Stefan Hippler ging nach Südafrika als Seelsorger für die Deutschen dort. Inzwischen hat er eine Aidshilfe abgebaut. Wir haben ihn gefragt, wie zu diesem Engagement gekommen ist. In zwei Beiträgen hat er die Situation beschrieben. 00 Neuinfektionen pro Tag
Die erste Reaktion auf die Frage und die Option für den kranken Menschen
Am besten die Sache dezent, still und heimlich behandeln – dann kommt man auch nicht in Konflikt mit kirchlichen Morallehren und höheren Autoritäten. Man kann auch an andere verweisen – ganz beliebt in kirchlichen Kreisen hier in Südafrika – bei bestimmten Themen verlässt man mal kurz den Raum oder überlässt generell die „schwierigen Themen“ anderen: Sozialarbeiter, Gemeindehelfer, Ärzte.
In einem Land, wo jeder Zehnte HIV positive ist kann ein Pfarrer, auch ein Pfarrer einer Auslandsgemeinde, nicht einfach daran vorbeischauen, es ignorieren. In einer Stadt wie Kapstadt, die das San Francisco Africas genannt wird und die eine starke schwule Komponente aufweist, wäre es pure Ignoranz, dem Thema entkommen zu wollen.
Für mich war das nie eine Option – ich hatte auch nie Berührungsängste, weder mit dem Thema noch mit den Menschen, die mit diesem Syndrom leben müssen. Ein klinisches Wort, aber es umfasst so viel mehr als nur die medizinischen Dinge – es umfasst eine ganze Lebenswelt, alle Ängste, alle Sorgen, alle Diskriminierung, alle Stigmatisierung, alle Schmerzen...
Ecce homo – den Menschen sehen in seinem ganzen Elend, mit seinen ganzen Fragen, mit seinem ganzen Unverständnis, mit seiner ganzen Schuld, wenn es denn welche gibt.
Auch Deutsche stecken sich an
Aber Du kümmerst doch nur um die Deutschsprachigen, konnte man jetzt einwenden und richtig, das war bis 2009 meine Hauptaufgabe. Es klingt jetzt nach Zufall, aber Zufall ist was einem zufällt und etwas sagen will, meine erste HIV positive Begegnung in Kapstadt war mit einem jungen Deutschen, der sich infiziert hatte. Es war ganz am Anfang meiner Tätigkeit als Gemeindepfarrer und ich hatte noch keine Ahnung, dass dieses Thema einmal lebensbestimmend für mich sein sollte. Da war es: nicht schwarz, nicht Township, nicht südafrikanisch, sondern weiß und europäisch – der HI Virus ist kein Rassist, er hat auch keine Probleme mit Geschlechtern – er freundet sich mit jedem an, der oder die ihm die Chance dazu geben.
HIV und Homosexualität – ganz gefährliche Themen für einen Priester und es machte am Anfang irgendwie Angst – auch wenn ich nie nach Karriere geschaut habe in dieser Kirche. Man überwindet Angst nur, indem man durchs sprichwörtliche Feuer geht. Und nachdem ich die Ängste hinter mir gelassen hatte, indem ich wirklich nur den Menschen, sein Schicksal gesehen habe, ohne moralische Vorbehalte oder Urteile; ich denke dann war ich innerlich auch bereit, das anzugehen, was jetzt als HOPE Cape Town institutionalisierte Arbeit im HIV und AIDS Bereich bekannt ist.
Aids ist in Südafrika nicht zu „übersehen“
Ich habe in meiner Zeit in Kapstadt vieles erlebt und viele Erfahrungen gemacht – vom Squattercamp Bewohner, der elendig in seiner Hütte krepierte über Geschäftsleute aller Hautfarben bis hin zu Priestern und Ordensleuten, die sich infiziert haben. Und das scheint eine neue Feuerstelle der Angst für die Kirche zu sein. Ich habe in Rom über diese Frage mit dem Päpstlichen Rat für die Gesundheitssorge und Justitia Pax gesprochen, die beide offen für das Thema waren. Bei der afrikanischen Kirche ist da immer noch viel Widerstand zu spüren und bis jetzt ist es mir nicht gelungen, das doppelte Stigma eines Priesters, einer Ordensfrau, eines Ordensmannes in einen Segen zu verwandeln auf offiziellem kirchlichem Weg. Die Ängste sind da auf beiden Seiten: der Hierarchie, der das wohl eher peinlich ist und den Betroffenen, die eine panische Angst vor Vorgesetzten, Mitbrüdern oder – Schwestern oder Gemeinden haben. Da gibt es noch viel zu tun...
Das Virus
Aber eines ist sicher: HIV ist ein großer Lehrmeister, ob direkt oder indirekt davon berührt, es verändert Perspektiven, es fordert heraus, es lässt nicht mehr los – es stellt so vieles in Frage bis hin zur Frage, wie der „liebe Gott“ das zulassen kann – wenn er den „er“ und „lieb“ ist. Kann man das so fragen? Kann ich, wie ich es oft bei Besuchern höre, von „unschuldigen“ Kindern sprechen, die infiziert zur Welt kamen – im Gegensatz zu den Erwachsenen, die ja irgendwie „selber schuld“ sind – so wird impliziert?
Greift die Kategorie von Schuld und Sünde, wenn es um eine Infektion geht? Liebe den Sünder, aber nicht die Sünde – ein typisch katholischer Satz – ist der hier passend? Wie steht die Frage nach der Empfängnisverhütung und ‚Humanae Vitae“ zur völlig neuen Frage des Schutzes von Leben, gerade auch für die, die sich nicht mit allen Details kirchlicher Moralvorstellung anfreunden können, aber trotzdem glauben – oder auch nicht? Und für ein Land, in dem die traditionelle Vielehe und Sexualität vor der Heirat nach Zahlung des Brautpreises normal ist – was bedeutet das für die Verkündigung und die Entwicklung der Theologie?
Was macht ein Pfarrer, wenn er auf HIV oder AIDS stößt?
Jeder handhabt es verschieden, aber ich denke, egal wie man sich offiziell gibt, eines ist gleich bei allen, die sich dem Thema aussetzen: Es bleiben mehr Fragen als Antworten und es bleibt der nagende Zweifel, ob wir wirklich immer mit unserer Theologie und Verkündigung den Menschen in ihrer heutigen Situation helfen. Es bleibt der leise Zweifel, ob die unbedingte Liebe Gottes zu jedem Menschen immer durchscheint durch die Antworten, die die Kirche gibt. Und es bleibt das Gebet, flehend und ringend um die Gnade, im Moment der Begegnung mit HIV positiven Menschen die richtigen und lebenspendenden Worte zu finden.
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