Es fünf vor 12: Mit unserem Ressourcenverbrauch leben wir schon längst auf Kosten der Zukunft, die wachsende Ungleichheit schränkt „governance“ (Regierungsfähigkeit) an beiden Enden des gesellschaftlichen Spektrums ein: Einerseits durch Lobbyismus und Korruption, andrerseits durch zunehmende Gewinne für Populisten und Nationalisten.
Aufgeschreckt von den aktuellen Entwicklungen innerhalb unserer neoliberal geprägten Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft werden aktuell eine Reihe von Alternativen durch die Medienlandschaft lanciert: Inklusiveres Wachstum wird versprochen, Corporate Social Responsibility, Social Impact Investment, Grünes Wachstum und vieles mehr. Wie der Apostel Paulus schon sagte: „Prüfet alles und behaltet das Gute“, wenngleich sich bei genauem Hinsehen meist entpuppt, dass es sich bei diesen Vorschlägen um ein „Weiter so“ des Bestehenden mit einigen kosmetischen Veränderungen handelt.
Aber selbst wenn wir durch Reichensteuern das Anwachsen globaler Megavermögen verlangsamen oder durch Ökosteuern den natürlichen Ressourcenverbrauch teurer machen riskieren wir, dass Ungleichheit ebenso weiterwächst wie die Ressourcenübernutzung – nur eben ein wenig langsamer. Wir müssen an die Wurzel des Problems.
Ursachenbekämpfung statt Symptomkurierung
Papst Franziskus bemerkt in Laudato Si zu Recht: „Die Finanzkrise von 2007-2008 war eine Gelegenheit für die Entwicklung einer neuen, gegenüber den ethischen Grundsätzen aufmerksameren Wirtschaft und für eine Regelung der spekulativen Finanzaktivität und des fiktiven Reichtums. Doch es gab keine Reaktion, die dazu führte, die veralteten Kriterien zu überdenken, die weiterhin die Welt regieren. (Nr. 189)“ Gefordert ist heute, so der Papst, „ganzheitliche Lösungen zu suchen, welche die Wechselwirkungen der Natursysteme untereinander und mit den Sozialsystemen berücksichtigen. Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise.“
Das wiederum kann nur heißen, dass wir vom aktuellen sozio-ökonomischen Paradigma, welches überproportional den Interessen der Wenigen als dem der Vielen dient, wegkommen, und eine Wende vollziehen müssen hin zu einer Ordnung, die das Gemeinwohl aller im Auge hat. Und in einer Welt, die durch globale Netzwerke in den Bereichen Finanzflüsse, Kommunikation, Klimawandel und Migration zunehmend zusammenwächst, kann dies nur bedeuten, dass das Gemeinwohl global gedacht werden muss.
Steuern mit Steuern: Ein unterschätztes Potenzial
Staaten, Steuerverwaltungen und Steuern kommt hier eine herausragende Position zu, wie auch eine Durchsicht der entsprechenden Literatur bestätigt. Trotz aller Forderungen den Neoliberalismus zu „Steuerwettbewerb“, Vorzugsbehandlungen für private und betrieblichen Großvermögen und „schlanken Verwaltungen“ waren und sind Steuern und Steuerverwaltungen unvermindert eines der schlagkräftigsten Instrumente, die Staaten zur Verfügung stehen. Dieses Instrumentarium gilt es im Sinne einer Großen Transformation einzusetzen, etwa:
- Grenzausgleichssteuern sollten dort eingeführt werden, wo Industrien umweltfreundliche Energien einsetzen, dadurch aber auf dem Weltmarkt gegenüber jenen benachteiligt wären, die weiterhin fossile Energien verwenden.
- Es wird höchste Zeit, die Nutzung fossiler Energien durch kräftige Steueraufschläge zu verteuern, die Nutzung regenerativer Energien durch Subventionen zu fördern.
- Mit Finanztransaktionssteuern sollten „innovative“, aber sozial überflüssige Finanzprodukte verteuert, und Investitionen in die Realökonomie attraktiver gemacht werden.
- Durch Reichensteuern sollten öffentliche Investitionen, Forschung und Entwicklung sowie Bildungsangebote für Arbeitslose und Abgehängte finanziert werden.
- Angesichts der Bedeutung für die weltweite Ernährung und die Kosten auf dem Wohnungsmarkt sollte Grund und Boden zum „Global Commons“ erhoben werden, dafür aber der Steuerbasis entzogen werden.
- Neu aufgenommen werden in die Steuerbasis sollten hingegen die von Maschinen und Robotern erzeugte Wertschöpfung, ebenso müssen Wege gefunden werden, um digitale Konzerne angemessen an den Kosten für das Gemeinwohl zu beteiligen.
- Usw.
There is no alternative? There are many alternatives!
Voraussetzung ist, dass wir alle uns von der Indoktrinierung befreien, dass es keine Alternative zur aktuellen Version der freien Marktwirtschaft gibt. Dies wurde uns Jahrzehntelang eingeredet – dabei gab und gibt es viele Alternativen. Ein unvoreingenommener Blick auf die Geschichte der Zeit vor der neoliberalen Revolution sowie ein Blick in die interessante „heterodoxe“ Literatur außerhalb des neoliberalen Mainstreams zeigt, dass es genügend gute Ideen gibt – wir müssen sie nur zur Kenntnis nehmen und aufgreifen.
Der Katholischen Soziallehre, der Kirche und ihren Mitgliedern kommt dabei eine besondere Rolle zu: Die Katholische Soziallehre hat alles Potenzial, um Prinzipien, Normen und Kriterien für eine alternative Gesellschaftsordnung zur Verfügung zu stellen und so einen normativen Kompass zu bieten, um einerseits zwischen lohnenden und überflüssigen Vorschlägen zu navigieren, und sich andrerseits zu schützen gegen „information overload“, alternative Fakten, fake news und andere Irrungen und Wirrungen der aktuellen Debatten und Meinungsmanipulationen. Gelingt dies, bliebe Papst Franziskus nicht der einsame Prophet des Wandels. Vielmehr können eine Milliarden Katholiken zu Trägern des Wandels werden.
Belege und vertiefende Ausführungen unter Globalisierung und Armutsbekämpfung
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