Söder wäre von den Meinungsforscher:innen ausgewählt worden. Aber die kennen ihn genauso wenig aus der Nähe wie die Wähler:innen. Wissen die Wähler:innen tatsächlich am besten, wer für das Land das Beste erreichen wird? Orientieren sie sich an der Person oder nur an dem, was sie verspricht? „America First“ klang sehr gut, aber der Kandidat hatte nicht die administrativen Fähigkeiten, die Zahl der Corona-Toten niedrig zu halten. Er wechselte ständig das Personal aus. Die Ausgewählten waren immer weniger kompetent. Bereits die erste Riege der Minister war bereits drittrangig. Trump war als Führungsperson nicht in der Lage, gute Leute arbeiten zu lassen, sondern grätschte ständig in deren Handeln. Wie konnte er also in das Amt gelangen? Die US-Wahlen sind durch die Wahlleute eigentlich daraufhin angelegt, dass diese den:die Geeignetsten herausfinden. Das ist bei den Wahlen in der katholischen Kirche intendiert, wenn nämlich die Wahlmänner tatsächlich auch wählen.
In den USA haben die Wähler:innen nicht das letzte Wort
Der amerikanische Präsident wird auf den ersten Blick wie der französische Präsident und die Präsidenten vieler lateinamerikanischer Staaten direkt vom Volk gewählt. Jedoch zählt nicht die Auszählung aller Stimmen, sondern die Zahl der Wahlleute, die er:sie gewinnen kann. Die ursprüngliche Idee, dass Delegierte aus den verschiedenen Staaten zusammenkommen, um nach Beratungen den Kandidaten auszuwählen, der am besten die Regierung bilden kann, ist von den Parteien unterwandert worden. Diese bestimmen den Kandidatdn über viele Vorwahlen in den Bundesstaaten. Dann stimmt aber nicht die Nation insgesamt ab, sondern die Bundesstaaten. Das hat zwei Konsequenzen. Es gewinnt derjenige, der sich über die sog. Vorwahlen als bester Wahlkämpfer erwiesen hat – und weiter entscheiden am Ende immer die gleichen Bundesstaaten die Wahl, nämlich die wenigen, die nicht mehrheitlich auf eine der beiden Parteien festgelegt sind. War die ursprüngliche Idee, dass die Wahlmänner sich zusammensetzen, um den am besten geeigneten Kandidaten herauszufinden und dann auch zum Präsidenten zu bestimmen, werden stattdessen durch Fernsehen und Social Media die Wähler:innen über Wochen umworben, um dann doch nicht denjenigen zum Präsidenten bestimmen zu können, der die meisten Stimmen erhalten hat. Ist die Auswahl der Kandidaten in Deutschland mehr an der Qualifikation der Kandidaten orientiert?
Die Parteien bestimmen, wer Regierungschef werden kann
Die Wähler:innen können in Deutschland die Kandidaten nicht selbst bestimmen. Sie können den zukünftigen Regierungschef:in auch nicht durch Wahl bestimmen, sondern nur eine Partei wählen. Da das Wahlrecht mehr als zwei Parteien Sitze im Parlament zuspricht, hängt es von den Koalitionsverhandlungen ab, wer dann endgültig die Regierung bildet. Die Parteien konkurrieren um Wählerstimmen, nicht nur über die Person des Kandidaten, sondern auch mit ihren Programmen. Wie in den USA machen sie Versprechen, die die Bürger:innen dann ohnehin über ihre Steuerabgaben finanzieren und deren Folgen sie dann auch zu tragen haben.
Warum Söder das Wahlsystem nicht verstanden hat
Da in Deutschland der Weg ins Minister- und Kanzleramt nicht durch Vorwahlen geebnet wird, sondern von den Parteien abhängt, braucht die Kandidat:in die Partei, die ja dann auch mit ihren Mitgliedern den Wahlkampf führt. Söder brauchte für seinen Erfolg nicht nur die Zustimmung der bayrischen Regionalpartei, sondern auch die der CDU. Diese Zustimmung hat er sich nicht über die Strukturen der Partei geholt, sondern über die Medien. Er könnte eine Wahl aber nur gewinnen, wenn die CDU für ihn aktiven Wahlkampf führen würde. Hätte sich die CDU ihm „unterworfen“, hätte die daraus folgende mangelnde Zustimmung den ganzen Wahlkampf durchzogen. Söder hat seine eigene Partei stattdessen in ein Dilemma geführt: Unterstützt sie den CDU-Kandidaten nicht, wird die Partei weniger Sitze im Bundestag bekommen und die Aussicht auf Ministerposten verspielen. Hätte er die Geduld nicht verloren und die Meinungsbildung in der CDU abgewartet, dann wären die Wahlchancen für die CSU besser und er würde bei der nächsten Wahl von der CDU akzeptiert, wenn er dieses Mal nicht zum Zuge gekommen wäre. Dieser strategische Fehler wird an ihm haften bleiben und seine Chancen, einmal Kanzler zu werden, ins Unwahrscheinliche verschieben.
Der Vergleich USA - Deutschland zeigt, dass immer Wahlmänner und –Frauen wesentlich entscheiden. Das amerikanische System hat sich dahin entwickelt, dass die Inszenierung des Wahlkampfs in den Medien mehr zur Auswahl beiträgt als die Expertise derjenigen, die den Kandidaten oder die Kandidatin aus der Nähe kennen und für geeignet halten. Wäre es nicht doch am besten, die Bürgern überließen die Wahl einem Gremium? Sie würden dann ihre Vertreter in das Gremium wählen, nicht aber den zukünftigen Regierungschef. Die katholische Kirche wählt die Leitung der Orden wie den Papst durch Gremien aus. Dieses System verhindert, dass es Wahlkampf in der Öffentlichkeit gibt.
In der katholischen Kirche kann man nicht kandidieren
Während sich in der Demokratie Politiker ins Gespräch bringen können, ist das in der katholischen Kirche verpönt. Für Leitungsämter wird man berufen. Anders in den evangelischen Kirchen: Ihre Synoden sind mit den Wahlgremien vergleichbar, der Bischof, die Präses werden nicht von allen Mitgliedern gewählt. Wie bei der Auswahl der Kandidat:innen der Parteien kann man sich für ein Leitungsamt bewerben. In der katholischen Kirche kann man seinen Hut nicht in den Ring werfen. Wer es wie Söder macht, wird in der Regel nicht gewählt. Von dem Wahlgremium für den Papst, dem Kardinalskollegium heißt es: „Wer als Papst ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus“. Wer also als papabilis gilt, wird von den Kollegen nicht als der geeignetste eingestuft. Den Kardinälen der letzten Jahrzehnte ist es meist gelungen, mit ihrer Wahl die Weltöffentlichkeit zu überraschen. Da die Kardinäle vom vorherigen Papst ausgewählt wurden, hat dieser einen mittelbaren Einfluss auf die Auswahl seines Nachfolgers. Bei den meisten Orden werden die Wahl-Männer und -Frauen von den Mitgliedern in die Wahlversammlung entsandt. Generalkapitel heißen diese nicht, weil sie von einem General präsidiert werden, so wie die Parteikongresse in China, sondern weil sie allgemein sind und alle vertreten. Die Jesuiten haben ein ausgefeiltes System ihres Gründers beibehalten. Da der Orden weltweit tätig ist, müssen sich die Delegierten kennenlernen. Während die Kardinäle gemeinsame Sitzungen vor das Konklave setzen, können die Delegierten, die den General, also die Leitungsperson für alle wählen, sich zu zweit beraten und sich über die Eignung Einzelner für das zentrale Leitungsamt austauschen. Wahlwerbung für einzelne darf nicht gemacht werden, aber es bildet sich mit der Zeit heraus, wer der Geeignetste ist. Es braucht dann nur wenige Wahlgänge, um sich auf eine Person zu einigen.
Wahl bei den Kopten: Gott wählt eigentlich
Die Wahl des Papstes der koptischen Kirche wird durch ein Wahlgremium vorbereitet. Es bestimmt drei Kandidaten. Ein Kind wählt dann aus einer Schale einen Zettel. Wessen Name es gezogen hat, der wird Patriarch. Dieses Verfahren drückt am deutlichsten aus, dass ein Wahlgremium nicht „seinen Kandidaten“ wählt, sondern den sucht, der von Gott für das Leitungsamt ausersehen ist. Es wurde bereits in der ersten Gemeinde angewandt, um den Nachfolger für Judas herauszufinden. Das Los entschied zwischen zwei Kandidaten, auf Matthias fiel das Los.
Aus dem Vergleich der verschiedenen Wahlverfahren wird eines deutlich: Wer sich nicht auf das jeweilige Verfahren einlässt, gewinnt nicht den nötigen Rückhalt, um ans Ziel zu kommen. Es braucht ein Gremium, das sich über die Eignung einzelner ein fundiertes Urteil bilden kann. Es bleibt bei jedem Verfahren immer das Ungenügen, das nach einiger Zeit als Reaktion auf die Entscheidungen des Gewählten zu beobachten ist. Gleich welches Wahlverfahren, kein:e Gewählte:r wird die in ihn:sie gesetzten Erwartungen gänzlich erfüllen und wahrscheinlich auch massive Fehlentscheidungen treffen.
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