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Über Lohnknechte und Wölfe

Jesus ist der gute Hirte. Soweit nichts Neues. Doch wenn Jesus der gute Hirte ist, was sind dann wir? Jesus zieht im Evangelium des Johannes einige Grenzmarken. Er macht Unterschiede. Man könnte fast von Dialektik reden: Hirte gegen Lohnknecht. Doch daraus wird kein politisches Pamphlet, sondern ein harter Gewissensspiegel. Was hält uns Jesus vor Augen?

«Der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe.» - Dieser Satz ist die Überschrift über das christliche Amt. Es gibt eine anvertraute Herde und der Amtsträger muss sich unter Einsatz seines Lebens um sie kümmern. Vor einem halben Jahrhundert schien diese Erkenntnis – man hat sie insbesondere in Lateinamerika unter der Chiffre «Befreiungstheologie» und «Option für die Armen» wiedergefunden - neu und ungewohnt. Dabei ist sie nicht neu, sondern Kernbestand des Evangeliums.
Aber warum versandete dieses Wissen im Bewusstsein vieler Christen, gerade auch der Amtsträger? Es hat etwas mit den Grenzmarken zu tun. Man hat sie verwischt, die Konturen verblassen lassen und sie nicht ernst genommen. Jesus hält uns vier Grenzmarken entgegen: Lohnknecht, Wölfe, Erkenntnis und Lebensvollmacht.

Der Lohnknecht: Der gute Hirte setzt sein Leben für die Schafe ein, der Lohnknecht dagegen hat kein Interesse an ihnen. Ihm sind die Schafe egal. Er tut seine Arbeit aus anderen Motiven heraus. Im Evangelium liegt der Verdacht aus finanziellen Gründen sehr nahe. Doch es kann mehr geben: Eitelkeit, Ruhm, Macht, Sicherheit, usw.
Diese Grenzmarke soll das Gewissen des kirchlichen Dienstes heranbilden. Warum werde ich Priester, Diakon, Lektor, Katechet, Kommunionhelfer, Pfarrgemeinderat, usw.? Nach Jesus kann es nur eine richtige Antwort geben: aus Liebe zu den Schafen! Wer das Rampenlicht sucht, sich davon Ansehen verspricht, gerne andere belehrt, usw. hat sein Amt verfehlt. Er hat nicht Anteil am Hirten Jesus, sondern am Lohnknecht.

Die Wölfe: Der gute Hirte verteidigt seine Schafe bis auf’s Blut. Wenn der Angriff kommt, bleibt er standhaft und tut alles, um alle seine Schafe zu verteidigen. Der Lohnknecht dagegen haut ab. Er hat ja kein Interesse an ihnen. Wenn also die Wölfe kommen, dann versucht der Hirte, seine Herde zusammenzuhalten, sie zu versammeln. Der Lohnknecht lässt die Herde auseinanderfallen, überlässt sie, sich zu zerstreuen.
Hier geht es also um die Gefahren des Christseins, um das Angegriffen werden, unter Belagerung stehen. Offenkundig wurden diese Gefahren im Nationalsozialismus, im Kommunismus und vielen weiteren politischen Unrechtssystemen. Damit folgt auch: je gefährlicher die Wölfe sind, desto mehr zeigt sich der Unterschied von Hirte und Lohnknecht. Und andererseits: Wer die Wölfe nicht als Wölfe erkennt, sie verkleinert, sie nicht ernst nimmt, der verwischt zugleich den Unterschied von Hirt und Lohnknecht.
Daher sollte es auch nicht verwundern: Es gibt Menschen außerhalb der Kirche, die wahrnehmen, dass die Welt nicht in Ordnung ist. Diese Menschen sind wacher als viele Christen. Von ihnen kann der Christ die Wachheit lernen.
Je höher das kirchliche Amt, desto größer muss auch die Sorge sein. Jesus gibt ein klares Kennzeichen an: Sammlung gegen Zerstreuung. Die Frage an die Kirche heute: Sehen wir Sammlung oder sehen wir Zerstreuung? Sehen die Christen, dass sie sich sammeln müssen und dass sie nicht ihr je eigenes Ding machen können, sich nicht zerstreuen dürfen?

Die Erkenntnis: Der Hirt kennt seine Schafe wie Jesus seinen himmlischen Vater kennt. Die Kenntnis Jesu über den Vater ist die maximale Kenntnis. Mehr geht nicht. «Kennen» ist heute ein unklarer Begriff geworden. Man «kennt» die «Fachkenntnisse» oder «Englischkenntnisse». Das ist eher «Fachwissen». Man hat verstanden, um was es geht. «Kennen» ist aber mehr. Es meint auch etwas wie «vertrauten Umgang haben».
Der Hirte muss mit seinen Schafen vertrauten Umgang haben. Es reicht nicht, die Adressdaten und die Geburtstagsjubiläen zu wissen. Er muss die Situationen kennen: Familie, Beruf, Gesellschaft. - Alle Ämter haben einen bestimmten Bereich, der ihnen übertragen ist. Und jeder Amtsträger muss sich in diesen Bereichen auskennen. Ein Lektor muss sich mit Sprecherziehung auseinandergesetzt haben. Er muss sich auskennen, wann die Stimme hoch geht, wann sie abfällt, wann er Pausen machen sollte und wann nicht, welche Wörter betonenswert sind, welches Sprechtempo in welcher Örtlichkeit wirkt. Das ist mehr als bloßes Lesen. – Für alle Ämter gilt als Ziel die maximale Kenntnis. Wenn man Anfänger ist, dann muss man nach dem Maximum ausgreifen. Um der Schafe willen.

Andererseits – und das ist die größere Schwierigkeit heute – muss der Hirte selbst vertraut sein. Nicht nur er kennt, sondern er wird auch erkannt. Seine Schafe kennen ihn. Sie wissen um seine Familie, seinen Beruf, seine gesellschaftliche Beteiligung. Sie wissen um seine Stärken und seine Schwächen.
Jesus ist so schwer zu fassen, weil er sich fassbar machen lässt. Der Apostel Thomas durfte seinen Finger in seine Wunden legen. Er ist begreifbar. Aber der Mensch will das nicht. Welcher Mensch will sich antastbar machen? Selbst in den innigsten Beziehungen tut sich der Mensch damit schwer! Wie viele Ehegatten kennen sich, wie Thomas den Herrn gekannt hat? Ein guter Hirte der Kirche lässt sich begreifen.

Die Lebensvollmacht: Der Hirte ist Herr über sein Leben. Er kann es geben und er kann es nehmen. Das ist wahre Autonomie, wahre Selbstverwirklichung. Das ist die Freiheit der Kinder Gottes. Ein Lohnknecht wird von anderen Motiven getrieben. Er kann sich gerade nicht hingeben. Er wird beherrscht von den oben genannten Dingen. Er hat keine Macht über sich, sondern ist den Mächten ausgeliefert. Er steht damit nicht über den Dingen, sondern in ihnen.
Das ist die Mitte des Evangeliums: Auf der einen Seite die der Lohnknecht, der getrieben wird von unedlen Motiven. Auf der anderen Seite der Hirte, der sich antreiben lässt von der Liebe zu den Schafen. Der Lohnknecht ist unfrei. Er verfügt nicht über sich, sondern wird verfügt. Paradox: Denn die Person, die ihn verfügt ist letztlich doch er selbst. Er knechtet sich selbst. – Der Hirte ist wahrhaft frei. Er wird nicht verfügt, sondern verfügt über sich selbst. Auch Paradox: Er ist frei, weil er sich selbst nicht knechtet. Er wird nicht von seinem Selbst beherrscht. Er ist frei zu wählen, wer ihn beherrscht: Und das ist zuerst Gott und dann die Schafe, da er aus Liebe zu ihnen sein Leben für sie hingibt.
Der Übergang von der Freiheit des Lohnknechtes zur Freiheit des Hirten ist reine Gnade. Niemand hat die Macht über sein Selbst aus sich. Niemand verfügt über sich so sehr, dass er sich selbst die Freiheit des Hirten verdienen kann.

 

Von dort versteht man auch die Forderung Jesu: Verleugne dich selbst! Wer sich selbst zum Ziel hat, wer von sich selbst her lebt und wer aus sich selbst lebt, der kann nicht über sein Leben verfügen. Er kann sein Leben nicht hingeben. Er kann nicht für andere leben. Im Gegenteil klebt er an sich und er ist das allerletzte, was er aufzugeben bereit wäre. Wer sich selbst verleugnet hat und frei geworden ist, der lebt nicht für sich, sondern für andere. Er lebt von Gott her und lebt auf ihn hin. Er gibt sein Leben hin. Er wird so zum guten Hirten.



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