(explizit.net) Große Gestalten sterben, verlassen die Bühne wie Gabriel García Márquez, der magische Realist und Freund von Fidel Castro, und man fragt sich, was bleibt in Erinnerung von diesen Menschen? Manche Lichtgestalt gehört zum Kulturgut, doch manchmal kennt man nur noch den Namen und weiß weder mehr von ihrem Leben noch welche Leistung dieser Mensch vollbracht hat. Und was ist mit den vielen anderen Menschen, deren Namen längst vergessen sind, die sogar zur Zeit ihres Erdendaseins niemand kannte oder kennen wollte?
Es mag ein Trost sein, an das große Buch zu glauben, in das jeder Mensch mit Namen geschrieben steht. Für manche mag es hilfreich sein, einen Gott anzunehmen, der jeden persönlich kennt. Doch wie stimmt man diesen Gott versöhnlich? Der weiß doch alles. Und in der Stunde des Todes oder wenn man in Melancholie versinkt und darüber nachsinnt, was ist, wenn ich nicht mehr bin? Dann helfen solche Krücken kaum. Womöglich machen sie sogar das Leben schwer, weil immer die Fragen im Raum stehen: Habe ich mich genug angestrengt? War ich ein guter Mensch? Und da müht sich der moderne Mensch, will etwas erreichen, will, wenn er schon nicht berühmt wird, wenigstens Erfolg im Beruf haben, um sich für die Qualen zu belohnen. Weil seine Kraft allein nicht reicht, nimmt er ein paar Drogen, nicht um sich in ein Paradies oder einen unendlichen Rausch zu beamen, die Drogen sollen ihm helfen, die volle Leistung zu bringen. Da wundern die neuen Zahlen über den Konsum von Chrystal Meth kaum. Das bisherige Bild eines Drogenabhängigen will zu dieser Droge nicht recht passen. Die leistungssteigernde Wirkung nutzen Schüler, Arbeiter, Mütter, normale Leute und machen damit den ersten Schritt in ihre rasche Vernichtung.
Erstmal setzen
Diese Aufgeregtheit über das Sein und das Bleiben ist wohl so alt, wie der Mensch denken kann. Es hilft kein Opium fürs Volk und keine Droge zur Leistungssteigerung, man fällt nur tiefer oder härter. Manch ein hochtrabendes Geschwätz stürzt erst recht in die Verzweiflung. Manch religiöses Angebot hat eine recht kurze Haltbarkeitsdauer, der neue spirituelle Trend wird vom neuesten wellnessreligiösen Eklektizismus überholt, bevor der Geist sich vorstellen konnte. Mancher McHeilsburger ist gegessen, bevor der Appetit da war. Und viele Gurus wurden als kognitiv insuffiziente Geschäftemacher oder zerebrale Nullnummern entlarvt. Entgegen jede Hektik sollte man sich erstmal setzen. Wenn sowieso nichts bleibt, ist es auch egal, ob man jetzt oder morgen vergessen ist.
Sitzen bleiben
Bleibt man sitzen und lässt sich nicht von der Hektik oder Aufgeregtheit irritieren, dann bleibt zwar anderen keine Erinnerung, man bleibt zunächst nur sich selber im Gedächtnis und merkt, was man im Laufe der Zeit vergessen hat. In dieser Selbstvergessenheit tut es schon gar nicht mehr so weh, wenn man zum Schluss kommt, dass nichts bleibt. Und wenn ich mich dann ganz und gar vergessen habe, was denke und fühle ich dann? Frage ich mich dann noch, was bleibt? Oder habe ich schon die Frage vergessen?
Aufstehen
Eine kleine Unruhe erfasst das Gemüt, dableiben möchte man nicht. Also steht man auf und geht ein paar Schritte. Schaut sich um, ob man etwas hat liegen lassen und dann merkt man, was man gerade gemacht hat. Erst philosophiert man darüber, ob etwas bleibt, dann schaut man sich um und möchte, dass nichts geblieben ist an dem Ort, von dem man gerade aufgestanden ist. Froh ist man, dass noch alles da und dran ist, dass nichts zurückgeblieben ist, dass man ganz ist und dass nichts geblieben ist. Wie verrückt? Und ein Gelächter ergreift den nachdenklichen Geist, bemächtigt sich des Körpers und es dämmert. Da war doch mal was, da gab es dieses Ostergelächter, risus paschalis. Das ist es wohl. Die Frage, ob etwas bleibt, findet ihre Antwort. Mit einem Lächeln im Gesicht zieht man seines Weges, begegnet anderen Suchenden, die lächeln zurück und ob etwas bleibt oder nicht, was interessiert das noch? Das Lachen hat mich auferweckt.
<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>
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