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Wider die Scheinheiligkeit

Wenige Dinge sind dem Menschen so verhasst wie Scheinheiligkeit. Doch wer fällt nicht ab und zu selbst in diese Gefahr? Jesus zeigt, was die Scheinheiligkeit ausmacht und welches Heilmittel dagegen hilft.

Scheinheiligkeit – nach außen etwas vorgeben, was nicht mit der inneren Wirklichkeit übereinstimmt. Fromm aussehen, aber nicht fromm sein. Sie ist wie die Fassade eines Westernfilmes. Es sind gar keine echten Häuser, sondern nur Kulissen. Doch das betrifft mich nicht oder? Frauen sind gerne in der Gefahr, etwas vorzugeben, was sie nicht sind. Das morgendliche Make up kaschiert die nicht gemochten Makel im Gesicht. Im Wettbewerb um das attraktive Aussehen helfen auch diverse Markenklamotten und -taschen. Doch diese Gefahr betrifft auch Männer: Schnell ist das Auto eine Nummer größer als der Geldbeutel, das Smartphone am allerneusten, obwohl das alte nicht veraltet ist, nur um hip zu sein. Doch diese Bereiche, wo Fassade und das dahinter auseinander driften, sind noch recht harmlos. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube sind die big player – Selbstbewusstsein wird hier in Likes und Retweets gemessen. Eine Bilderflut des übergreifenden Narzissmus überschwemmt die Netzwerke. Eine wahre Epidemie. Doch Likes sind nur äußerlich. Wie es innen aussehen mag?

Es ist schwer, gerade für junge Menschen, diesem Strom, diesem Sog standzuhalten. Es ist viel einfacher, etwas vorzugeben, was man nicht ist, und dafür soziale Anerkennung zu bekommen, als in Stille und Verborgenheit das darzustellen, was man wirklich ist. Viele Sternchen der sozialen Netzwerke haben steile Karrieren nach oben gemacht und fielen dann tiefer, als sie angefangen haben. Ja sie vielen tiefer, als sie sich denken konnten. Warum? Weil die äußere Beliebtheit manchmal sehr schnell steigt. Damit steigt aber auch der unkontrollierte Narzissmus. Je mehr Likes, desto höher der Selbstwert. Dann kommt der Schock: Die Likes stagnieren erst, dann sinken sie. Es geht bergab. Wie der Selbstwert auf eine Blase hin groß wurde, so sinkt er luftlos in sich zusammen. Die Sternchen haben viel Geld damit verdient. Aber nun geben sie noch mehr Geld aus, um ihren Status zu halten und zurück zu erobern. Es ist der verzweifelte Versuch, sich mit Geld Selbstwert zu erkaufen. Doch so wenig man sich echte Liebe erkaufen kann, so wenig kann man sich auch echten Selbstwert erkaufen.

Die Bibel hat ein erstes Grundwort für das Problem der Scheinheiligkeit: sich in Acht nehmen, sich hüten. Der Mensch hütet meist andere Dinge: Schafe oder Rinder. Er nimmt sich auch eher vor wilden Tieren in Acht. Doch die Heilige Schrift fügt eine Dimension hinzu: Der Mensch, der sich selbst hütet und sich selbst in Acht nimmt. Es liegt eine große Würde im Menschen, dass er sich selbst hüten kann. Seine innere Freiheit hängt daran. Weil er frei ist, kann er das Verhältnis von Fassade und dem dahinter bestimmen. Er kann selbst entscheiden, ob außen und innen übereinstimmen oder auseinander gehen.
Dabei gibt es eine uralte Erfahrung: Es ist schwer, sich selbst zu hüten, und einfach, sich gehen zu lassen. Es kostet mehr Mühe, ein Schaf einzufangen, als es ziehen zu lassen, und es kostet Kraft, ein wildes Tier in die Flucht zu schlagen. Der Menschen selbst ist ja oft so ein Schaf, das ausbüchsen will, und ein wildes Tier, das schwer zu zähmen ist.

Jesus begegnete auch diesem Problem. Da waren die Schriftgelehrten. Für sie war das Leben eine Modenschau. Sie sonnten sich im Ruhm der Öffentlichkeit und wollten immer die VIP-Tickets haben. Vorneherum waren sie die angesehen Weltverbesserer und Spendensammler. Aber hintenherum waren sie skrupellos und horteten unrechtmäßiges Eigentum. Heute kennt man so etwas von den Panama Papers. Sie schienen in den Augen der Presse als weltoffene Menschenfreunde. Doch in Wahrheit waren ihre Worte hohles Gelaber.

Was dagegen tun? Jesus zeigt es seinen Jüngern, als er eine arme Witwe sieht. Sie spendet, was sie selbst zum Leben braucht. Es sieht wie eine harmlose Geste aus, doch es ist gar keine Geste, sondern ein Opfer. Und damit ist es sogar im Zentrum des Evangeliums.
Nach außen hin scheint das Opfer der Witwe nicht groß. Es sind ja nur zwei Groschen. Aber diese Groschen sind das nötigste, was sie hat. Es sind nicht die Überbleibsel am Ende des Monats oder Jahres. Bei ihrer Rechnung bleibt am Ende noch Monat übrig. Dieses Maß nimmt Jesus und setzt es für den Christen fest. Wie viele Christen gibt es, die bloß von ihrem Überfluss geben? Sie schnallen sich nicht den Gürtel enger. Und sie sind stolz darauf, dass sie eine Spendenquittung erhalten. Sie sind der Prototyp des Scheinheiligen. Denn sie schauen nur auf das Äußere, auf die Beträge. Aber sie sehen nicht das Innere. Innen war die Spende, der Almosen vergeblich. Es hat sich für den Spender nichts geändert. Es tut ihm nicht weh. Oder in den Augen Jesu: Es war gar kein Opfer. Ein Opfer, das keine Wunde hinzufügt, hier: im Geldbeutel, ist gar kein Opfer. Es bleibt für die Lebensführung, für die eigene Existenz bedeutungslos. Das Außen verändert das Innen nicht.
Das wahre Opfer, das weh tut, mag klein aussehen, aber nach innen ist es groß. Denn hier verändert es das Außen. Es prägt die Existenz, es schlägt eine Wunde in das Leben. Das Leben bekommt von hier aus Form. Nur das schmerzhafte Opfer verleiht der Existenz eine echte Bedeutung. Eine in Aspirin getränkte Existenz kann damit nichts anfangen. Sie stumpft ab gegen die Bedeutsamkeiten des Lebens. Sie verwechselt Opfer mit Geste.

Das ist also das Heilmittel gegen Scheinheiligkeit: das Opfer. Vielleicht das einzige Wort, was dem deutschen Christen noch mehr verhasst ist, als das Wort von der Sünde. – Die Amtskirche hat sich weitgehend dafür entschieden, in langen Gewändern umher zu gehen, auf den Plätzen gegrüßt zu werden, die vordersten Sitze zu bekleiden und lange Gebetsmühlen aufzusagen. Sie will Kirche in den Medien sein und auf allen Kanälen evangelisieren. Sie macht bunte, hippe Werbung, betreibt pressewirksame Emissionsausgleiche, auch politisch korrekter Ablasshandel genannt, bastelt an der Liturgie herum und versucht sich im Kulturbetrieb. Kurz: Sie arbeitet an ihrer Fassade. Sie bietet wirkungslose Gesten an.
Es heißt gerne, wenn die Kirche überleben wolle, müsse sie sich der Moderne anpassen. Das Ergebnis: Je mehr Moderne, desto scheinheiliger. Was sagt die Erfahrung dazu? Wie die Sternchen durch ihre Fassade nach oben kommen und schnell wieder fallen, so ist es auch mit der Moderne. Mit der Fassade vergeht der Selbstwert. Und so wie die Moderne vergeht, vergeht auch die Kirche mit ihr. Außer sie benutzt das Heilmittel Jesu: das Opfer. Und das bedeutet: Bußgewänder statt Ornat, Verborgenheit statt Öffentlichkeit, Holzklasse statt VIP-Ticket, Schweigen statt Phrasendrescherei. Was für die Kirche im Großen gilt, gilt um sehr für den kleinen Christen. Mein Bußgewand, meine Verborgenheit, mein Flixbus, meine Stille, mein Opfer.

Zum Evangelium über die Witwe



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