Foto: RPTU, Kaiserslautern

Quelle: Aschendorff-Verlag, Münster

"Simulacrum Hominis": Interview mit Dr. Lukas Brand über KI & Anthropologie

In seiner Dissertation "Simulacrum Hominis. Die Reproduktion des Menschen im Medium der Technik" untersucht der Theologe Dr. Lukas Brand von der RPTU in Kaiserslautern das Themenfeld "KI & Anthropologie". Im Interview mit den Portalen explizit.net und kath.de stellt er seine Ergebnisse in den Kontext mit Papst Leo XIV..

Herr Dr. Brand, Ihre mehrfach ausgezeichnete Dissertation trägt den Titel "Simulacrum Hominis. Die Reproduktion des Menschen im Medium der Technik". Was ist die zentrale Themenstellung ihrer Untersuchung und was sind die zentralen Ergebnisse?

Gegenwärtig können wir beobachten, dass global agierende Unternehmen wie Tesla und OpenAI in den USA oder Unitree in China verschiedene technische Systeme entwickeln, die auch für soziale Interaktionen gedacht sind. Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Unternehmen wie Elon Musk oder Sam Altman – aber auch viele andere Vertreterinnen und Vertreter aus Informatik und Robotik – nehmen für diese Social Companions in Anspruch, dass sie menschlich seien, über Bewusstsein oder Verständnis verfügten. Sie gründen diesen Anspruch auf einem Vergleich, den der Computerwissenschaftler Alan Turing 1950 Immitationsspiel genannt hat. Dieses Spiel vergleicht das menschliche intelligente Verhalten mit dem Verhalten einer Maschine und kommt zu dem Schluss, dass eine Maschine als intelligent gelten kann, wenn sie in ihrem Verhalten vom Menschen nicht zu unterscheiden ist. Für dieses Spiel wurden in den vergangenen Jahren verschiedene sogenannte Benchmarks entwickelt, Tests, die insbesondere die Intelligenz, oder eben oberflächlich betrachtet intelligentes Verhalten messen sollen. Zusammen mit Intelligenz wird für Maschinen, die diese Benchmarks erreichen, allenthalben auch Menschlichkeit oder zumindest Menschenähnlichkeit in Anspruch genommen.

Allerdings ist dieser funktionalistische Ansatz mit einem christlichen Menschenbild, das den Menschen als Ebenbild Gottes vorstellt und Menschsein auf wesentliche Eigenschaften gründet, im Wesentlichen unvereinbar. Nicht weil der eine Zugang, das funktionalistisch-technologische Paradigma, dem anderen, christlichen Paradigma überlegen wäre, sondern weil der epistemische Anspruch dieser beiden Paradigmen ein anderer ist.

Ich habe trotzdem versucht, einen Begriff von Reproduktionen zu entwickeln, der sowohl für den Versuch den Menschen in Form von Maschinen technisch zu reproduzieren, als auch für den Versuch, das menschliche Wesen im Sinne einer theologisch-philosophischen Anthropologie zu bestimmen, also im weitesten Sinne Geisteswissenschaftlich zu reproduzieren. Auch hier lässt sich natürlich unterscheiden, dass die Ingenieurwissenschaften mit diesem Versuchen in erster Linie ein funktionales Ziel verfolgen – nämlich Artefakte zu konstruieren, die im Alltag Aufgaben übernehmen können – während die Theologie und Philosophie in erster Linie den Anspruch haben, Wissen über den Menschen zu erzeugen.

Ein zentrales Ergebnis meiner Arbeit ist, dass diese beiden Paradigmen, auch wenn sie wahrscheinlich mehr oder weniger unvereinbar nebeneinander stehen, beide ernst genommen werden müssen. Das eine Paradigma denkt wesentlich darüber nach, was der Mensch ist, vielleicht sogar in einem teleologischen, wenn nicht gar einem normativen Sinn sein soll, während das andere Paradigma diesen Anspruch natürlich nicht erhebt. Gleichzeitig wird unsere Gesellschaft und nicht zuletzt auch unser Selbstbild als Menschen durch die Verbreitung von menschlich erscheinenden Artefakten maßgeblich und zunehmend unmittelbar von eben diesem populären technologischen Paradigma geprägt.

Wie können Ihre Ergebnisse, die im in Kürze im Aschendorff-Verlag veröffentlicht werden, im internationalen Vergleich eingeordnet werden?  Und wie bewerten Sie die Initiativen von Papst Franziskus und Papst Leo zum Thema Ethik in der Künstlichen Intelligenz?  

International beschäftigen sich Theologinnen und Theologen bereits mit den Folgen zunehmenden technischen Wandels und der neuen technischen Möglichkeiten für das Menschenbild – etwa im Kontext des Transhumanismus. Diese Arbeiten fokussieren sich dabei bisher aber vor allen Dingen auf die Perspektive einer philosophisch geprägten Technik-Anthropologie. Meist betrachten sie die Werke von Philosophen, also Arbeiten mit einem genuin philosophischen Anspruch, wie etwa von Ray Kurzweil, Nick Bostrom, Katherine Hayles oder Stefan Sorgner. In meiner Dissertation habe ich versucht, mich besonders und vorrangig auf die realen technischen Artefakte zu beziehen und die Aussagen zu berücksichtigen, die im Kontext des funktionalistischen Paradigmas und das heißt im Kontext der Entwicklung und Erprobung dieser Systeme gemacht werden. Ich habe mich immer wieder gefragt: Was schreiben Entwicklerinnen in ihren ingenieurwissenschaftlich orientierten Veröffentlichungen? So habe ich versucht, die Annahmen herauszuarbeiten, die Entwicklerinnen und Entwickler in ihrer eigentlichen Arbeit zugrunde legen oder zugrunde legen müssen, statt dieses Projekt in erster Linie durch die Betrachtung von Befürworterinnen und Kritikern einer bestimmten technischen Utopie zu analysieren.

In den vergangenen Jahren hat sich aber auch die Kirche nicht zuletzt durch Papst Leo XIV. immer wieder über künstliche Intelligenz geäußert. Papst Leo hat die künstliche Intelligenz sogar zum Programm seines Pontifikats gemacht. Schon unter Papst Franziskus hat der Vatikan sich mit den Auswirkungen der Technik der künstlichen Intelligenz auf unsere Gesellschaft auseinandergesetzt und in dieser Hinsicht ein meiner Einschätzung nach recht differenzierteres Bild entwickelt, dass sich gerade auch mit diesem Thema der Reproduktion des Menschen im Medium der Technik und den ontologischen Voraussetzungen auseinandersetzt, die diesem Versuch zugrunde liegen. Hier kommt es erfreulicherweise immer wieder zu Übereinstimmungen mit meiner eigenen Arbeit. Ich bin daher vor diesem Hintergrund einigermaßen optimistisch, dass die katholische Kirche in den nächsten Jahren sich diesem Thema weiterhin widmen und die Folgen bedenken wird, die sich aus der Entwicklung künstlicher Intelligenz und der humanoiden Robotik für unsere zwischenmenschlichen Beziehungen ergeben.

Benötigen wir zukünftig einen "hippokratische Eid" für alle Menschen, die KI programmieren oder entwickeln, wie der chinesische KI-Experte Kai-Fu-Lee in seinem Buch "KI 2041" fordert?

Ich denke, dass wir die Entwicklung von Informatikerinnen und Informatikern, Ingenieurinnen und Ingenieuren tatsächlich nicht erst in einigen Jahren, sondern schon jetzt so einrichten müssen, dass die Themen an der Grenze von Informatik und Gesellschaft in der Ausbildung verstärkt verhandelt werden. Es gibt dieses Fach „Informatik und Gesellschaft“, dass sich den sozialen, psychologischen, ökonomischen, rechtlichen und philosophischen Bedingungen der technischen Entwicklung zuwendet. Aber das Programm dieses Faches ist zu groß und das Fach selbst aktuell in der Ausbildung zu stark unterrepräsentiert, gemessen an den Anforderungen, die hier an Studierende gestellt werden müssen.

Ich würde nicht so weit gehen, dass man den Informatikerinnen und Informatikern am Ende ihres Studiums bald einen Eid abnehmen muss. Aber wir müssen ein stärkeres Bewusstsein für die Bedingungen unter denen Technik entwickelt wird und die Folgen der Technik für gesellschaftliche Prozesse auf jeden Fall durch die Ausbildung stärken.

Anders als manche Player im Bereich der Informatik, die in den vergangenen Jahren angesichts der generativen künstlichen Intelligenz, das Programmieren bereits für Tod erklärt haben, glaube ich, dass wir im Gegenteil in den nächsten Jahren eher Informatikerinnen und Informatiker brauchen, die sehr gut ausgebildet sind, nicht nur im Bereich der technischen Entwicklung, sondern eben auch im Bereich der sozioinformatischen Zusammenhänge, die sich durch die Implementierung von Computersystemen im Allgemeinen und KI-Systemen im Besonderen für unsere gesellschaftlichen Prozesse ergeben werden. Dafür braucht es ein Bewusstsein für soziale Prozesse, für psychologische Prozesse. Also, wie reagieren Menschen eigentlich psychologisch auf die Gestaltung von Computersystemen? Wie gehen sie mit diesen um? Welche Ansprüche und Anforderungen stellen Menschen an Computersysteme und Programme? Und welche Anforderungen über Effizienz und Leistungsfähigkeit hinaus stellt eine Gesellschaft eigentlich an bestimmte Prozesse und technische Entwicklungen?

Als Theologe spreche ich natürlich über Werte, die Kirchen im Besonderen zu diesen Fragen einspielen kann, etwa die Frage nach der Option für die Armen, die erwartungsgemäß in der Informatikausbildung im Moment keine Rolle spielt. Prinzipien wie Subsidiarität und Solidarität, aber eben auch die Fragen nach Gemeinschaft und Gemeinschaftsbildungen, die nicht einfach eins zu eins in digitale Prozesse übersetzt werden können. Wie müssen Beziehungen zwischen Menschen eigentlich in besonderer Weise geschützt und wie müssen entsprechende technische Systeme daher gestaltet werden.

Das sind alles Fragen, die uns aktuell mehr beschäftigen, als sie das in der Vergangenheit getan haben, in der wir immer dachten, Computer reproduzieren und beschleunigen oder übertragen eigentlich nur Tätigkeiten, die wir bisher aufwändig analog ausgeführt haben, in einen standardisierten Prozess. Die E-Mail und Chatprogramme sind ein solches Beispiel: Sie haben unsere Kommunikation beschleunigt und radikal verändert. Sie haben neue Gewohnheiten und Erwartungen an Kommunikation hervorgerufen, die wir erst deutlich später erkannt und bisher kaum reflektiert haben. Wir haben zum Beispiel bereits die Beobachtung gemacht, dass Menschen sich zunehmend vereinzeln.

Bisher konnten wir diese Veränderungen gesellschaftlich irgendwie aufgefangen. Jetzt geht es aber darum zu fragen, wie wird sich eigentlich die vermehrte Interaktion mit Technik, die als soziale Interaktion gestaltet ist, auf die natürlichen sozialen Interaktionen zwischen Menschen auswirken. 

Und dafür muss es eine entsprechende Ausbildung von Informatikerinnen und Informatikern geben. In Kaiserslautern ist das ein eigener Studiengang „Sozioinformatik“. Die Fragestellungen und Methoden dieses Faches müssen in den nächsten Jahren stärker auch in die Informatikausbildung hineinwirken.

Dr. Lukas Brand

Dr. theol. Lukas Brand ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Algorithm Accountability Lab der RPTU Kaiserslautern–Landau. Er forscht zur Erklärbarkeit maschineller Sprachverarbeitung, Auswirkungen von KI auf Religion und Gesellschaft sowie zur Technikverantwortung und lehrt Ethik der Informatik.

Das Interview führte Christian Schnaubelt (Chefredakteur und Herausgeber der Portale explizit.net und kath.de).

Weitere Informationen zur Dissertation gibt es auf der Website des Aschendorff-Verlags


Kategorie: Medien

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