Sie ist selbst überrascht, sagt die neue Präses der EKD, Anna-Nicole Heinrich, im Tagesschau-Interview am Tag ihrer Wahl. Sie ringt um Worte, verbessert ihre eigenen Aussagen und wirkt nicht so, als hätte sie schon zahlreiche Kameratrainings absolviert, wie man es bei solch einem repräsentativen Amt vielleicht erwarten würde. Und das ist nicht die einzige Überraschung in Anna-Nicole Heinrichs Leben. Zur jüngsten Präses in der Geschichte der EKD gewählt zu werden, war ihr nicht unbedingt von klein auf nahegelegt. In einem nichtchristlichen Elternhaus aufgewachsen kam sie erst im Schulalter etwas mehr mit Religion in Berührung. Sie kann sogar ganz unverhohlen sagen, dass es die Tatsache war, dass der evangelische Religionsunterricht im Pausenraum mit Spieleteppich stattfand, die sie dazu bewegt, diesen zu wählen. Das dürfte vielleicht nicht allen evangelischen Christ:innen gefallen, zeigt aber deutlich die Selbstgewissheit der neuen Präses, sich selbst nicht glattgebügelt ultraorthodox zu gerieren. Sie wirkt ein wenig verlegen, zugleich aber authentisch und nahbar. Sie scheut sich nicht zu sagen, dass sie zwar regelmäßig, aber trotzdem nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst geht. Damit bringt sie vielleicht unbewusst zum Ausdruck, dass sie eine ganz normale junge Frau ist – oder sich zumindest so versteht. Spätestens hier stellt sich aber die Frage: was bewegt eine 25-jährige Studentin und macht sie so selbstsicher, das höchste Ehrenamt der EKD zu übernehmen?
Klare Vorstellungen für die EKD
Auch wenn Heinrich stellenweise noch nicht einhundertprozentig souverän auftritt, scheint es ihr an Selbstbewusstsein nicht zu fehlen. Nicht mit bitterer Miene, sondern lächelnd und freundlich präsentiert sie sich. Sie hat eine Vision, die sie ihrer Kirche im neuen Amt auf die Fahnen schreiben will: gesellschaftlich präsent zu sein und die Botschaft Jesu in die Mitte zu stellen. Was genau sie damit meint, bleibt aber bisher recht vage. Ihre Aufgabe sieht sie jedoch darin, den Menschen Berührungspunkte mit Kirche und Glaube zu ermöglichen.
Die junge Frau, die parallel zum Ehrenamt auch noch weiter studiert und an der Uni Regensburg bei der katholischen Professorin für Pastoraltheologie, Ute Leimgruber, arbeitet, möchte die evangelische Kirche sprachfähiger machen. Eine heute leichter verständliche Sprache soll nach Heinrichs Ansicht helfen, im öffentlichen Diskurs Aufsehen zu erregen. Mit ihrer unverfälschten Redeweise in Interviews macht sie damit selbst deutlich, dass Sprachfähigkeit nicht bedeutet, bloß viel zu reden. Mitunter ist es dann eher die Antwort auf Nachfrage, in der sich offenbart, dass sie eine klare Vision hat. Heinrichs Unerfahrenheit bringt ihr sogleich Sympathiepunkte, wenn sie entgegnet, dass ihr gesagt worden sei, in Live-Interviews nur kurze Sätze zu sagen. Wenn sie dann auf Nachfrage ihre Darlegungen erläutert, macht sie zugleich deutlich, dass sie durchaus weiß wovon sie redet und auch auf kritische Nachfragen gekonnt und seriös antworten kann.
So attestiert sie der EKD beispielsweise, dass man beim Thema des sexuellen Missbrauchs bisher „in Sackgassen gelaufen“ sei, was sie nun ändern wolle. Auf die Nachfrage, was das denn nun konkret bedeute, kann sie dann aber durchaus nächste Schritte umreißen: es solle zeitnah geklärt werden, wie Betroffene in der Verfassungsstruktur der EKD eingebunden und gehört werden können und es brauche eine externe Evaluation des Prozesses, weil die Kirche dies aus sich heraus nicht leisten könne.
Mit dieser Erkenntnis steht Anna-Nicole Heinrich sicher nicht allein in der Synode der EKD. Beachtet man aber die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen (wie auch der katholischen) Kirche in Deutschland bleibt zweifelsfrei festzuhalten, dass es erst in jüngerer Vergangenheit zu einer Sensibilität kommt die freilich noch vieler weiterer Schritte bedarf. Für solch einen Bewusstseinswandel könnte nun auch Anna-Nicole Heinrich stehen.
Start-Up-Mentalität trotz Alter der Kirche
Obwohl sie zur jüngsten Präses in der Geschichte der EKD gewählt worden ist, möchte Heinrich nicht auf ihr Alter reduziert werden. Diesen Punkt dürfte Heinrich wohl auch in Zukunft so manches Mal zu hören bekommen. Nicht nur in Bezug auf ihr eigenes Alter, sondern auch mit Blick auf das Alter der Institution, die sie nun mit ihrem Amt repräsentiert. Schließlich kann die evangelische Kirche im Heimatland Martin Luthers auf ein halbes Jahrtausend Geschichte zurückblicken. Dass man da keinen „neuen Wind“ erwarten könne, dürfte mit Sicherheit ein weiterer Vorwurf sein, mit dem die Präses konfrontiert werden wird.
Sie nimmt es gelassen. Nur weil eine Institution schon lange existiere, heiße das ja immerhin nicht, dass dahinter nicht auch ein Start-Up-Gedanke stehen könne.
Spannungen auch im Amt aushalten
Diese Spannung muss Anna-Nicole Heinrich aushalten. Mit ihrer Person erfüllt Heinrich ihr Amt von dem was man bisher beobachten kann vielleicht eher unkonventionell. Dafür möchte sie ihm aber eine umso stärkere persönliche Note mitgeben und es prägen. Unter #präseslike geben sowohl sie selbst, als auch der Account der EKD auf Twitter davon bereits eine Kostprobe. Dabei spielt Heinrich in ihrer Community mit konventionellen Vorstellungen, wie ein diesem Hashtag entsprechendes Verhalten womöglich aussehen könne einerseits. Andererseits macht sie deutlich, dass sie fortan neu definieren möchte, was #präseslike ist. Die scheinbaren Gegensätze von denen ihr christliches Leben seit dem Spieleteppich im Religionsunterricht geprägt ist, fügen sich gut in dieses Bild.Sie verortet sich nicht zwischen Labels wie „liberal“ und „konservativ“. Charismatische Online-Gebete sagen ihr ebenso zu, wie festliche Gottesdienste unter Posaunenbegleitung. Wenn sie denn das Gefühl hat, dass dieses oder jenes Format gerade passt. Und überhaupt, hält die Präses fest, ist der Glaube für sie eine starke Basis. Trotzdem bewahrt dieses Fundament sie nicht vor Zweifeln. Das offen und authentisch zu sagen ist (nun?) #präseslike.
Franz-Jakob Quirin
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!