die Autorin Foto 2016 in Kiew, explizit.net

Ukraine – die Jugend zieht es ins Ausland

Die Demonstrationen 2013-14 waren ein Aufstand der Jugend gegenüber der Perspektivlosigkeit des Landes. Korruption, die durch die Abhängigkeit von Russland nur stabilisiert wurde, war der das Motiv. Auslöser der Studentenproteste war der Rücknahme des mit der EU ausgehandelten Assoziierungsabkommens durch den damaligen Staatspräsidenten Janukowytsch im November 2013. Maria Karapata, damals Anfang 20, berichtet über die Stimmung unter der Jugend.

Zum Foto: Maria Karapata. Sie übersetzt den Bericht des jungen Mannes, der vom 21. November 2013 an auf dem Majdan, dem zentralen Platz Kiews, demonstriert hat.

Wie schätzt die Jugend ihre Karrierechancen in der Ukraine ein? Und warum sieht die Perspektive eine Babysitterin im Ausland zu sein immer wieder attraktiver aus als die Position eines Managers in der Ukraine? Bemerken die jungen Menschen die Angebotsvielfalt auf dem Arbeitsmarkt nicht? Oder wollen sie es einfach nicht?

Hoffnungen gemischt mit Enttäuschungen

Die Ereignisse im Winter 2013-2014 haben die meisten Ukrainer aus dem tiefsten Schlaf geweckt und dabei einen frischen Schluck der „demokratischen“ Luft verabreicht. Mit dem Wunsch nach Veränderungen, Freiheit und einfach einem „menschlichem Leben“ wurde in wenigen Tagen das ganze Volk angesteckt. Die Ukraine hat sich wiederbelebt und ihre Rechte proklamiert. Jetzt sind schon 3 Jahre vergangen. Was haben wir erzielt? Welche Herausforderungen stellen sich uns heute im Juni 2017?  

Einige behaupten, dass wesentliche Schritte bereits unternommen wurden. Die Reformen sind jedoch immer noch nicht erfolgreich umgesetzt und haben heftige Kritik ausgelöst. Doch gilt: Aller Anfang ist schwer. Trotzdem sieht die überwiegende Mehrheit die vielen Hoffnungen sich langsam in eine riesengroße Enttäuschung verwandeln. Zumindest wird davon sowohl auf den Straßen und als auch im Fernsehen geredet. Auch der Krieg in der Ostukraine ist alles andere als ein Motiv, die schlechte Stimmung zu vertreiben. Zerplatzte Träume, gebrochene Versprechen, keine Kraft mehr. Als Ergebnis begeben sich viele Leute auf die Suche nach ihrem Glück ins Ausland. In erster Linie Jugendliche. Ja, diejenigen, die vor ein paar Jahren diesen lahmgelegten Staat in Richtung von Wahrheit und Demokratie zur Bewegung gezwungen haben.

Osten oder Westen, nicht immer zu Hause ist's am besten

Warum entscheiden sich viele junge Menschen, ihre Zukunft im Ausland zu suchen? Es gibt objektive Gründe dafür. Die geringen Karrieremöglichkeiten, hohe Mieten, unerträgliche Kosten. Enttäuscht und verzweifelt verlassen die jungen Menschen ihre Heimat und ergreifen jede Möglichkeit auszureisen. Das Ausland wird als ein Allheilmittel für alle Misserfolge und Probleme gesehen. Das ist nicht verwunderlich. Die Länder mit höherem Lebensstandard haben wahrscheinlich mehr anzubieten, zumindest Zukunftssicherheit, was viele für ausschlaggebend halten. Deswegen sehen immer mehr Jugendliche ihre Zukunft in einem ruhigen europäischen Staat zu suchen, als in Ungewissheit zu leben. In der Ukraine sind solche Berufe wie zum Beispiel Babysitterin oder Kellnerin unter den Hochschulabsolventen nicht besonders begehrt. Solche Nebenjobs für Studenten und Schüler klingen in einem Land mit sauberen Straßen und gesetzesgehorsamen Autofahrern schon ganz anders. Das erklärt die nicht enden wollenden Auswanderungswellen. Die Blüte unserer Nation wird zu einer billigen Arbeitskraft.

Nach so diesem deprimierenden Panorama bleibt anscheinend nur übrig, zu verwahrlosen und sich beliebigen Machthabern zu beugen. Jedoch wäre das ein voreiliger Schluss. Die Realität in der Ukraine sieht nicht so grausam aus, wie es beim ersten Blick scheint.

Aufgeben – kein Ausweg

Praktisch 25 Jahre lang war die Ukraine auf der Landkarte kaum herausgehoben. Selbst die Ukrainer wussten nicht, was sie von ihrer Identität halten sollten. Jetzt kennt uns die ganze Welt und die Hauptsache: Wir beginnen uns zu erkennen. Den Ukrainern stehen jetzt unglaubliche Herausforderungen bevor. Tatsächlich werden erst jetzt die Grundsteine eines nachhaltigen Wachstums in einem selbstständigen Staat gelegt. Die  Infrastrukturen, die seit langem in Europa oder den USA schon ausgebaut sind, befinden sich heute in der Ukraine in schneller Entwicklung. So ist das Fahrrad schon erfunden, es bleibt noch übrig, die Fahrradwege zu bauen. In jedem Sinne. Man muss nur Mut dazu haben, eigene Ideen einzubringen und ein paar Gleichgesinnte zusammenzubringen. Wir haben hunderte erfolgreiche Vorbilder zur Nachahmung, die zahlreichen ausländischen Fachleute und Business-Coaches sind bereit, eigene Erfahrungen weiterzugeben. Das Wichtigste: wir verfügen über ein unerschöpfliches Potenzial und eine außergewöhnliche Durchsetzungsfähigkeit, die zur Entwicklung und Herausbildung eines prosperierenden Staates beitragen können. Die bürokratischen Hindernisse sind leider nicht so leicht zu überwinden. Gesetze können nicht selten das Sterben eines ungeborenen Projektes befördern. Man muss alles hinnehmen, aber sich davon nicht entmutigen lassen. „Nur wer wagt, gewinnt“.

Das Recht auf Glück

Revolution, Krise, Armut, Krieg. Welches andere Land in Europa hat innerhalb von drei Jahren so etwas Ähnliches erleb, genauer gesagt, überlebt? Zudem kommt das Land voran, mit winzigen Schritten, aber vorwärts. Es ist schwer zu unterschätzen wie viel wir begriffen und noch doppelt so viel dazu gelernt haben. Jetzt können wir kämpfen, warten und glauben. Gerade die junge Generation trägt diesen Glauben.
Talentierte Kinder, bewusste Jugendliche – eine zielstrebige Nation. Wir haben alles, um die eigenen Begabungen zu entfalten und sie zu unserer Trumpfkarte zu machen. Warum denn nicht im Heimatland? Wo wir mit eigenen Kräften einen ganz neuen Staat zur Welt bringen können, um festen Boden unter den Füßen haben. Solange wir bereit sind, Neues zu kreieren, jeder Willkür zu trotzen und unsere Wünsche hier zu Hause zu erfüllen, haben wir alle Chancen, eine würdige Zukunft zu gestalten. Und nicht nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart. Das haben wir ohne Zweifel verdient.


Kategorie: Politik

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