(explizit.net) Die katholische Kirche zwischen Tradition und Zukunft
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Spätestens seit der Neuzeit befindet sich die katholische Kirche in einer immer stärkeren Distanz-Beziehung zu den wissenschaftlichen und philosophischen Entdeckungen. Sigmund Freud spricht in diesem Zusammenhang von den drei großen Kränkungen, die der moderne Mensch hinnehmen muss: Die erste sei die kopernikanische Wende und die durch Galileo endgültig gewordene Feststellung, dass anders als im biblischen Weltbild geschildert, die Erde das Zentrum des Universums ist, um das sich alles dreht, sondern die Sonne den wirklichen festen Stern darstellt, während die Erde bloß ein herumdrehender Planet von vielen sei. Kosmologisch wandert der Mensch somit von der Mitte in die Peripherie des Weltalls. Die zweite sei die Evolutionstheorie Darwins, wonach der Mensch nicht einfach als von Gott geschaffenes Wesen und konstante Art auf die Erde gesetzt wurde, sondern sich mit Affen und sonstigen Tieren gleiche Vorfahren teile, also biologisch nicht mehr einfach als herausgehobenes Meisterwerk betrachtet werden könne.
Die neueste Kränkung ist nach Freud die der Psychologie, die dem Menschen klar mache, dass er nicht einmal Herr über sich selbst sei, sondern von unbewussten und verdrängten Trieben geleitet werde, die ihn mehr bestimmen als er sich dessen bewusst sei. Ein vorbehaltlos naives Vertrauen auf Bibel und Kirche erhält durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse also starke Risse und zu fragen ist, wie es grundsätzlich überhaupt noch zu vereinbaren ist, den biblischen Gott und die Erkenntnisse der Wissenschaft gleichermaßen ernst zu nehmen.
Aufschwung für die katholische Kirche ab Mitte des 19. Jahrhunderts
Doch zur großen Überraschung führte die sich immer stärker verbreitende Aufklärung und Verwissenschaftlichung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert nicht zur Marginalisierung der katholischen Kirche. Im Gegenteil, als Abwehrreflex auf alles, was nicht von der katholischen Kirche kam, und auf den die Kirche ablehnenden preußischen Staat, bildete man eine eigene katholische Gesellschaft heraus, das katholische Milieu, in dem man versuchte, unter Katholiken, vom Landwirt bis zum Arzt, die Welt so aufrechtzuerhalten, wie sie Papst und Pfarrer genehm erschien. Katholisch-Sein war Gesinnung, der Kirchgang in Vielem Brauchtumspflege, der Glaube vorgegeben. Wenngleich der Bildungsstand im katholischen Milieu verglichen mit dem der protestantischen Mehrheitsgesellschaft in Preußen vergleichsweise gering war, so fühlte man sich als Angehöriger der einen heiligen katholischen und apostolischen Kirche überlegen, hatte man doch den Besitz der Wahrheit und wollte, auch aus persönlichem Stolz, politisch katholisch bleiben. Diese Haltung war dadurch möglich, weil die Französische Revolution und die napoleonischen Kriege als geschichtliches Desaster erlebt wurden.
Nach dem Zweiten großen Krieg
Die Schrecken und Bomben des Zweiten Weltkrieges und die Nicht-Verführbarkeit des katholischen Milieus für den Nationalsozialismus ließ gerade die katholische Kirche als intakte Institution aus dem Dritten Reich hervorgehen. Zudem setzten die Adenauer-Regierungen wichtige Elemente der katholischen Soziallehre um, was die große Zahl der Eigenheime, die Mittelstandsförderung und die Stärkung der Familie betrifft.
Im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Achtundsechziger-Bewegung bekam das Gebäude risse und löst sich seitdem immer mehr auf, so dass die aktiven Gemeindemitglieder nur noch einen kleinen Rest der ehemaligen Volkskirche bilden. Absolute überzeitliche Wahrheitsansprüche finden zwar noch theologisch statt, haben jedoch geringere gesellschaftliche Relevanz.
Die fortdauernde Modernisierung der Gesellschaft, der Verlust der naiven Frömmigkeit, die vor allem all diejenigen betrifft, denen die unvorstellbaren Gräueltaten der Nazis bewusst sind, verlangten nach einer Änderung nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Kirche. Eine Erfahrung aus der Nazizeit war besonders einprägsam: Mit blindem Gehorsam kann man nämlich, so die Erkenntnis, nicht nur ein rechtschaffender Diener, sondern auch ein stumpfer Mörder sein. Der Mensch muss mit seinem Gewissen und seiner persönlichen Freiheit stärker in die Verantwortung gezogen werden, um reife Entscheidung treffen zu können.
Das Zweite Vatikanische Konzil:
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So kommt es auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil zwischen 1962 und 1965 zu einer Modernisierung der Kirche: die Kirche versteht sich nicht mehr als Lehrmeisterin, die den Gläubigen gleichsam wie ein strenger Vater gegenüber einem kleinen Kind, verbieten kann, was ihr missfällt, sondern nun wird der einzelne Mensch zur Instanz, die in ihrem Gewissen den Ruf der Stimme Gottes und Wahrheit und Ziel seines Lebens erfahren kann. Der glaubende Laie soll erwachsen sein und selbst Entscheidungen treffen, die er dann verantworten muss. Konkret bedeutet dies, dass die Kirche den Besitz von Büchern, die andere Auffassungen als sie selbst vertritt, nicht mehr auf ihren Index setzt, Religionsfreiheit als Menschenrecht anerkennt, Gewissenfreiheit gewährt und auch anderen Religionen Anteile an der Wahrheit zuerkennt.
Die Zeit nach dem Konzil in Deutschland
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Was nun als neue Blüte und frischen Wind erscheinen mag: endlich werden Grund- und Freiheitsrechte zugestanden, die Liturgie darf in der Volkssprache gefeiert werden, entwickelt sich doch sehr bald von einer Anfangseuphorie zu Verwirrung und erneuten Erstarrung. Einige fühlen sich durch die Änderungen zu einer Freiheit verdammt, die ihnen eine sichere Geborgenheit nimmt, anderen, und das ist die weitaus größere Gruppe, geht sie nicht weit genug. Es heißt schon, nachdem die Fenster aufgerissen wurden, erkannte man die Gefahr, die vom ach so frischen Wind ausgeht und schloss sie gleich wieder.
Als bedeutendste Entwicklung in den folgenden Jahren bis heute kann wohl das Jahr 1968 angesehen werden. Paul VI. veröffentlicht die Enzyklika „humanae vitae“, die wie die bereits 1930 von Pius XI. verfasste Enzyklika „casti conubii“ jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung, verbietet. Als Zweites sind die Studentenunruhen, die so genannten „68er“ zu nennen.
Die Idee eines Neuen Menschen
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Die Achtundsechziger sehen in der NS-Zeit und deren gleichsam nicht stattgefunden Aufarbeitung eine grundsätzliche Fehlentwicklung des Menschen, die die katholische Kirche als gesellschaftliche Größe mit zu verantworten habe. Folglich könne diese Kirche weder als moralische Instanz noch religiös ernstgenommen werden, vielmehr müsse man einen neuen Menschen hervorbringen, der der Geschichte des Krieges und der Gewalt eine wirkliche Absage erteile. Dazu sucht man allerdings in Sozialismus und Psychologie nach Rat, nicht in der biblischen Tradition und der auf ihr basierenden Kirche, die mit Hitler ein Konkordat abschließt.
Der Prozess der Loslösung von der Kirche ist seit dieser Zeit im Gange, wenn auch langsamer als erwartet. In Fragen der Verhütung will sich niemand mehr von der Kirche ins Gewissen reden lassen. Studien zeigen, dass weit über 90% der Katholiken nicht nach den Sexualmoralvorstellungen des kirchlichen Lehramtes leben. Dass die Kirche so oft in Gewalt eingebunden war, lässt weiterhin viele von ihr abkehren. Die Missbrauchsfälle des Jahres 2010 haben ebenfalls viele, vor allem auch aktive katholische Laien, tief getroffen. Nicht zuletzt deshalb gehen die Zahlen der Seminaristen noch mehr zurück, seit die mangelnde Transparenz und die entschlossene Information der Öffentlichkeit dazu führte, das Priester als Päderasten da standen.
Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschüttert. Neben den Missbrauchskrisen machen in den Zeitungen und Büchern mehren sich Aussagen über so genannte gay lobbies und Geldverschwendung in der Kirche. Verlogenheit und Doppelmoral hat es immer gegeben, das zeigen die Berichte Martin Luthers auf seinen Besuchen in Rom, das sieht man an den mitgereisten Prostituierten zu den mittelalterlichen Konzilen. Jetzt scheint es wieder ein Ausmaß an Vertrauensverlust zu geben und eine Entfremdung von dem normalen gesellschaftlichen Leben, das an die Ausgangslage der Reformation erinnert.
Die Seelsorge erlahmt
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Wegen des Priestermangels und der vielen Vorbehalte gegen die Kirche sind die Priester enorm unter Druck geraten. Sie werden selbst die Seelsorgsfällen, durch Burnout und die Probleme der sexuellen Identität,
Viele Gottesdienste sind oft nicht mehr als Altenheimpastoral, wer jung und motiviert ist, sucht sein Heil eher in Partys oder Partnerschaften. Gesellschaftlich, vor allem bei den unter 60jährigen, hat die katholische Kirche faktisch einen großen Bedeutungsverlust erlitten.
Die Zahl derjenigen, die nach ihren Regeln und Vorstellungen leben, hat gesellschaftlich die Größe einer Sekte. Heute kommt das Bekenntnis zur katholischen Kirche einem Outing gleich. Es ist mit Ablehnung, Bewunderung und oft auch mit Scham verbunden: „wie kann man den heute noch an sowas rückständiges glauben?“
An den Universitäten hat Theologie enorm an Zuspruch verloren, auch wenn man als Religionslehrer mit einem zweiten Fach gute Einstellungschancen hat. Nicht einmal 1% der Neuimmatrikulierten wählt das Fach „Theologie“.
Das als Bestandausnahme: Was für Impulse müssen in der katholischen Kirche mehr Raum bekommen, damit der Weg in die Sekte gestoppt wird.
<emphasize>Josef Jung</emphasize>
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