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Weshalb kritische Öffentlichkeiten für die kath. Kirche in Deutschland ein Gewinn sind.

Kritische Öffentlichkeiten sind in ihrer demokratisch-pluralistische Form westlicher Staaten-Gemeinschaften Realität und Folge eines langen Weges, der mit den Erkenntnisgewinnen der Naturwissenschaften in der Neuzeit begann und sich über, die philosophische Beachtung des Subjekts und das damit wachsende Selbstbewusstsein des Einzelnen, bis heute fortsetzte. Ein langer Weg, aber heute hat jeder die Freiheit der Wahl!

Eingang gefunden hat der wachsende Anteils der Vernunft an Motiven und Handlungen durch die Aufklärung und der gesellschaftlichen Entwicklungen seit der französischen Revolution, der Säkularisierung und Aufgabenteilung zwischen Staat und Kirche in allen Politikfeldern, bis hin zu aktuellen gesellschaftlich relevanten Bedürfnissen nach noch mehr Individualität und Verwirklichung unterschiedlicher Lebensentwürfe

Die gewählte Exekutive muss ihre Vorhaben gut begründen, muss diese vertreten und einen Konflikt mit geltenden Gesetzen vermeiden. Die Legislative wacht darüber. Vergessen wir nicht die Bedeutung der Medien, die Fehlverhalten an die Öffentlichkeit „zerren“. Gelten solche Bedingungen auch für die Katholische. Kirche? Wie wird sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Zugewinne des Islam, Reformation, Säkularisierung haben die auf den Papst zugeschnittene „top down“ Organisation der Kirche bisher nicht wirklich erschüttert und wurden mit Argumenten ewiger Wahrheiten verteidigt. Bestenfalls gab es zögerlich, im Wesentlichen aber durch die Folgen der Säkularisierung erzwungene
Anpassungen. In den Augen der Öffentlichkeit wird die Katholische Kirche als nicht reformfähig und von Skandalen erschüttert gesehen – Viele haben sich abgewandt.

Kann man die Frage, ob kritische Öffentlichkeiten für die Kirche ein Gewinn sein können also ernst nehmen?
Die Kirche behauptet das und verweist auf die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches 1965 mit dem Anspruch Antworten, auf die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zu finden, weitgehende Öffnungen nach innen und außen beschlossen hat.
Die Begründungen für Öffnungen gegenüber der nicht-katholischen Welt, die Bereitschaft zum Dialog anstatt Beharren auf dem exklusiven Wahrheitsanspruch der christlichen Religion klingen nachvollziehbar und plausibel.
Wird so die Katholische Kirche zum Vorreiter des interreligiösen Dialogs? Ja, die Chance besteht!

Die Kirche weist zu Recht darauf hin, dass alle Menschen aufgrund der Schöpfung gleiche Voraussetzungen für ihre Existenz vorgefunden haben, dass darüber hinaus die Menschheit zum gemeinsamen Handeln zur Rettung ihrer Lebensbedingungen gezwungen ist.
Außerdem haben alle Religionen ähnliche Vorstellungen über Ethik, Moral und Sittlichkeit, wie des as 2. Vaticanum feststellt. Aber, kann die Katholische Kirche mit ihrer derzeitigen Organisation ihre selbst definierten, eigenen Ansprüche auch umsetzen? Wie ist dann das Verhältnis Weltkirche zu Kirche in den Kontinenten und Ländern und deren unterschiedliche Bedingungen und Bedürfnisse zu denken? Die Umsetzung der eigenen Ansprüche droht am Festhalten der „top down“ Organisation zu scheitern.
Wir haben die Folgen eines solchen Beharrungsvermögens bereits bei ehemals als staatlich gelenkten Betrieben wie Deutsche Bahn; Deutsche Post; Deutsche Telekom gesehen. Die schmerzhaften Anpassungen, die dazu geführt haben, dass aus politisch motivierten Handlungsmustern wirtschaftlich erfolgreiche und blühende Unternehmen wurden, bei denen die Bedürfnisse des Kunden und das Bestehen im Wettbewerb im Mittelpunkt stehen, legen Zeugnis von dieser erfolgreichen Rosskur ab.  Klar, die Religion und die Verkündigung der christlichen Botschaft kann nicht nur aus der Marktperspektive gesehen werden, aber die Beschlüsse des Zweiten  Vaticanums deuten auf die Bereitschaft zum Zuhören, zum Dialog, zur Lernbereitschaft hin. Das Hinhören auf die Bedürfnisse der Kunden, in diesem Fall der Gemeindeglieder, der Priester, der Ortskirche deckt sich sowohl mit den Erfahrungen der ehemaligen Staatsbetriebe wie auch den Beschlüssen des Zweiten Vaticanums. Diese müssen aber umgesetzt werden! Dass es dabei in der Organisation der katholischen Kirche „Lord-Siegelbewahrer“ gibt, ist selbstredend, aber es ist die Aufgabe des Managements, Blockaden oder auch nur Verzögerungen im Interesse des Gesamtsystems zu brechen bzw. zu verhindern.

Das Festhalten an einer „top down“ Organisation gleicht der Planwirtschaft. Das Wechselspiel zwischen „top down“, der Weltkirche, die zentrale Ziele setzt, und dem „bottom up“ erfordert, dass die Gläubigen, die Priester, die Ortkirchen, welche Strategien zur Umsetzung erdenken, gehört werden und bei der gemeinsam beschlossenen Umsetzung selbstständig handlungsfähig bleiben. Das ist eine unerlässliche Voraussetzung für erfolgreiches und nachhaltiges Handeln.

Nicht nur der Vatikan, sondern auch die Bischöfe, müssen sich dem „bottom up“ öffnen:
Da die unabhängigen, katholischen Medien faktisch verschwunden sind und die restliche Kirchenpresse durch die Einnahmen aus der Kirchensteuer finanziert werden müssen, stehen die Chancen für ein gesundes Wechselspiel zwischen Oben und Unten schlecht. Denn in den von Bistumsgeldern finanzierten Medien wird kaum ein Strom von unten nach oben erzeugt.
Wenn es aber z.B. über den Synodalen Weg gelingt, eine kritische Öffentlichkeit wieder für die Kirche zu interessieren, diese durch eine offene und vorurteilsfreie Diskussion über kritische Themen wie Zölibat und Sexualität, Beteiligung von Frauen zu beteiligen und die Meinungsbildung dann auch zu Veränderungen führen, dann kann Kirche nicht nur Mitglieder halten, sondern Neue gewinnen.
Das Evangelium bleibt eine „ewige“ Wahrheit, die Verkündung des Evangeliums eine Pflicht für uns Christen, aber, wenn der Anspruch Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zu finden, dann führt an der Generierung einer kritischen Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft kein Weg vorbei.

Hansjoergen Kuhn


Kategorie: Kirche

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