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Zum Jahresübergang 2017

Wir beschäftigen uns nicht mehr nur mit unserem privaten und beruflichen Umfeld. Wir können uns im Ganzen nicht mehr sicher fühlen. Die Gegensätze werden schärfer und wir trauen der Politik immer weniger zu, dass sie den Ausgleich schafft. Das Gemeinsame zerreibt sich, Strömungen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Wie sollen wir uns orientieren?

Wir beschäftigen uns nicht mehr nur mit unserem privaten und beruflichen Umfeld. Wir können uns im Ganzen nicht mehr sicher fühlen. Die Gegensätze werden schärfer und wir trauen der Politik immer weniger zu, dass sie den Ausgleich schafft. Das Gemeinsame zerreibt sich, Strömungen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Wie sollen wir uns orientieren?

Zerfall führt zu Krieg: Reformation und Französische Revolution

Das Reformationsjubiläum zeigt uns die Konsequenzen eines Zerfalls der gemeinsamen Wertebasis. Das Mittelalter war zuende. Die Menschen waren mit dem Bestehenden nicht mehr einverstanden. Zwar hatte das Mittelalter die Städte hervorgebracht, das Banksystem mit Schecks war entwickelt, es gab Optiker und Hospitäler. Das Erreichte genügte jedoch nicht mehr. Eine neue Kultur musste Gestalt gewinnen. Aber sie wurde nicht gefunden. Eigentlich hätte man eine Staatsidee entwickeln müssen, in der verschiedene Entwürfe des Christseins nebeneinander Platz gehabt hätten. Es gab diese Idee nicht, so entluden sich die Gegensätze immer wieder in Kriegen, die sich dann bis zum Dreißigjährigen auswuchsen.

Nach dem Ende des Barock, der im Rokoko sich bereits angekündigt hatte, sollte die Französische Revolution eine neue Gesellschaft und besser funktionierende Staaten hervor­bringen. Es gab, anders als bei der Reformation, ein Konzept, Parlament und Gewaltenteilung. Dieses Konzept brauchte für Deutschland jedoch mehr als 150 Jahre, bis es als Rahmen für die politischen Prozesse akzeptiert wurde. Erst nach dem Zweiten der Weltkriege konnte sich Europa eine Friedensordnung schaffen. Die Staaten waren bereit, auf ein Wettrüsten zu verzichten, indem sie ihre Kohle- und Stahlindustrie der Montanbehörde in Luxemburg unterstellten. Diese Anfänge der europäischen Einigung sind nicht mehr im Bewusstsein.

Die alte Ordnung wird verabschiedet

Heute sind wir in einer Phase angekommen, wo das Alte nicht mehr „schmeckt“. Wir spüren, dass eine kulturelle Epoche, die Moderne, zuende geht. Wie im Rokoko hat sie sich in der Postmoderne zerfasert. Was vor zwei Jahren noch sicher schien, z.B. der Konsens in Bezug auf Europa, ist fragil geworden. Der Impuls ist anders als bei der Reformation oder der Französischen Revolution: Es geht nicht mehr um Fortschritt, sondern gegen die Unübersichtlichkeit, den hohen Informationsdruck, dass alles sich immer ändern muss. Es geht immer darum, dass „es so nicht weitergehen kann“. Hinter den Bewegungen ist keine neue Rahmenordnung erkennbar, in der politische Prozesse ausgetragen werden, und auch keine neue Philosophie, wie sie vor der Französischen Revolution entwickelt wurde. Das macht die Wahlergebnisse so fragil, denn ohne eine Idee für das Neue, das kommen soll, gibt es erst einmal Unsicherheit. Weil die neuen Bewegungen kein überzeugendes Konzept haben und damit keine einigenden Kräfte aufbringen, die zu einer Wertebasis führen, agieren die Strömungen immer mehr gegeneinander. Es gibt keinen Rahmen, auf dessen Basis man sich einigen könnte.

Worte sähen Hass und dieser Gewalt

Ein untrügliches Zeichen, dass das Gemeinsame zerfällt, findet sich in der aggressiver, verächtlich gewordenen Sprache. Die Worte sind schon da. Die Sprache wurde in kleinen Kreisen vorbereitet. Jetzt sickern die Worte über Facebook und die Wahlreden in den Sprachfluss. Es fängt immer mit Worten an. Daraus folgern diejenigen, die von Unzufriedenheit getrieben sind, dass sie auch mit ihren Gesten aggressiver auftreten können, der Schritt zu Gewalt ist dann nicht mehr groß.

Was soll man tun, als einzelner, als Gruppe, als Institution

Entscheidend ist das Grundsetting an Werten. Die Werte, auf die man sich bisher verlassen konnte, müssen wenigstens im Innenkreis weiter verlässlich bleiben, auch wenn sie von außen infrage gestellt werden. Das ist vielen Gruppen und Einrichtungen in den 12 Jahren der Diktatur des Nationalsozialismus gelungen. Die meisten dieser Verbände und Einrichtungen bestehen heute noch und haben überhaupt das Fundament bereitgestellt, auf dem die Bundesrepublik neu aufgebaut werden konnte. Diese Werte können auf den langen Strecken des Alltags verloren gehen. Sie gehen bis zu den Karolingern zurück. Die Franken hatten zwar damals die militärische Überlegenheit, aber es war die Kulturpolitik und eine groß angelegte Bildungsinitiative, verbunden mit der Entwicklung eines Rechtssystems, die dem fränkischen Reich Dauer verlieh. Wir sehen gerade, wie die Führungsmacht des Westens sich abschottet und bereits einen Werte zerstörenden Wahlkampf hinter sich hat. Europa kann nicht weiter Anhängsel der USA bleiben. Es ist auf jeden Fall nicht die Zeit, die Reformschraube noch eine Windung weiter zu drehen. Dem Fortschritt darf keine falschen Opfer mehr gebracht werden.

Wir kommen mit dem Wertesystem Europas auf das Christentum zurück. Finden die Christen auf die bedrängenden Fragen der Gegenwart eine Antwort? Die Lösung des Islam überzeugt Europa nicht. Deshalb müssen die Christen den religionsentwöhnten Zeitgenossen eine Antwort geben. Das Jahr 2017 bietet mit dem Rückblick auf 500 Jahre genug Raum, sich neu auf die Bibel zu konzentrieren und dann den Blick nach vorne zu richten.

Es geht nicht zuletzt um das Gottesbild:

Gott greift nicht korrigierend in die Geschichte ein. Er hat dem Menschen mit der Freiheit auch die Verantwortung für das Zusammenleben gegeben. Von Gott zu erwarten, er solle die Folgen der üblen Taten des Menschen immer wieder auffangen, hätte nur noch größere Auswüchse zur Folge. Wir hätten nicht nur im Jemen, um Mossul und Aleppo, sondern um weitere 50 Gebiete Kriege. Der Menschheit bleibt nur die Alternative, erwachsen zu werden. Denn der Mensch muss, da mit Freiheit und Verantwortung begabt, sich selbst eine Rechtsordnung schaffen. Europa hat gezeigt, dass das möglich ist. Als Christen müssen wir nicht mehr den rächenden Gott herbeirufen oder sogar die Anerkennung seiner Gesetze durch Anschläge erzwingen. Gott, wie er uns an Weihnachten entgegenkommt, ist ja selbst gegenüber der Gewalt ohnmächtig – aber nicht untätig. Gott geht neue Wege, das Leid und auch die Gewalt zu überwinden - durch Sorge für die Schwachen, durch Heilung, durch Hingabe, durch Erlösung. Der Sieg des christlichen Märtyrers besteht nicht darin, dass er im Kampf fällt und andere mit in seinen Tod reißt, sondern dass er der Gewalt seelisch standhält und trotz Todesdrohung seine Werte nicht aufgibt.

Wenn Reformen, dann eine Konfliktkultur:

In jeder Gemeinschaft, Familie, in jedem Verband und jeder Institution keimt trotz einer Wertordnung der Keim der Zwietracht. Die Kompetenz, mit Konflikten nicht destruktiv umzugehen, sondern die Energien in neue Bahnen zu lenken, braucht die Gesellschaft dann, wenn sie die Schäden beseitigen muss, die der aufziehende Hurrikan erzeugen wird. Diese Konfliktkultur muss vorrangig die Social Media einbeziehen.

Eine neue Gesellschaftsidee

kann sich nicht weiter auf den technischen und medizinischen Fortschritt stützen. Auch das Mantra „Konsum“ führt nicht zu den Werthaltungen, die wir zur Meisterung der kommenden Stürme brauchen. Es geht um den Stellenwert der Kultur, der über den notwendigen Fortschritt entscheidet. Wenn die Christen sich daran beteiligen, so wie es bis zum Barock der Fall war, gewinnt auch die Religion einen anderen Platz.



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