Religion: nur Leer-Raum? Foto: explizit.net E.B.

Wie die Theologie vom Sloter-Deich geweht wird

Hans Küng hat keinen Nachfolger gefunden, der theologische Bestseller schreibt. Er konnte über die Fachkreise hinaus den Zeitgenossen das Christentum erklären. Der gegenwärtigen Theologie ist der Gestaltungswille für das Gespräch mit der Gesellschaft abhanden gekommen. Peter Sloterdijk füllt die Lücke mit frischem Wind, der die Religion gleich wegbläst.

In die Lücke, die die deutsche Theologie immer weiter offengelassen hat, ist Peter Sloterdijk gesprungen. Seein Buch über Theoposie ist zum Bestseller geworden. Überschwängliche Beurteilungen lassen sich vom Sprachwitz und den überraschenden Formulierungen des Autors durch den Garten des Religiösen führen. Theopoesie wird allerdings von Sloterdijk weniger als Darstellung des Religiösen verstanden, sondern als menschliche Einhüllung von etwas, das innen leer ist. Das geht, wenn man Religion an Buddha, Platon und Jesus vorbei erklärt, wenn weder Dante noch Bach erwähnt, Notre Dame, die Moscheen nicht in ihrer Bauidee erklärt werden und an den Erzählungen von Sokrates oder Abraham vorbeigegangen wird. Da lässt sich Religion tatsächlich mit 325 Seiten einfach wegblasen.

Die Katholische Kirche selbst baut Theologie ab

Geblasen haben auch die deutschen Bischöfe und, ohne dass man von den Lehrstuhlinhabern etwas hört, etwa die Hälfte der katholischen Fakultäten in die Auflösung gepustet. Grund ist vor allem der fehlende Nachwuchs für das Priesteramt. Die Verpflichtung der Länder, Theologische Fakultäten zu finanzieren, wird in den Verträgen mit dem Vatikan meist durch die Priesterausbildung begründet. Zwar sind schon länger Frauen und Männer auf dem Weg zu einem Master in Theologie, aber auch hier werden die Zahlen geringer, so dass die Universitäten Lehrstühle für Studiengänge umwidmen wollen, die mehr nachgefragt sind. Das Ganze geschieht lautlos und erzeugt keine Debatte über den Stellenwert und die aktuellen Aufgaben der Theologie. Selbst für einen Sturm der Entrüstung fehlte offensichtlich der Atem.

Die Theologie bestimmt nicht mehr, was unter Religion zu verstehen ist

Dass Sloterdijks in "Den Himmel zum Sprechen bringen" nur die abstrusen Formen der Religion zu einem Bestseller verarbeiten konnte, stellt in seiner Oberflächlichkeit Karl Barth und Karl Rahners nicht infrage, zeigt jedoch, dass die gegenwärtige Theologie als Wissenschaft den Bezug zur Gesellschaft und vor allem zur nachwachsenden Generation verloren hat. Irgendwie dringt nicht mehr nach Außen, um was die „Bekenner“, also die Professoren ringen, die sich nach Wikipedia von ihrem Selbstverständnis „öffentlich als Lehrer zu erkennen geben“. Jeder kann sich durch Lektüre überzeugen, dass die Beschreibung der religiösen Phänomene in „Den Himmel zum Sprechen bringen“ wenig mit dem zu tun hat, was in den theologischen Büchern steht. Aber diese sind für den Innenkreis der Wissenden geschrieben, mit möglichst vielen Anmerkungen für den Nicht-Fachmann kaum zu lesen. Auch deshalb bestimmen sie nicht das Bild, das sich die Gesellschaft von Religion macht. Der Verzicht auf öffentliche Präsenz macht gerade die Fakultät überflüssig, die Ursprungsort der mittelalterlichen Universitäten war. Ehe in Erfurt, Bamberg, Regensburg, Passau, Augsburg eine Universität gegründet wurde, gab es dort eine theologische Hochschule, in der auch jeweils Philosophie gelehrt wurde.   

Die Theologie ist durch die Verwaltung abgelöst worden

Nachdem der Herderverlag das erarbeitete Wissen in Lexika und Handbüchern abgelegt hat, verlor die Theologie für die nachwachsenden Generationen ihren Reiz. Zudem wandte sich der akademische Nachwuchs der Betriebswirtschaftslehre und Jurisprudenz zu, beide vermitteln Verfahren, um das Bestehenden zu verwalten. Deren Absolventen bestimmen inzwischen auch die Diözesen – über deren immer größer gewordenen Verwaltungen. Da inzwischen nicht Freude an Büchern, Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, die daraus erwachsene Inspirationen, sondern die Kontrolle über die Verwendung der Kirchensteuer Einzug gehalten hat, kommen diesen Verwaltungen die von der Kirche selbst finanzierten Hochschulen zu teuer. Der Staat verlangt die Freigabe von Professorenstellen für andere Fächer. Damit gehen auch staatlich finanzierte theologischen Lernorte verloren.  
Wenn die Theologieprofessoren nur noch bis zur Abnahme der Masterprüfung Einfluss ausüben, aber nicht mehr das kirchliche Handeln inspirieren und gestalten wollen, kann man Religion tatsächlich nur verwalten. Denn wie soll eine Verwaltung an die Ideen kommen, die außerhalb ihrer Verwaltungsvorgänge noch wirksam werden könnten. Sie kann nur das ordnen, was andere machen und dazu übergehen, zu entscheiden, was nicht mehr gemacht werden darf.

Theologie hat als Wissenschaft allein kaum kirchliche Relevanz

Theologie ist kein bloß historisches Fach, sondern bereitet auf eine berufliche Tätigkeit vor. Eine theologische Fakultät betreibt jedoch keinen Praxisort wie die Medizinische eine Klinik. Das ist bei den von Diözesen und Orden getragenen Hochschulen anders. Jedoch eine so enge Wechselbeziehung wie zwischen Klinik und Lehrbetrieb wird auch von diesen Hochschulen nicht praktiziert.
Ein solches Konzept hatte Ignatius v. Loyola für die vom Jesuitenorden betriebenen Schulen und Hochschulen. Man kann diese ehemaligen Kollegien in vielen Städten besichtigen, eine repräsentative Kirche mit einem Seelsorgsangebot gehörte immer dazu
Es geht um Gestaltung der kirchlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit heute. Der Vergleich zur Ausbildung von Juristen zeigt das unmittelbar. Eine juristische Fakultät würde zu einem Orchideenfach, wenn es keine Gerichte mehr gäbe, Orte, an denen juristische Kompetenz Wirklichkeit gestaltet.
Da die Theolog:innen die Deutungshoheit über die bischöflichen Verwaltungen aufgegeben haben, wird das kirchliche Leben nicht mehr zuerst von den Ideen her organsiert, sondern über Planstellen und die Steuerung von Geldflüssen.  

Nur noch ein leerer Kern der Religion?

Die Leere, die Sloterdijk als den Restbestand von Religion feststellt, nachdem ihr sowohl die Legitimation politischer Macht genommen wurde und die Naturwissenschaften die Deutung des Kosmos und seiner Lebewesen übernommen haben, trifft nicht das Lehrangebot der Theologie, aber ihren Stellenwert. Offensichtlich findet die Theologie ihre Themen im heutigen gesellschaftlichen Kontext nicht wieder. Sloterdijk versteht nun Theopoesie nicht als Darstellung des Göttlichen, sondern dass alles Göttliche nur Menschenwerk war. Wenn man die nicht-religiösen Verkleidungen, die Legitimation „von Gottes Gnaden“ und die Deutung der Welt als Schöpfung Gottes von der Religion ablöst, bleibt dann für diesen Autor nichts mehr übrig. Überraschend ist, welches Lob das Buch gerade von Theologen erfährt. Haben sie die Darstellung ihres Berufsfeldes nicht gründlich gelesen. Der Autor definiert oder beschreibt nämlich nicht, was er mit dem Begriff „Religion“ bezeichnet, sondern lässt nur in Nebenbemerkungen kurz aufblitzen, was er von dem Thema seines Buches hält. Sloterdijks Griff ins Leere kann jedoch sehr gut von der Theologie aufgegriffen und mit Inhalt gefüllt werden.

Theologie, die einmal Kunst inspirieren konnte

Der Gegenentwurf der Theologie zu Sloterdijks Verständnis von Theopoesis könnte auf die früher selbstverständliche Wechselbeziehung von Religion und Kunst zurückgreifen, um so eine wirkliche Theo-Poesie nicht nur zu schreiben, sondern inspirieren. Denn bis in den Barock hat sich der Kirchbau an den alttestamentlichen Berichten vom Tempelbau und der Schilderung des Neuen Jerusalem am Ende der Offenbarung des Johannes orientiert. Die erste gotische Kirche in Saint Denis wurde von den Ausführungen des Theologen Hugo v. Sankt Victor über die Arche Noah inspiriert. Theologen dichtete Hymnen, Buchmalerei war eine Weise der Bibelauslegung, zur theologischen Ausbildung gehörten die Ausübung von Musikinstrumenten sowie Theaterauftritte. Als Medium der Theologie sind die Fachzeitschrift und das Buch übriggeblieben, jeweils mit möglichst großem Anmerkungsteil.

Wer immer Theologie betreibt, sollte Sloterdijk lesen und sich fragen, wo die Theologie seit Küng im öffentlichen Raum einen Platz erkämpft hat. Dass ein Titel, der verspricht, „Den Himmel zum Sprechen (zu) bringen“ an Buddha, Platon und Jesus vorbei Deutungshoheit erlangen kann, macht der Theologie deutlich, was eintritt, wenn man sein eigenes Fach nicht vor der Gesellschaft vertritt. Von Sloterdijk und anderen könnten Theologen ablesen, dass man fernsehtauglich reden muss. Bei Sternstunde Philosophie kann man abschauen, wie freie Rede im Wechselspiel mit kompetenten Moderatore:innen Zuschauer 59 Minuten am Bildschirm hält.

Theologie, nicht Verwaltung zeigt der Kirche den Weg in die Zukunft

Da die Bischöfe die Letztverantwortung für die Theologie haben, sollten sie gut überlegen, was sie mit ihrer Kirche machen, wenn sie deren theologische Fakultäten „einsparen“. Die „Farbwerke Höchst“ sind deshalb vom Markt verschwunden, weil der Vorstand die Forschungsgelder, z.B. für die Bering-Werke, stark gekürzt hatte. Diese waren einmal Weltmarktführer bei Impfstoffen.    

© Eckhard Bieger S.J.  Mai 2021

Warum die Zahl der Studierenden im Fach Theologie rückläufig ist, obwohl immer mehr Abiturienten zur Universität drängen, ist hier untersucht: Theologie vermittelt keine Handlungskompetenz

Zur Buchkritik von Sloterdijks „Den Himmel zum Sprechen bringen“


Kategorie: Kirche

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