Foto: DPSG / Christian Schnaubelt

Warum Pfadfinder katholisch „geht“

Die Georgspfadfinder sind der katholische Jugendverband, der kaum von der Krise, in die sich diese Kirche in Deutschland gestürzt hat, beeinträchtigt wird. Sie binden Kinder und Jugendliche über Jahre, werden inzwischen auch von den Eltern geschätzt und machen sich keine Sorgen um die Zukunft. Das Tun und nicht nur das Nachdenken realisiert die Werte, denen sich die Mitglieder verpflichten.

Die Gruppenleiter und -Leiterinnen sind von dem Werte- und Handlungsgerüst ihres Verbandes überzeugt. Ich konnte das spüren und in Gesprächen bei meinem früheren "Stamm" erfahren. Stamm nennt sich die örtliche Gruppierung. Junge Erwachsene, in Schulungen auf ihre Leitungsaufgabe vorbereitet, vertrauen dem Konzept und werden von den Ehemaligen unterstützt. Diese bestätigen, dass man Entscheidendes für die Anforderungen des Lebens mitnimmt. Das spürte ich in der dichten Gesprächsatmosphäre des 1951 in Dorsten gegründeten Stammes, der den Namen der Pfarrpatronin, der hl. Agatha trägt. Ich war zum Ehemaligentreffen eingeladen. Die Nähe zum Ruhrgebiet und das Westfälische mischen sich hier in besonders geglückter Weise. Das spürt man sofort, wenn man die Wiese betritt, die mit Zelten und Bänken in die Pfadfinderwelt zurückkehren lässt. Auch tragen die aktuellen Mitglieder wie wir früher die „Kluft“, das beige Hemd mit dem Halstuch und der Lilie. Ich gehöre dazu. Die Distanz, die ich bei anderen, ähnlichen Veranstaltungen überwinden muss, gibt es hier nicht. Natürlich bleibt man bei denen hängen, mit denen man "auf Fahrt" war und sich wöchentlich getroffen hat. Aber die Grüppchen schließen sich nicht gegeneinander ab. Ob ich für das Essen anstehe oder auf einer Bank neben jemand zu sitzen komme, ich muss keinen Anlauf für das Gespräch nehmen. Das jetzige Leitungsteam musste sich nicht viel ausdenken, damit diese einmalige Atmosphäre sofort spürbar wird. Sie und ihre Vorgänger haben vorher Vieles richtig gemacht. Ich habe folgende Strategien und gute Gewohnheiten aus eigener Erfahrung wie aus Gesprächen in ihrer Langzeitwirkung ausmachen können. Mir ist auch endlich klar geworden, warum katholisch, das sonst nicht mehr so richtig funktionieren will, bei den Pfadfindern selbstverständlich gelebt wird.

ich verpflichte mich auf Werte

Das Design, Zelte, die Fahne, draußen auf einer Wiese und nicht in einem Saal, das machen die Pfadfinder so. In diesem Ambiente treffe ich auf Menschen, die bestimmte Werte teilen und erprobt haben. Jeder ist durch das Versprechen auf das gemeinsame Wertegerüst verbindlich in eine Gemeinschaft aufgenommen. Ich kann mich, auch nach bald 70 Jahren, auf dieses gemeinsame Fundament verlassen.

ich bin überall Pfadfinder

Meine Zugehörigkeit war nicht an eine örtliche Gruppe gebunden. Ich war während meiner aktiven Zeit an drei Orten Mitglied. Bei jedem Umzug fand ich problemlos Anschluss und gehörte dazu. Bei der zweiten Gruppe wurde ich sofort mit einer Leitungsaufgabe betraut.

resistent gegen den Zeitgeist

Die meisten katholischen Jugendverbände haben sich von den Ideen der Achtundsechziger durchdringen lassen. Der Zeitgeist blies damals in Richtung Politik. Es war ein ambitioniertes Projekt, nämlich mit dem enorm gewachsenen Wohlstand die Einkommensverhältnisse, die sexuellen Beziehungen und die Bildungswege so zu gestalten, dass ein befriedetes Zusammenleben und das Lebensglück jedes einzelnen gesichert sein würden. 50 Jahre später erscheint mir das als eine naive Utopie. Seit den siebziger Jahren sollte auch die Katholische Kirche auf diese Richtung umgepolt werden, die doch bis dahin nicht das Paradies auf Erden, sondern das Himmelreich anderswo versprochen hatte. Nicht mehr war die Katholische Soziallehre wie in den Jahren des Aufbaus der Bundesrepublik die Ideengeberin, sie sollte sich den Ideen aus der Gesellschaft öffnen. Waren vorher Mittelstandsförderung, Wohneigentum, Dynamische Rente aus dem Laienkatholizismus in die Politik geflossen, sollte ab jetzt die Politik die Katholische Kirche gestalten. Das alles mit einer neomarxistisch formulierten Religionskritik. Nach all den Erfahrungen mit Kulturkampf und Verfolgung im Nationalsozialismus mobilisierte diese Öffnung zum Politischen erhebliche Widerstandskräfte. Die Georgspfadfinder kamen, anders als der ND, damals Verband der Gymnasiasten und die KJG, die Pfarrjugend, in diesem Meinungskampf kaum vor. Offensichtlich gab es für die Pfadfinder keinen Grund, sich am Umbau der Kirche zu beteiligen. Sie mussten sich auch nicht dem Trend einseitig anpassen, ihr Wertesystem blieb stabil, die vorher schon praktizierte Eigenständigkeit sicherte den Fortbestand des Verbandes, ohne dass die Katholische Kirche umgestaltet werden musste, damit junge Menschen überhaupt noch ansprechbar wären.  

Pfadfinder brauchen die Kirche nicht als Garant für das eigene Bestehen

Die Eigenständigkeit der Pfadfinder konnte auch durch ein anderes Selbstverständnis ermöglicht werden. Mitglied in der KJG - Katholische Junge Gemeinde, ist man, weil man sich einer Gemeinde zugehörig fühlt. Auch der Verband der Gymnasiasten nennt sich "Katholische Studierende Jugend". Pfadfinder ist man um des Pfadfinder-Seins willen, das Katholische scheint problemlos "anschlussfähig" zu sein. Wie das Katholisch-Sein nicht dadurch interessanter wird, wenn man es problematisiert, haben die Pfadfinder das Pfadfindersein nicht dadurch interessant zu machen versucht, indem sie es problematisieren. Wahrscheinlich war es auch die Internationalität, die die Pfadfinder hinderte, die Fenster zu weit für den Zeitgeist zu öffnen.

nicht so „deutsch sein“

Als Pfadfinder ist man weltweit vernetzt, auch hier nicht über kirchliche, sondern durch die eigenen Treffen. Jamboree nennen die Pfadfinder ihre internationalen Treffen. Was die katholische Kirche erst seit 1984 mit den Weltjugendtagen begonnen hat, praktizieren die Pfadfinder schon seit 1920. Durch die Praxis der Zeltlager lassen sich auch solche Treffen viel leichter durchführen.

die Älteren fordern etwas von den Jüngeren

Ich war im Alter zwischen 17 und 20, als ich mit einem Gleichaltrigen für die Altersgruppen von der 5.- 8. Klasse die Leitung übernahm. Uns war mit der Übernahme der Aufgabe klar, dass wir von den Schülern etwas fordern sollten. Das war in der Familie anders. Meine jüngeren Geschwister waren auch in dieser Altersklasse. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, mit solchen Ansprüchen auf sie zuzukommen. Bei den Pfadfindern braucht es auch heute keine Begründung, warum etwas gefordert wird - und das nicht mit Worten, sondern mit Aufgaben. Die Moraltrommel wird nicht gerührt. Stafette heißt z.B., das Absolvieren von Aufgaben entlang eines Weges, auf dem man an verschiedenen Posten vorbeikommt. Zelt aufbauen, mit Stangen und Seilen einen Turm errichten, nach Karte einen Weg finden, selbst kochen, Pfeil und Bogen selber basteln. Neu entwickelt haben die Pfadfinder die Projektmethode, nicht nur für die Dinge, die die Gruppe braucht, sondern für andere.

für andere

Jeden Tag eine gute Tat! Über diesen Impuls haben sich damals Gymnasiasten aus dem Bund Neudeutschland oft lustig gemacht. Der Pfadfinder hilft einer alten Frau über die Straße. Diese wehrt sich dagegen, weil sie noch rüstig ist. Diese Karikatur von uns entsprach nicht den Aufgaben, die uns aufgetragen wurden. Ich war mit 15 Jahren als Ordner bei der Fronleichnamsprozession in Essen eingesetzt. Die Pfadfinder begannen schon in den fünfziger Jahren, behinderte Jugendliche mit in die Jugendherberge und das Zeltlager zu nehmen. Der Dorstener Stamm übernahm eine Patenschaft für Körperbehinderte. Flinke Hände, flinke Füße sind kein bloßes Muss, sondern ein Markenzeichen.

das Zeltlager – nicht Camping, sondern Natur

Bei einem Bauern auf der Wiese oder in einer kleinen Sandgrube, der Donnerbalken in dem Waldstück, das zu jedem Münsterländer Hof gehört, in der Nähe ein Wasseranschluss. Dass das heute noch so viele Erfahrungen und Erlebnisse vermittelt, erstaunt mich. Das Zeltlager ist der Aufenthaltsraum der Pfadfinder, so wie die Festwiese gestaltet war. Mindestens ein Zeltlager gehört in den Jahreszyklus eines Pfadfinders. Der ökologische Ansatz, für die Pfadfinder von Anfang an selbstverständlich, sticht tatsächlich das Handy aus, welches zu Hause bleiben muss.

ein Generationenprojekt

Wir waren damals für die Leitungsaufgaben zu jung. Die meisten Älteren waren berufstätig. Die Verkehrsverbindungen ermöglichten den Studierenden keine Präsenz vor Ort. Das ist heute anders. Die Gruppenleiter-Schulungen sind fundierter. Die heutigen Leitungen machen ihre Sache sehr viel kompetenter als wir damals. Gruppenstunden erst um 18h, wie sie heute wegen der Ganztagsschule üblich sind, waren damals außerhalb des Vorstellungsvermögens.
Die Erwachsenen stabilisieren einen Pfadfinderstamm. In Deutschland finden sich kaum Fünfzigjährige und noch Ältere in der direkten Leitung, sondern stehen eher im Hintergrund. Allenfalls bei Kolping gibt es ein vergleichbares Engagement der Erwachsenen.  

Im Rückblick ist es das Wertegerüst, das der Gründer Baden Powell nicht als Theorie, sondern als Inspiration zum Handeln umgesetzt hat, das den Unbilden der Zeitläufe und ihren falschen Utopien standgehalten hat.


Kategorie: Kirche

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