen Sie die Ausbildung zum Pastoralreferenten, sonst können wir Ihnen keinerlei Stelle anbieten. Meine berufliche Erfahrung, Zusatzstudien, Fortbildungen, innovative Ideen - alles völlig egal. Das System nimmt nur die Pastoralreferent*innen. Und schottet sich damit ab. Denn die fitten Theolog*innen meines Jahrgangs, die querdenken, aus anderen Milieus kommen und neue Wege wagen, sind alle andere berufliche Wege gegangen.

Was treibt meine Generation um?

Die Pastoral der Weitergabe,  Familie, Katechese, Religionsunterricht ist zu Ende. Der Rücktritt von Pfarrer Frings in Münster hat dies eindrücklich gezeigt. Wir haben ein Jahr vorher noch mit ihm an innovativen seelsorglichen Projekten gearbeitet. Aber der Druck „einen Service“ abzuliefern, der überhaupt nicht mehr zur Weitergabe von gelebten Glauben beiträgt, trotzdem aber so bleiben soll, wie es die Katholiken gerne hätten, war zu groß. Wenn junge Erwachsene keine Glaubenspraxis mehr von der 68er-Generation empfangen hat und die Pfarrgemeinden für junge Menschen zur Wüste geworden sind, was kommt dann Neues?
In Frankreich schreibt Jean-Marie Donegani von dem Übergang zu einer „Zeugenden Pastoral“. Wir brauchen Orte des gelebten Glaubens, in denen wir nicht gleich mit moralischem Impetus und den einzig richtigen Werten zugeschüttet werden. Räume, wo ältere Gläubige unsere Themen und Fragen wirklich verstehen wollen. Ernst nehmen, wie eine Glaubenssuche im Zeitalter der Säkularisierung aussieht. Welche Verunsicherung sie begleitet. Und eine Offenheit dafür, dass wir uns eigene Aufgaben suchen werden. Junge Erwachsene werden die Projekte der Älteren nicht weiterführen.

Raum und Geld für die Jüngeren

Nachdem die 68er die Kirche ihrer Eltern komplett umgebaut haben, sind wir heute auf der Suche nach anderen Orten, wo wir Raum bekommen. Wo wir wirklich gesucht werden.
In Münster-Hiltrup arbeite ich für die Missionsschwestern von Hlst. Herzen Jesu, die mir als Theologe Freiraum geben. Ich versuche hier, gemeinsam mit jungen Erwachsenen und den Missionsschwestern einen Ort aufzubauen, an dem gebetet wird und junge Erwachsene in ihrem Glauben den Fragen, Suchbewegungen, Entscheidungen und Themen nachspüren können, die sie selbst mitbringen.
Ich frage mich dabei oft, wohin ich sie weiterempfehlen kann. Gibt es noch kirchliche Räume, in denen die Fragen junger Erwachsener bearbeitet werden?
Wer fördert in Deutschland solche Aufbrüche in unserer Kirche? Solange es noch ältere Engagierte gibt, die etwas für die nächste Generation bewegen wollen, fällt mir nur ein Tipp ein: gebt jungen  Katholiken, die nicht im pastoralen System vollengagiert sind, Geld. Geld ist ein Zeichen für Zutrauen und Wichtigkeit. Gebt jungen Engagierten einen Topf mit 20.000€ aus dem Pfarreietat. Und dann bittet sie etwas Eigenständiges zu machen. Und begleitet sie dabei mit Interesse, im Gebet und mit offenen Ohren.

In meiner Arbeit bin ich froh, Suchenden zu begegnen, die sich gar nicht in Kirche verorten, aber spüren, dass Gott mit ihnen Geschichte schreibt. Die wirklich ihre Lebensthemen und Entscheidungen vor Gott bringen wollen. Und denen wir Freiraum anbieten können, daraus noch mehr zu machen.


Kategorie: Kirche

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