Das Reformationsjubiläum hat bei Katholiken u.a. die Erwartung geweckt, Perspektivisches zu erfahren, Impulse zu spüren, nicht bei der Ablehnung Luthers stehen zu bleiben. Wenn er schon so wirksam war, warum nicht heute. Nachfragen bei Protestanten ergaben nicht selten ein Abwinken. "Es reicht mit Luther." Aber kann man allein schon aus kulturellem Selbstverständnis diese Gestalt übergehen? Er gehört zur deutschen Geschichte. Sie wäre anders ohne ihn verlaufen, so dass er wie Karl d.Gr., der Dichter des Nibelungenliedes, Kant oder Bismarck bis heute wirksam ist. Außerdem gehört er wie Albertus Magnus, Schleiermacher, Karl Barth, Karl Rahner u.a. zu denen aus dem deutschen Sprachraum, die Theologiegeschichte geschrieben haben. Blickt man erst einmal auf die öffentliche Inszenierung des Gedenkens, so sind es zumindest drei Gründe, die zu der schwachen Resonanz führten: Die Sprache der aktuellen Dokumente ist zu bieder, das Drehbuch ist ohne Plot und theologisch sind die Texte zwar protestantisch, aber nicht "evangelisch". Als Bezugspunkt wird ein Dokument aus dem Jahre 2014 gewählt.
Erlahmte Sprache
Die Evangelische Kirche Deutschlands, die EKD, hat 2014 ein Dokument veröffentlicht, das die zentrale Frage der Reformation zur Darstellung bringen soll. "Rechtfertigung und Freiheit" nimmt das Thema auf, das in den 95 Thesen steckt, die Luther nicht nur an die Kirchentür von Wittenberg annageln ließ, sondern auf Flugblättern in deutscher Sprache vor allem den lesekundigen Bürgern der Städte zugänglich gemacht hat. Es sind etwa 35 DINA4-Seiten, die das Thema "Rechtfertigung" darstellen. Das Papier ist historisch ausgerichtet, ohne dass die Gegensätze, die damals aufeinander prallten, noch irgendein Beben zurücklassen. Der Text ist in dem heute üblichen Universitätsjargon verfasst, der allenfalls einen gleichförmig dahin fließenden Wortstrom erzeugt, für die Vorbereitung einer Prüfung dienen, aber keine Funken schlagen kann. Eine Zuspitzung wird mit einem im 19. Jahrhundert entwickelten Sprachmuster versucht, "solus" allein. Es muss auch 2014 ein lateinisches Wort sein: Allein der Glaube, nicht noch Werke, allein die Gnade und keine mit der Taufe vorgebende Eingliederung in die Kirche, nur Jesus und keine Heiligen, um zum Heil zu kommen, allein die Bibel und kein kirchliches Lehramt. Das liest sich plausibel, aber was bewegt es heute, nachdem die Achtundsechziger mit diesen Größen noch radikaler als die Reformation Schluss gemacht haben.
27 Millionen Euro brauchen ein Drehbuch
Die Kosten für den Kirchentag wie auch das große Engagement vieler Menschen haben als Ergebnis in der Berichterstattung: Weniger Teilnehmer als erwartet, sowohl in Berlin wie bei dem Gottesdienst in Wittenberg. Die Berichterstattung war entsprechend. Wenn man den Medien keinen interessanten Inhalt bietet, dann suchen sie sich eben selbst die Inhalte, immer mit der Frage: was ist herausgekommen, das berichtenswert ist. Nun sind 27 Millionen Euro kein zu großes Budget. Ein Hollywood-Blockbuster käme damit nicht hin, da wären schon 100.000 notwendig. Aber auch 27 Millionen brauchen eine gute Inszenierung. Die gibt es nicht ohne Konzept. Wer als Fernsehredakteur die 35 Seiten "Rechtfertigung und Freiheit" gelesen hat, findet da keine Idee für einen Plot. Mehr Mut, eben der Mut Luthers wäre notwendig gewesen. Eine Rede Luthers an die heutige Christenheit hätte, wenn sie überraschend gekommen wäre, den Weg in die Nachrichtensendungen wie auf die Titelseiten der Zeitungen gefunden. Margot Käßmann allerdings, als Neuausgabe des sprachgewaltigen Luthers vorgesehen, stehen als seiner Botschafterin nur der Mainstream feministisch geprägter Diskurse zur Verfügung. Ihre Auftritte wurden wohl in irgendwelche kleine Hallen verlegt, wo dann auch keine Kamera hingeschickt wurde, weil diese, da nur in begrenzter Zahl verfügbar, bei den Veranstaltungen mit Politikern zum Einsatz kamen.
Die religiöse Intuition bloß des 16. Jahrhunderts
Noch einmal zu "Rechtfertigung und Freiheit": Nimmt das Dokument die Methode, also die Wegfindung Luthers auf? Das hieße, neu in die Bibel zu schauen und das mit den Fragen heute. An Luther überzeugt doch das Existenzielle. Er hat in einem alten Text Antwort auf die Frage seiner Zeit gefunden. Seine Zeit war von der Angst besetzt, dem Anspruch Gottes nicht genügen zu können und beim Endgericht der Strafe zu verfallen. Luther hat in Paulus die gleiche existenzielle Not gefunden, nämlich mit allem Eifer der Gesetzeserfüllung das Wohlwollen Gottes zu gewinnen. Paulus entdeckte im gekreuzigten Jesus den barmherzigen Gott. Deshalb ist auch in Luthers Theologie und Predigt das Kreuz von zentraler Bedeutung. Nun ist die existenzielle Ausgangslage 2017 eine andere als vor 500 Jahre. Wen jedoch die Bibel für jede Zeit eine Antwort bereithalten sollte, dann müsste Luther jeden ermutigen, mit seiner existentiellen Frage die Bibel in die Hand zu nehmen. In "Rechtfertigung und Freiheit" wird Luthers Theologie nur im Kontext seiner Epoche beschrieben und dabei werden die Spannungselemente glatt gebügelt. Hätte man Luthers existenzielle Frage zum Motor gemacht, wäre man für den Kirchentag auch auf neue Ideen gekommen
In einem nächsten Beitrag ist zu zeigen, wie Luther die neue Kultur der Druckschriften begriffen und gestaltet hat: Luther, das Mediengenie.
Ein Kommentar von Eckhard Bieger.
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