Bild: Thomas Porwol

Situation und Optionen der Stadtgemeinden

(explizit.net) Die Stadtgemeinden scheinen von den sozio-kulturellen Veränderungen stärker betroffen sein, als das vom Katholizismus mehr oder weniger durchdrungene Land. Warum ist das so? Die urbanen Milieus ticken nun mal anders – und sie lassen sich immer weniger von den alt „bewährten“ und fälschlicherweise für modern gehaltenen Formen mitreißen. Vielmehr sollten Stadtkirchen auf ausdifferenzierte Themen mit nicht nur intellektuellem Anspruch setzen. Auch Ästhetik ist gefragt, doch diese hat vielfältige Formen.

(explizit.net) Die Stadtgemeinden scheinen von den sozio-kulturellen Veränderungen stärker betroffen sein, als das vom Katholizismus mehr oder weniger durchdrungene Land. Warum ist das so? Die urbanen Milieus ticken nun mal anders – und sie lassen sich immer weniger von den alt „bewährten“ und fälschlicherweise für modern gehaltenen Formen mitreißen. Vielmehr sollten Stadtkirchen auf ausdifferenzierte Themen mit nicht nur intellektuellem Anspruch setzen. Auch Ästhetik ist gefragt, doch diese hat vielfältige Formen.

Die Situation vieler Gemeinden in den Städten ist unbefriedigend. Durch den Wegbruch vieler Gottesdienstbesucher und Ausdifferenzierung der im Umfeld lebenden Milieus hat sich das, was man früher als „Angebot der Gemeinde“ bezeichnete nicht mehr als attraktiv oder einladend genug herausgestellt. Das lag sicherlich nicht an mangelnder Arbeit vieler engagierter Gemeindemitglieder, sondern an den vielschichtigen Bestimmungsgrößen urbaner Milieus und ihren divergierenden Kommunikationsmustern. Sie haben unterschiedliche Vorstellungen von Gemeinde, ihrer Ausübung von Religiosität und Partizipation. Welche das konkret sind, muss die Gemeindeleitung vor Ort herausfinden und sich dann Gedanken machen, wie sie ihr Profil schärfen kann (

<p>). Kurz gesagt: Lieber wenige, aber qualitativ gute Angebote, denn Streuen belastet nur das Personal, die Ehrenamtlichen und ihre Zeit. Das klingt zunächst nach den Termini aus dem Jargon der Unternehmensführung, ist aber unterm Strich nichts anderes als das, was gute Gemeindeleitung ausmacht.</p> <h2>Theologie und Philosophie – das Handwerkzeug des Stadtpriesters?</h2> <p>In solchen „Schmelztiegeln“ braucht es mehr denn je theologisch und philosophisch begabte und interessierte Priester und überzeugende geistliche Protagonisten. Diese müssen es schaffen, die Schar der suchenden Menschen, die zudem auch oft sehr kirchenreserviert daherkommen, für die Sache des Evangeliums zu begeistern. Die Gemeinde braucht Menschen, die einen weiten Horizont und genügend Lebenserfahrung mitbringen, um die komplexen Stadtmilieus pastoral ansprechen zu können. Die modernen Urbanen sind Suchende, die ernst genommen werden müssen und nicht mit dem klassischen „Stuhlkreis“ belästigt werden möchten. Sie bevorzugen Input, Wissenswertes, Theologisches. Sie gehören zu den Milieus, die an Fortbildungen interessiert sind, für sie zählt die Performance. Alles was sie weiterbringt, zwischenmenschlich oder intellektuell nehmen sie gerne an. Bibelabende, die womöglich früher einem lockeren Austausch gedient haben, hätten die Möglichkeit, nicht nur auf dem Katechumenat, sondern als große Säule der Glaubenstradierung die Stadtgemeinden zu bereichern. Viele Christen berichten selbst, dass sie ihn ihrem Glaubensgut kaum noch erfahren sind und von Andersgläubigen, z.B. Muslimen häufig müde belächelt werden.</p> <h2>Liturgie - Gottesdienst oder Entertainment </h2> <p>Da verwundert es nicht, dass der in katholischen Kreisen oftmals als „liturgischer Wildwuchs“ benannte Zustand sich stark ausgebreitet hat. Die Gründe sind offensichtlich: Kaum intellektuelle Auseinandersetzung mit der Schrift und der Liturgie. Unzufriedenheit macht sich breit und der Wunsch – resultierend aus der Strömung der Postmoderne – selbst mitzugestalten verfestigt sich. Frauen und Männer sehnen sich nach liturgischer Partizipation, doch die ist seit dem II Vatikanischen Konzil in mannigfaltiger Weise gegeben, es muss nur richtig kommuniziert werden. Die Inhalte; was gefeiert wird und warum, werden nur noch von wenigen Pfarrern oder Sachkundigen vermittelt. Dort liegt eine ungeheure Chance Charismen zu wecken und wieder Strahlkraft für die Liturgie und ihre Ästhetik aufzubauen, die grade Performer, Etablierte und ästhetisch-affine Milieus anspricht. Denn auch derzeit machen sich viele Menschen auf dem Weg, Liturgie anders zu gestalten.

<p>Es steht jedoch die Frage im Raum: Ist Liturgie Gottesdienst oder Entertainment? Die Illumination von Kirchenräumen ist dabei eine wunderbare Möglichkeit sich der modernen Technik zu bedienen, um die sakrale Stimmung zu betonen, sie zu untermalen. Wir leben nun mal in einer visuellen Kultur. Eine Nebenmaschine wiederum, würde liturgiereflektierten Zielgruppen seltsam vorkommen. Hier sollte einer offenen und kultivierten Auseinandersetzung mit diesem Thema nachgegangen werden, da nicht alles, was Discothekenabende ansprechend macht, im Gottesdienst sinnvoll ist, auch wenn es kurzfristig viele Menschen anspricht. Die Antwort auf die Frage, welches Gottesdienstverständnis diese Menschen mitbringen, würde direkter zu Formen der liturgischen Gestaltung führen. Entschieden wichtiger ist die Musikfarbe, die gewählt wird.</p> <h2>Kasualien-Fromme als echte Katholiken wahrnehmen</h2> <p>Die Gemeinden müssen lernen zu akzeptieren, dass einige Milieus weiterhin schwer erreichbar bleiben, weil das derzeitige Bild von Kirche als Institution für sie unattraktiv und uninteressant ist. Anders als durch das loslösen vom „Image der Institution“, werden hedonistisch und utilitaristisch geprägte Milieus keinen Funken Interesse zeigen. Dieses Loslösen scheinen einzelne Protagonisten gut zu verwirklichen. Sie durchbrechen das Image der „Institution Kirche“ und sind als „burning persons“ für die „Kirchenfernen“ oder „Institutions-vorbelasteten“ da. Sie bilden innerstädtisch kreative Formen von Gemeinde, die wiederum ansprechend für besagte Zielgruppen sind. Kirche ist nun mal vielfältig, es besteht also kein Grund zur Sorge wegen Zerstreuung.</p> <p>Auch Kasualienfromme, jene oft müde belächelte Gruppe, die nur zur Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen ihre Präsenz in der Gemeinde zeigt, sind eine neue Realität in der katholischen Landschaft. Es steht zur Frage, ob sie noch wirklich als „Kirchenferne“ bezeichnet werden dürfen, da sie mit ihren Kirchensteuern solidarisch ihren Beitrag zur Gemeinde leisten, auch wenn sie sich nicht enger an diese binden wollen. Die Gründe wären ein interessantes Jahresziel einer Arbeitsgruppe innerhalb einer Gemeinde, die sich sicherlich leichter dazu motivieren lässt, investigativ und teamorientiert dieser Frage nachzugehen, als den berühmten Sitzungskatholizismus über sich ergehen zu lassen.</p> <h2>Sinnerfahrungen sind wichtig – vor allem bei Männern</h2> <p>„Bis orat qui semel cantat“ – wer singt, betet doppelt. Diese uralte Weisheit hat die Kirche nicht erst seit dem Neuen Geistlichen Lied zu verwirklichen versucht. Seit das Abendland christlich denkt, bemühte man sich seitens der Kirche am Nabel der Zeit zu sein, zumal musikalisch. Kirche bei den Menschen, Kirche mit den Menschen – Kirche mit dem, was die Menschen bewegt und sie anspricht: die populäre Kunst ihrer Zeit. Musik und Kunst kann ebenfalls zum Aushängeschild einer urbanen Gemeinde werden. In Zeiten der Renaissance bemühten sich große Päpste, wie Julius II. um das Aufgreifen modernster Kunst, man setzte Unmengen von Geld in Bewegung, um die gewaltigen Monumente der Christenheit zu errichten – wie schmelzen die Herzen der Pilger dahin, wenn sie den Bernini-Altar oder die von Michelangelo ausgemalte Sistina sehen. Gewiss leben wir in anderen Zeiten, dennoch brauchen die Menschen mehr denn je Sinnerfahrungen. Architektonische Präsenz ist längst kein Selbstläufer mehr um Stadtkirchen zu füllen. Ästhetik und Gehalt ist wichtig; vor allem Männer suchen mehr die „erfahrbare“ Religion.</p> <h2>Den Lebensstil berücksichtigen</h2> <p>Wer Events wie </p> <p><emphasize>Burning Man, </emphasize>

<p>oder</p> <p><emphasize></emphasize>

<p>das</p> <p><emphasize>Holi Festival </emphasize>

<p>erlebt hat, sehnt sich in seiner Spiritualität nach dieser Erfahrung. Menschen erleben dieses Gefühl von Gemeinschaft, Teil von etwas Großem zu sein. Diese Erfahrungen machen süchtig, doch sie fehlen in den Gemeinden. Keine Frage, es ist nicht das Ziel, dieses an die Wochenordnung zu implementieren; es geht darum die Sehnsucht einiger Milieugruppen nach erfahrbarer Religion zu verstehen. Die Weltjugendtage sind ein gutes Beispiel dafür.</p> <h2>Die Männer und Erfolgsorientierte gehen auf Distanz</h2> <p>Interessant sind ebenso Beobachtungen, die nicht nur die Städte betreffen, sondern auch ihre Randbereiche. Die in den Medien häufig kritisierte Schieflage in den Grundschulen, die auch als Pädagogische Herausforderung des nächsten Jahrzehnts bezeichnet ist, wird mit „Verweiblichung des Bezugsraums“ beschrieben. Diese ist im weiteren Sinne häufig in der katholischen Liturgie vorzufinden. Diese starke „Feminisierung“ der Liturgie hat den Nebeneffekt, dass immer mehr Männer sich davon abgestoßen fühlen. Sie haben eigentlich nichts gegen Frauen, fühlen sich aber in der für sie kitschig anmutenden Ausübung und Liturgie unwohl. Das ist ein interessantes Phänomen, weil es wenig über das Verhältnis von Mann und Frau aussagt, sondern mehr über die Dominanz der Frauen in der vielerorts bekannten Gottesdienstgestaltung, die wiederum ein Vorwurf an die mangelnde Partizipation des Mannes sein kann. Diese Frage wäre ebenso zu klären.</p> <p>Weitere sonderbare Phänomene: In gewisser Weise sind Performer in einem Dilemma, denn auch die modern gestaltete Familienmesse mit Priestern in Regenbogengewändern, erfindungsreichen aber platten Gebetsfloskeln und für sie infantil anmutenden Liedern empfinden sie als unattraktiv. Es ist da kein Wunder, dass der Hang zur traditionellen Formen der Liturgie, wie auch zu anderen Religionen, die vor einigen Jahrzehnten in Deutschland kaum Fuß fassen konnten, zunimmt und dass oft auch experimentell Suchende und intellektuelle Urbane sich für diese für tot gehaltenen Spiritualitätsformen zu begeistern wissen, ohne selbst besonders konservativ zu sein. Auch diese Menschen sind suchende, sie sind zahlreich, tauchen aber in der klassischen Pastoral viel zu wenig auf.</p> <h2>Die Stadt als Chance</h2> <p>Man sollte nicht vergessen, dass grade Städte eine hohe Interkulturalität und religiöse Pluralität aufweisen. Dieser Herausforderung, aber auch gleichzeitiger Chance darf sich die Kirche nicht entziehen. Sie kann als Brückenbauer für das Zusammenleben zwischen den Menschen und ihrer Vielfalt dienlich sein, die häufig noch geprägt ist von Fremdheit und fehlender Dialogbereitschaft.</p> <p>Dennoch: Stadtgemeinden sind eigentlich in einer luxuriösen Situation: Sie können Charismen entwickeln, ohne dass von vorneherein Milieus wegbrechen. Wenn sich eine Stadtpfarrei dazu entschließt, ihr Profil zu schärfen, Charismen stärker zu fördern, ihr Umfeld stärker wahrzunehmen, womöglich mehr „Sonderlinge“ der urbanen Milieus ins Boot holt, dann stehen die Chancen gut für ein gelingendes prosperierendes Gemeindeleben im Puls der Stadt. Grade Neues und Kreatives zieht die Stadtbewohner an und sorgt für Anziehungskraft bei weiteren Gruppen. Es muss nur der Mut gewagt werden, sich auf ein neues Modell von Gemeinde einzulassen.</p> <h2>Quo vadis, ecclesia urbis?</h2> <p>Die Kirche hält sich manchmal selbst den Schleier vor ihren Augen fest, um nicht wahrzunehmen, wie wenige Milieus sie mit ihrer Aufmachung und ihrem Programm noch erreicht. Für viele Menschen ist die Kirche als Sinnstifterin nicht hinreichend am Puls der Zeit.</p> <p>Ansonsten hat die Kirche in Deutschland, jener bürokratischer Moloch, dessen einige Chefbeamte in dunklen Anzügen und Kleidern hinter verdunkelten Scheiben in schwarzen Limousinen durch die Bundesrepublik gefahren werden, diesen Menschen wenig zu sagen. Man kann also nur hoffen, dass die Impulse aus Rom, so verhalten sie innerhalb der Kirchenmauern besprochen, und so laut sie in den (kirchenfernen) Medien zitiert werden, auch hierzulande greifen und der Kirche helfen, ihre Strukturen hinsichtlich „Selbsterhaltung“ einerseits und „Aufbruchsbereitschaft“ andererseits zu überdenken. Bis dahin zähle man in gewohnter Manier die gestiegenen Austrittszahlen und wundere sich über die vielen Männer, die es sonntagmorgens vorziehen, ihr „Danke für diesen guten Morgen“ vom Bette aus statt aus der Kirchenbank zu singen.</p> <p>Thomas Porwol</p> <p>Die Beschreibung der Lebenswelten, Performer, Experimentalisten u.a. finden sich bei</p> <p>



Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang