photosforyou bei Pixabay

Theologie erfolgreich

Die Katholische Kirche in Deutschland will sich eines großen Teils ihrer theologischen Hochschulen und Fakultäten entledigen. Zu teuer und scheinbar nicht notwendig, auch fehlen die Studierenden. Theologie ist jedoch für den Erfolg unerlässlich. Beispiel sind die bald 1 Million Zuschauer bei den Gottesdienstübertragungen im ZDF. Wie geht so was, während die Kirchen sich leeren:

Jeder kann das Ergebnis theologischer Arbeit auf katholischer Seite jeden zweiten Sonntag betrachten. Das ZDF versammelt mehr Mitfeiernde vor dem Bildschirm als die jeweilige Konfession in ihren Kirchen. Es ist nicht ein Fernseheffekt, wie unterstellt wurde, es ist ein Liturgie-Effekt: regelmäßig, mit der von Gregor um 600 entwickelten und wiederhergestellten Dramaturgie, keine Schulstunde, sondern eine Feier.

Warum Fernseheffekt auf der Basis der Theologie:

Die Zuschauerzahl hat sich durch Corona noch einmal gesteigert, sich jedoch bereits in den neunziger Jahren von durchschnittlich 360 Tsd. auf 800 Tsd. verdoppelt. Wesentlich geht der Erfolg auf die Beratung durch den Freiburger Theologen Helmut Büsse zurück. Der hat zweimal jährlich an den Fachgesprächen teilgenommen und ist nicht nach seinem Referat wieder abgereist. Vielmehr hat er mit den Regisseuren an einzelnen Problemstellungen geknobelt, wie man etwas mit der Kamera erfasst. Theologie war deshalb gefragt, weil die sehr guten Regisseure des ZDF die Filmsprache beherrschen und daher nicht wie meist sonst, abfilmen, sondern mit der Bildsprache den Sinn des Gezeigten vermitteln wollten. Am Agnus Dei, dem meist gesungenen dreimaligen „Lamm Gottes“ war gefragt, wie die Theologie die Kamera führt. Das war besonders dann die Frage, wenn ein Chor mit Orchester das "Agnus Dei" singt. Vom Medium her wäre es naheliegender, den Chor zu filmen und wieder auf den Altar zu schwenken, wenn der Zelebrant zum Kommuniongang einlädt. Büsse hat uns aber gezeigt, dass der Ritus des Brotbrechens das ist, was mit dem Agnus Dei besungen wird, Chor und Orchester können durchaus ins Bild kommen und durch die Kameraführung in Bezug zum Ritus stehen. Das erfordert aber, das Brechen der Hostie in Großaufnahme zu zeigen, um so den Gesang mit dem Ritus in Beziehung zu setzen. Das ist nicht nur der Liturgie geschuldet, sondern auch der Dramaturgie.

Aus dem Nacheinander eine Dramaturgie werden lassen

Würde die Kamera nur den Chor zeigen, würde die Austeilung der Hostien bei den Zuschauern als etwas Anderes erlebt werden, das nicht unbedingt auf einen Chorgesang folgen muss. Wenn der Bezug zum „Lamm Gottes“ gezeigt wird, eben der Hostie, bereitet der Agnus Dei-Gesang auf den Kommunionempfang vor. Das hat, wie wir nachher feststellten, die Rückkehr zur genialen Komposition der Messe geführt, die durch das Medium deutlicher als im Kirchenraum zur Darstellung kommt: Die Aufmerksamkeit bleibt auf die Hostie gerichtet. Was für Filme allgemein genutzt wird, kommt hier vom Ritus ins Spiel. Nämlich ein Gegenstand wird gezeigt und damit den Zuschauern signalisiert, dass dieser für die Handlung entscheidend wird. Der Gegenstand "Hostie" erreicht seine Erfüllung bei der Kommunion, so verbindet die Kameraführung das Brechen der Hostie mit dem Empfang der Kommunion. Büsses Engagement hat die Messe nicht nur fernsekompatibel gemacht, sondern sie auf die Gestalt zurückgeführt, die der geniale Papst Gregor I. ihr im Übergang zum 7. Jahrhundert gegeben hat.

Verliert die Theologie ihren universitären Anspruch, wenn sie ins Fernsehen geht?

Büsse hatte bei seinen Kollegen wenig Anerkennung gefunden, aber ihnen bewiesen, dass die Messe als Feier gestaltet, mehr Mitfeiernde gewinnt. Denn was die Liturgen mit ihren Analyseinstrumenten nicht erfassen können, ist das, was im Fernsehen "Format" und in der Bibelwissenschaft "Literarische Gattung" genannt wird, nämlich als was die Eucharistiefeier inszeniert wird. Im Gefolge der Achtundsechziger hat sich die Aufmerksamkeit von der Gestaltung auf die Erklärung verlegt. Die Erwartung war: Wenn die Messe gut in ihrem Aufbau und ihrer Sinngebung erklärt wird, können mehr Menschen sie mitfeiern. So wurden noch in den achtziger Jahren Gottesdienste mit einem Kommentator übertragen, der jeweils einzelne Handlungsteile erklärte und die Zuschauer damit jedes Mal in Distanz zum Geschehen versetzte. Eine solche Erklärung stört die Mitfeier und hilft daher der Liturgie nicht. Glückicherweise funktioniert Belehrung im Fernsehen noch weniger als in den Gemeinden. Die Arbeit an der Umsetzung, zu der das Medium gezwungen hat, führte zu sorgfältig gestalteten und nicht bloß kenntnisreich erklärten Liturgien. Wolfgang Fischer hat daraus eine mystagogische, das Geheimnis darstellende Bildregie entwickelt.

Den Ritus bruchlos mitvollziehen können

Das dürfte auch der Effekt der Fernsehübertragung sein, Menschen zuzusehen, wie sie einen Ritus vollziehen, und wie verschiedene Akteure ein größeres Ganzes verwirklichen. Durch die Erklärung der Einzelteile der Messe wurde die von Gregor entwickelte Dramaturgie in Sequenzen gestückelt, die dann aneinandergereiht wurden. Aus distanzierten Zuschauen werden Mitfeiernde, wenn sie in dem fließenden Ganzen mitschwimmen können. Was das Fernsehen dabei besser kann, ist die Herausstellung des Hauptdarstellers. Weil der Zelebrant sehr viel größer als die Hostie ist, dominiert er im Kirchenraum, während das Fernsehen die Hostie, den "Hauptdarsteller", groß ins Bild bringen kann.
Kein Liturge hat so wie Helmut Büsse das II. Vatikanum umgesetzt. Er hat sich auf die Gestaltung und jedes einzelne Element des Ritus konzentriert. Hilfreich war die Norm, nicht zu erklären, sondern den Sinn durch die Kamera, eine mystagogische Bildregie, zu erschließen.

Theologie hat große Potentiale für die Praxis

Das, was sich so entwickeln konnte, wäre durch Vorträge allein nicht zu initiieren gewesen. Kamera und Liturgie mussten zusammenkommen. Die Kamera hat die Liturgie gezwungen, sich selbst, ihr Werk, das Ergon des Laos, des Volkes, zu verstehen. Das ist nur ein Beispiel, das auf viele weitere Herausforderungen übertragen werden kann, für die es Theologen braucht, die nicht nur die Tradition kennen, sondern sich auf die Gegebenheiten einlassen.  
Wenn Theologie dorthin geht, um mit "der anderen Seite" eine Lösung für ein Problem zu erarbeiten, ist sie erfolgreich. Ich kann nach vielen Jahren Medienarbeit sagen, dass ich mit der Theologie im Rucksack und den Buchhandlungen unterwegs sehr gut gefahren bin und ein interessantes Leben hatte, mehr durch die Theologie als durch die Medien. Nichts ist so lebensnah wie das, was von Jesus überliefert ist. Nicht nur eine vergängliche Fernsehsendung, sondern auch das Langfristige, z.B. die Architektur, könnte mit Theologen viel menschenfreundlicher gestaltet werden. Die Touristen kommen doch nicht nach Frankfurt, um die Bürotürme zu besichtigen, sondern das Ensemble um den Dom. Die Ökologie braucht die Theologie des Gartens, die vielen zerbrechenden menschlichen Beziehungen eine Theologie des Zusammenlebens. Der spezifische Stress des digitalen Zeitalters mit der typischen Symptomatik des Ausgebranntseins braucht Theologie, um wieder den Parasympathikus zu stärken. Der Evolutionsgedanke kann das Menschsein tiefer verankern, wenn die Christologie der frühen Konzilien weiter geschrieben wird.
Mir scheint, dass die Theologie, die ja Gründungsfakultät nicht nur der mittelalterlichen, sondern auch vieler neuerer bayerischer Universitäten war, deshalb so an den Rand geraten ist, weil sie sich selber nicht traut, theologisch in die Gegenwart zu wirken. Das realisiert sie nur für die Vergangenheit. Würde sie sich trauen, nicht weiter auf Vorträge, sondern auf die Erarbeitung von Lösungen setzen, dann würde sie wie die Medizin auch "Altes aus ihrer Truhe" wieder herausholen, vergleichbar den Gesundheitstipps "mehr Gemüse essen" und "sich bewegen". Büsse hat gezeigt, wie es geht. Sein Vorangehen kann den Theologen Vertrauen zurückgeben: Das jeweilige Praxisfeld "Ökologie", "Architektur", "Burn Out" und was morgen auf der Tagesordnung steht, wird die Theologie dazu bringen, immer wieder den Kern der Sache herauszustellen. Dann löst sich auch das viel beschworene Sprachproblem, nämlich der umständlich wirkende Jargon der Handbücher. Lösungsorientierte Inhalte führen von selbst zu einer lebendigeren Sprache.


Kategorie: Kirche

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang