Unterwegs im Irak: Eine Reise durch Menschlichkeit und Tradition

Anlässlich der Themenreihe "Auf der Suche nach Frieden" berichten unsere beiden Redakteurinnen Lena Hermann und Carolina Greaf Alarcón über ihre Recherchereise in den Irak. Begegnungen in Flüchtlingslagern, der Besuch von Nachrichtensendern wie Kurdistan 24 und das Eintauchen in lokale Traditionen in Städten wie Dohuk und Erbil prägten ihre Reise.

Kurz nach ihrer Rückkehr verdeutlichen Angriffe auf Militärstützpunkte im Irak die fragilen Zustände des Landes. Diese Reise war eine Erfahrung voller Gegensätze und zeigte die Vielfalt sowie die Widerstandsfähigkeit der Menschen im Irak.

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Irak - Ein Land, das geprägt ist von Krisen und Konflikten. Von Terror und Flucht. Als wir die Möglichkeit bekommen, eine Recherchereise dorthin zu machen, bekommen wir ganz kurz Bauchschmerzen. Doch schnell verfliegt die Angst und die Neugier, in eine neue Welt einzutauchen, übernimmt. Wir sprechen mit Freunden, die aus dem Irak kommen oder schonmal dort gewesen sind und schnell wurde uns immer mehr bewusst, dass das mediale Irak, welches in den Köpfen vieler Menschen ist, noch immer der Irak vom Jahr 2003 bis 2011 ist. Wir sitzen mit Freunden in einem Kaffee in Gelsenkirchen, als wir stolz die Flugtickets der Reise zeigen. “Ihr seid doch völlig verrückt”, hallt es aus den Mündern mancher Freunde. Unsere Reaktion: ein breites Grinsen mit der Antwort “Irgendwer muss auch diese Arbeit machen" und "Wir haben keine Angst".

Sieben Tage vor Reiseantritt dann der Schock: Die Hamas hat Israel angegriffen und befindet sich im Krieg. Werden wir fliegen? Sind wir sicher? Fragen, die uns an diesem Tag noch keiner beantworten kann. Jeden Tag schauten wir uns die aktuelle Lage genau an. Was passiert gerade im Nahen Osten und könnte sich der Irak daran beteiligen?

Zwei Tage vor der Reise erhielten wir die Nachricht: “Wir können fliegen" & "Auf eigene Gefahr”.

Dann war es endlich so weit. Am Flughafen in Erbil wartete schon der Fahrer mit einem alten Nissan Bus. Vorne auf dem Bus das Logo “Barzani Charity Foundation”. Das ist eine gemeinnützige Organisation, die sich um Missstände im Land kümmert. Ein klappriger Bus, der sicherlich seine besten Tage schon hinter sich hat. Mit einer 13-köpfigen Reisegruppe laden wir unsere Koffer ein und fuhren zum Hotel im christlichen Stadtteil Ankawa. Die Reisegruppe bestand aus Mitgliedern der “Schwäbischen Zeitung”, die mit der Spendenaktion “Helfen bringt Freude” Projekte im Irak unterstützt. Ein Übersetzter, Angehörige und insgesamt fünf Student:innen begleiteten das Ganze. Wir waren zwei der Student:innen.

Zwischen Konflikten und Unsicherheit

Unsere 7-tägige Reise durch den Irak begann mit einem Besuch bei der Barzani Foundation, wo wir bei einer Tasse Chai mehr über die humanitären Bemühungen in der Region erfuhren. Von dort aus führte uns unser Weg in die atemberaubenden Berge, wo uns die natürliche Schönheit des Landes erstmals in ihren Bann zog. Am Kloster "Raban Boya" genossen wir eine beeindruckende Aussicht auf die sich aneinanderreihenden Bergketten und die Kleinstadt Shaqlawa, fast eintausend Meter über dem Meeresspiegel. Unsere erfahrenen Begleiter wiesen uns darauf hin, dass der entfernte Berg die Grenze zum Iran markierte, und plötzlich wurde uns die Brisanz der Region bewusst. Hinter den Kulissen brodelten Konflikte im Iran, geprägt von Protesten und dem Wunsch nach Wandel nach dem tragischen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022. Syrien hingegen leidet weiterhin unter dem Bürgerkrieg. Kurdischen Gruppen wie YPG und SDF spielen hier eine wichtige Schlüsselrolle im Kampf gegen den IS und für Autonomie.

Unser Besuch bei Kurdistan 24, einem kurdischen Nachrichtensender mit Auslandsstudios in Washington, D.C., verdeutlichte die Sicherheitsmaßnahmen, die aufgrund früherer Anschläge ergriffen wurden. Wir passierten mehrere Checkpoints und der Bus wurde mit einem Spiegel auf Bomben untersucht. Denn es gab schon mehrere Anschlagsversuche auf Mitarbeiter. Trotz unseres mulmigen Gefühls betraten wir die modern ausgestatteten Räumlichkeiten und waren beeindruckt von den Drehstudios und dem riesigen Newsroom. Nach dem Besuch beim Sender fuhren wir zurück in die Stadt. Die Sonne stand schon etwas tiefer und ließ für uns die unbekannte Welt auf der anderen Seite der Scheibe des Busses magisch wirken. Viel Tumult, Menschen, Autos. Die Stadt Erbil pulsierte wörtlich und war mit so viel Leben gefüllt. In der Altstadt angekommen, wechselten wir am Rand des Marktes, an einem kleinen Stand, Euro in Dinar. Wir besorgten uns mobiles Internet und genossen den Markt in Erbil, der uns das Gefühl von 1000 und 1 Nacht vermittelte.  Ein Spaziergang durch die Stadt zeigte uns, dass wir uns hier sicher fühlen können. Und gegen die Erwartungen aller, der Hijab, also das Kopftuch, eine freiwillige Option.

Projekte Fluchtursachen bekämpfen

Gemeinsam besuchten wir an den darauffolgenden Tagen einige Projekte der Spendenaktion. Die Katholische Universität in Ankawa gewährte uns Einblicke in ein Programm, das jesidischen Mädchen durch finanzielle Unterstützung das Studium ermöglicht. Sie alle haben den Terror des IS hautnah miterlebt. Ein Besuch im Flüchtlingscamp Mam Rashan zeigte die Spuren des Völkermords von 2014. Noch immer leben die Menschen dort unter prekären Bedingungen und können nicht in ihre Heimat zurückkehren. Eine Schule im Camp, finanziert durch die Aktion "Helfen bringt Freude", bietet den Kindern heute zumindest etwas Perspektive. Gemeinsam mit dem Projekt verteilen wir warme Winterjacken und Rucksäcke für die Kinder. Ihre Lebensfreude steckte uns an und für einen Moment waren die Lasten der Vergangenheit verschwunden. Sie erinnerten uns daran, dass selbst in den schwierigsten Zeiten die Menschlichkeit und die Kraft des Zusammenhalts gewinnen können. Im Camp fand auch der Schwabenpokal statt, ein Fußball Finale von Mannschaften aus dem Camp und der Umgebung. Der Fußballplatz wurde durch Spenden der Aktion finanziert. Jeder Moment bot uns Einblicke in das Leben der Menschen vor Ort und ihre unerschütterliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Auch das Haus des Lächelns, welches schwerbehinderte Kinder auf die Schule vorbereitet, hinterließ einen bedrückenden Eindruck auf uns. Die Kinder dort wurden in den meisten Fällen aufgrund ihrer Behinderung ausgeschlossen. Gemeinsam mit Sozialarbeitern werden sie auf eine richtige Schule und eigenständige Zukunft vorbereitet. Mit Erfolg. Zwölf Kinder haben an diesem Tag ihre Abschlussfeier im Haus des Lächelns und besuchen bald eine richtige Schule.

Zwischen Kultur und Fauna

Unsere Reise führte uns weiter nach Dohuk, wo uns unter anderem ein Abend im Gästehaus des Gouverneurs erwartete. Dohuk liegt in einer sehr bergigen Landschaft. Um zum Sommerhaus zu gelangen, fuhren wir durch eine hügelige Landschaft, passierten einen Staudamm und erreichten schließlich eine wunderschöne Villa. Dort angekommen, wurden wir vom Gouverneur, seiner Frau und seinen Töchtern empfangen und mit einem riesigen traditionellen Abendessen begrüßt. An einem anderen Abend fuhren wir gemeinsam mit der Frau des Gouverneurs auf den höchsten Berggipfel der Stadt. Der Blick auf die Stadt schuf eine unvergessliche Atmosphäre, die wir nie vergessen werden. Außerdem besuchten wir Amediye, eine kleine Stadt, Richtung türkischer Grenze. Wir erlebten die dörfliche Atmosphäre auf einem Berg, umgeben von atemberaubenden Landschaften. Die Fahrt entlang der türkischen Grenze brachte uns zu einem idyllischen Erholungsgebiet zwischen den Bergen, wo ein kleiner Wasserfall und glasklares Wasser Ruhe in unseren hektischen Tagesplan brachten. Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch in Lalish, dem heiligen Ort für Jesiden, wo wir tief in die Spiritualität und Traditionen dieser Gemeinschaft eintauchten. Der Abschlussabend im Sommerhaus des Gouverneurs mit traditionellen Tänzen und einem beeindruckenden Ausblick auf Dohuk rundete unsere Reise auf magische Weise ab.

Mit dem Besuch im Rabban Hormizd Kloster in Alqosh endete unsere Reise durch den Irak. Die beeindruckende Aussicht auf die Ebene von Ninive ließ uns die Bedeutung der Vergangenheit und die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft spüren.

Was bleibt nach der Reise

Die Rückreise verlief durch mehrere Sicherheitskontrollen, doch unsere Gedanken blieben bei den Menschen, denen wir begegnet waren, und den Geschichten, die sie mit uns geteilt hatten. Der Irak hinterlässt in uns einen nachdenklichen Eindruck, geprägt von einer Mischung aus Krisenrealität und der Stärke des menschlichen Zusammenhalts.

Am 26. Oktober, nur wenige Tage nach unserer Rückreise gab es eine schockierende Nachricht: Ein Sprecher des Pentagons bestätigte, dass der Militärflughafen Harir in der Kurdistan-Region, auf dem US-Streitkräfte stationiert sind, heute Morgen einem "erfolglosen" Angriff ausgesetzt war. Er erwähnte auch, dass geringfügige Schäden durch den Angriff verursacht wurden. Kurz darauf meldete der pro-iranische islamische Widerstand im Irak einen Angriff mit zwei Drohnen auf den Stützpunkt der Koalitionstruppen am internationalen Flughafen von Erbil.

Trotz der schwierigen Realität bleibt die Unterstützung vor Ort unerlässlich. Die Hilfe und die Spenden vor Ort sind ein wichtiger Schritt, um die Lebensumstände in den Lagern zu verbessern. Denn unsere Reise hat auch Vorurteile und Stereotypen aus Deutschland herausgefordert. Die Vielfältigkeit und Herzlichkeit der Menschen im Irak stehen im starken Kontrast zu oft negativen Darstellungen. Wir sind dankbar für die Gelegenheit, die Reise gemacht zu haben. Nicht nur die Realität im Irak wurde uns nähergebracht, sondern es wurde auch der Wunsch geweckt, weiterhin Unterstützung zu leisten. Um von hier auch weiterhin einen positiven Beitrag zu leisten, werden in den kommenden Wochen immer wieder neue Artikel zu den einzelnen Projekten von uns kommen.

Text: Carolina Greaf Alarcón und Lena Hermann
Fotos: Lena Hermann


Kategorie: Religion

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